Neues Schloss Steinach

23./24. April 1945 - das Neue Schloss brennt

 

von Hans Agsteiner

 

Die letzten Tage des zweiten Weltkriegs brechen an. Den Wehrmachtsberichten dieser Zeit kann Folgendes entnommen werden:

  1. April 1945:

„Unsere Angriffe in die Flanken der von Hersbruck bis Neumarkt in der Oberpfalz durchgebrochenen Amerikaner sind in gutem Fortschreiten. Auch zwischen Nürnberg und Ansbach sind Gegenangriffe gegen den nach Süden vordringenden Feind im Gange...“

 

  1. April 1945:

„Über Süddeutschland herrschte den ganzen Tag starke feindliche Schlachtfliegertätigkeit. Mittelschwere Kampfverbände griffen wiederum mehrere Orte im bayerischen Raum an....“  In Süddeutschland richtete sich der Hauptdruck der Amerikaner  nach Südosten gegen den Nordteil des Bayerischen Waldes und den Großraum Regensburg...“

(aus: Die Wehrmachtsberichte 1939-1945, Bd. 3, München 1985).

 

Rundfunkreporter Kellermann berichtet zu den damaligen Vorgängen in der Einführung zu seiner Rundfunkreportage am 9. April 1995:

Man schreibt den 23. April 1945. In Regensburg fordert Domprediger Dr. Johann Maier die kampflose Übergabe der Stadt. Zwischen Nabburg, Pfreimd und Oberviechtach ergeben sich 2.500 Angehörige ungarischer Hilfstruppen den Amerikanern. Amberg wird ab dem Vormittag von US-Militär regiert. In Schwandorf öffnen Deutsche den Amerikanern die Panzersperren. Bei Miltach erobern die Amerikaner die Regenbrücke. In Cham erbeuten die Amerikaner den Sonderzug des Feldmarschalls Albert Kesselring. In Regensburg fliegen der Eiserne Steg und die Nibelungenbrücke in die Luft“.

 

Hans Kirmer berichtet uns über die letzten Tage des 2. Weltkriegs in Steinach (in: Hans Agsteiner, Steinach, Heimatbuch, a.a.O., S. 401):

„Aus Nord-Nord-West hörte man ein Bombardement, das dem Kreuzberg bei Schwandorf galt. Die Front hörte man sonst kaum näher kommen, da die Amis nur langsam vorrückten und unsere Soldaten nur sporadisch Widerstand leisteten. Vor allem nachts sah man zurückflutende Fahrzeugkolonnen; denn am Tag war es wegen der Tiefflieger zu gefährlich. Tief erschüttert bin ich noch heute von einem Vorkommnis wenige Tage vor Ankunft der Amerikaner . Es wurde bekannt, daß sich auf der Bundesstraße 20 von Cham nach Straubing eine riesige Menschenmenge wälzte. Es waren – wie wir später erfuhren – Häftlinge aus dem Konzentrationslager Flossenbürg, die über Straubing nach Dachau getrieben werden sollten. Auch ich sah den Elendszug vom Oberen Dorf aus. Mit Schrecken in den Augen kamen abends meine Cousinen von der Post herauf. Sie waren an diesem Tag mit den Fahrrädern in Straubing und mußten auf der Heimfahrt mit ansehen, wie von den begleitenden Wachmannschaften Häftlinge, die nicht mehr weiterkonnten, mit Genickschuß getötet wurden“.

 

Bedrückend sind auch die Ausführungen in einem Gesprächsprotokoll von Frau M. Z. aus Wolferszell in der Schrift von Guido Scharrer „Todesmärsche aus dem KZ Flossenbürg durch die Stadt Straubing und den Landkreis, S. 15 u. 16. Es zeigt das ganze Grauen der Schreckensherrschaft der nationalsozialistischen Machthaber:

„An den 23. April 1945 kann ich mich noch gut erinnern. Ich war damals 27 Jahre alt. Mein Mann war als Soldat im Krieg, und ich mußte mit meinen kleinen Kindern unsere Landwirtschaft erhalten. Die Tage vor dem 23. April waren sehr bewegt und chaotisch. Tiefflieger schossen auf alles, was sich im Dorf oder auf dem Feld bewegte. Dann auf einmal, an diesem 23. April war es ganz „staad“. Diese plötzliche Stille wirkte auf uns aber nicht beruhigend, ganz im Gegenteil: Sie kam uns unheimlich vor, und wir warteten nun auf ein schreckliches Ende.

An diesem Tag beobachteten wir ein einziges amerikanisches Aufklärungsflugzeug, das immer wieder über dem Spitalholz kreiste. Was es auskundschaftete ahnten wir nicht. Hinterher allerdings war uns klar, daß die Amis den nahenden Zug der Kzler für deutsche Soldaten hielten. Gegen ½ 5 Uhr abends sah ich vom Zimmer aus, wie zwei alte Nachbarinnen ganz gespannt in Richtung Gschwendt schauten. Ich wollte auch sehen, was die beiden beobachteten, und ging vors Haus zum Gartentürl. Da sah ich auf der Straße einen langen Zug von menschlichen Gestalten daherkommen. Es mochten mehrere hundert Personen gewesen sein. Auf beiden Seiten wurde der Zug von SS-Wachsoldaten begleitet, die alle Maschinenpistolen mit sich trugen. Die Leute, die sie auf dem Marsch begleiteten sahen entsetzlich aus, wie wandelnde Leichen. Ihre Gesichter waren total ausgemergelt. Die Sonne, die den ganzen Tag sehr kräftig schien, hatte sie auf dem langen Marsch aufgebrannt. Ich konnte nicht unterscheiden, ob es Männer oder Frauen waren, denn diese vom Tod gezeichneten Gesichter schauten alle gleich aus. Bekleidet waren die Armen mit völlig zerlumpten dunklen Mänteln, auch gestreifte Sträflingskeidung sah man. Die wundgelaufenen Füße steckten in zerfetzten Schuhen.

Die ganze Kolonne bewegte sich nur sehr langsam vorwärts. Es war kein Marschieren in geordneten Reihen mehr, vielmehr ein dumpfes Dahinwanken, ein müdes, hoffnungsloses   Dahin-“Schloipfen“. Viele entkräftete Männer wurden von anderen in die Mitte genommen, einer hielt den anderen, und so schleppten sie sich gegenseitig den ganzen Weg entlang....

In meiner nächsten Nähe wurde kein Häftling erschossen. Ich weiß nur von Berichten anderer Augenzeugen aus unserem Dorf, daß die Männer, die vor Schwäche nicht mehr weiterkonnten und zu Boden fielen, sofort an Ort und Stelle durch Genickschüsse umgebracht wurden...“.

 

In der zitierten Schrift bringt Guido Scharrer auf Seite 19 ein weiteres Gesprächsprotokoll mit Maria Foidl aus Wolferszell:

„Bei den Gefangenen tagsüber sah ich nur Männer. Abends nach Einbruch der Dunkelheit kam dann ein Zug mit gefangenen Frauen. Das war gerade die Stunde, als in Steinach das Schloß lichterloh brannte. Als die vorbeiziehenden Frauen den Schein der Flammen sahen, hörte ich eine Frauenstimme ausrufen: „Da hinten brennt`s !“ Ob der Ausruf von einer Gefangenen oder von einer begleitenden Wärterin kam, konnte ich nicht erkennen“.

 

 

Die Gemeinde Steinach errichtete im Herbst 2005 für die im Gemeindebereich getöteten KZ-Opfer im Steinacher Friedhof einen Gedenkstein mit Gedenktafel.

 

Gedenkstaette flossenburg 2

 

 

 

Fortsetzung des Rundfunk-Interviews Kellermann

Kellermann:
 „In Steinach steigt gegen Abend Qualm auf. Das Neue Schloss brennt. Das Ende von Schloss Steinach erlebte Leni Liebchen nicht unmittelbar.“

Leni Liebchen:
„Von Regensburg her hat man bereits die Artillerie gehört und es sagte der Sachbearbeiter meines Chefs – der Chef war nicht mehr da – ich sollte nach Hause gehen. Ich hatte auch die Nachricht bekommen, dass mein kleiner Bruder gefallen war. Also er könnte es nicht mehr verantworten und er hat dafür gesorgt, dass ich meine Papiere bekam und dass ich am Abend mit dem Kurierwagen nach München fahren konnte, ein „Horch“ - ein schöner Horch war es. Wir hatten lauter Horch gehabt als Kurierwagen. Der Kurier kam von Berlin und ist dann in der Nacht weitergefahren nach München“.

Kellermann:
„Erlebt hat den Brand des Neuen Schlosses Steinach dagegen Karl Schneider aus Straubing. Sein Vater war damals Stadtbrandrat. Er selber war Jungfeuerwehrmann“.

Karl Schneider:
„Von Straubing aus hat sich dies so dargestellt, dass rund um die Uhr ein  am Stadtturm positionierte Beobachtung war, als ein großer Feuerschein aus Richtung Norden, aus dem Gebiet Steinach. Die Luftschutzeinsatzleitung der Stadt Straubing und mein Vater waren der Meinung, die Straubinger Feuerwehr müßte Löschhilfe leisten, weil ja die Dorffeuerwehren damals für solche Brände gar nicht ausgerüstet waren. Aber der Oberbürgermeister Dr. Höchtl hat sofort gesagt: „Kommt nicht in Frage, kein Feuerwehrfahrzeug verläßt die Stadt !“

Kellermann:
„Höchtl kannte nämlich den ausdrücklichen Befehl: das Neue Schloss Steinach muss brennen. Und mit ihm müssen alle ausgelagerten Akten der Nazi-Parteizentrale verbrennen. Hitlers Nero-Befehl galt auch und gerade für die Dienststelle „Übersee“. Martha Sperl, die Telefonistin, erlebte sogar noch die Vorbereitungen für das gewaltige Feuer. Akten wurden aus den Kellern in die hölzernen Baracken im Garten geschafft. Die Baracken selber wurden präpariert.

Martha Sperl:
„Es ist vorher schon gestrichen worden, daran kann ich mich erinnern, weil wir gesagt haben: „Was werden sie jetzt machen ? Das brennt ja am Besten !“ Es hat ja schnell brennen müssen. Alles verbrannt.“

Kellermann:
„Der Brand war weithin sichtbar. Von den benachbarten Bauernhöfen kamen die Menschen, z.B. der heute 87jährige Hans Bauer, der als Bub noch mit Max von Schmieder,  dem Sohn des Schlosserbauers, in den prunkvollen Räumen gespielt hatte“.

Hans Bauer:
„Die haben alles liegen und stehen gelassen und sind verschwunden. Da ist niemand mehr da gewesen“.

Kellermann;
„Daran dass die Menschen aus den rauchenden Ruinen zu retten suchten, was zu retten war, daran erinnert sich der heute 69jährige Hans Kirmer, der damals als Verwundeter auf Heimaturlaub war“.

Hans Kirmer:
„Von unserem Haus, da sieht man gut aus. Der Qualm drüben ist weggezogen. Am anderen Tag, da ist meine Schwester raufgefahren. Da hat man, dort wo es nicht gebrannt hat, verschiedenes Zeug rausgeholt: Wein und Schreibmaschinen, Essgeschirr, Teller und Tassen“

Kellermann:
„Für die Mauerreste und vor allem für die Akten – soweit solche noch übrig waren – hatten die Menschen damals eines besondere Verwendung. Der Schwiegervater von Karl Penzkofer hat diese Tage erlebt und ihm weitererzählt“.

Karl Penzkofer:
„Da haben sie natürlich alles niedergemacht. Die sind damals rausgefahren mit den Wägen und haben die Steine geholt für ihre Feldwege, haben die übriggebliebenen  Akten geholt als Heizmaterial und haben dann sich – man könnte vielleicht so sagen – gerächt an dieser Vergangenheit. Die Steinacher sagen, dass im Prinzip nur der Dachstuhl und die Inneneinrichtung verbrannt sind, dass aber das Haus, das steinerene Haus, eigentlich unbeschädigt war. Es war nicht so zerstört, dass man keine Chance gehabt hätte, aber man hat dem Schloss keine Chance mehr gelassen. Man wollte mit den Steinen die Vergangenheit bewältigen“.

Kellermann:
„Heute künden nur noch der weithin sichtbare Turm, die Torbauten und die überwucherten Fundamente vom Glanz des Neuen Schlosses Steinach“. Heimatforscher Hans Agsteiner erzählt bei einem Spaziergang durch den Schlosspark“

Hans Agsteiner:
„Hier ist das großartige Herrenhaus gestanden, das lange Zeit Ruine war und dann zu Ziegelsplitt verarbeitet worden ist, so in den 60iger Jahren. Man hat die Keller stehen gelassen, wir sehen sie heute noch vor uns, auch die Grundmauern sind noch deutlich zu erkennen“.

Kellermann:
„Einen Eindruck vom alten Glanz vermittelt auch das Gärtnerhaus beim alten Torbau, an dessen Rückseite noch der schwarz-braune Tarnanstrich zu sehen ist, mit dem alle Gebäude vor Fliegerangriffen geschützt werden sollten“.

 

„Bald werden die Baracken brennen...“

Auch der bereits erwähnte anonyme Verfasser des Zeitungsberichts „Die geheime Dienststelle „Übersee“ in Steinach berichtet über den Schlossbrand:

„Es kamen also die allerletzten Tage. Was da in den Büros der Bonzen vor sich ging, wissen wir nicht. Jedenfalls wurde jetzt fast täglich Wein ausgegeben. Infolgedessen stieg die Stimmung. So etwa: nach uns die Sintflut. Manch höherer Würdenträger war von früh bis spät benebelt. Abends konnte sich die „Fröhlichkeit“ zu wilder Ausgelassenheit steigern, die dann grausig wirkte. Frauen aus dem Führerinnenkorps der Reichsfrauenschaft kamen, für eine Nacht. Manche Ärztin darunter. Zigaretten, Liköre wurden ausgepackt, geistreiche Gespräche geführt, die sich dann allmählich in Wolken von Rauch-, Kaffee- und Alkoholdüften verwoben. Am Morgen war dieser Gespensterspuk wieder verstoben. Der Ami rückte näher. Schon längere Zeit vorher, als man von Nürnberg her nachts das Artilleriefeuer hörte, wurde man zurecht gewiesen, wenn man davon sprach: „Das war selbstverständlich deutsche Flak“. Im übrigen habe so etwas geheim zu bleiben. Schade, daß die Nazis den Zusammenbruch nicht auch geheim halten konnten. Wir hätten bis heute nichts davon gemerkt.

Jedenfalls: jetzt war es so weit. Zuerst sah man Wagen mit Möbeln, Teppichen, Radios wegfahren; der oder jener Bonze brachte seine Diebesbeute in Sicherheit. Dann plötzlich Befehl: Alle Angestellten in den Schloßhof ! Wer konnte, drückte sich natürlich. Die anderen hatten eine Kette vom Hof bis an die Baracken zu bilden. Und von Hand zu Hand  gingen, flogen, flatterten nun die kostbaren Personalakten aus den Kellern. Sie wurden gestapelt, um mit den Baracken verbrannt zu werden. Aus. Die ganze Pg-schaft des Großdeutschen Reiches auf dem Scheiterhafen. Nur die wichtigsten hatte man vorher noch ausgelesen, ein paar armseelige Kisten voll, um sie nach Berchtesgaden in den „Adlerhorst“ des Führers , nach der Festung „Tirol“ und womöglich in den Untersberg zu schaffen. Als Grundstock für den demnächstigen Wiederaufbau.

Es ging nun das allgemeine Packen an. Hunderte von Büro- und Telefonmädchen brachten ihre Koffer in die Eingangshalle, wo das Gepäck sich zu Bergen häufte. Es sollte im Lkw nachgebracht werden. Wurde gesagt. In Wirklichkeit dachte man nicht daran. Dann wurde für die männlichen Angestellten , die wenn es noch gelang, nach München sollten, um dort den Volkssturm zu verstärken oder sonst in die Wälder, der Proviant verteilt. Da bekam dann jeder eine Tüte, in der folgende reichen Vorräte waren.: je ein Pfund Reis, ein Verbandpäckchen, eine Schachtel Zündhölzer und eine kleine Kerze, Kaffee, Zucker, Zigaretten, Dosenkonserven – nichts wurde angegriffen. Niemand erhielt etwas. Als jemand um zwei Leintücher bat, erhielt er zur Antwort er sei wohl verrückt. Der Dienst ginge morgen unverändert weiter.  Und die rückständigen Gehälter ?  Die Arbeitslöhne ? Nicht ein Pfennig wurde ausbezahlt, obschon im Kassenraum ein Holzbehälter stand, randvoll mit Bargeld. 100 und 50-Markscheine. Es muß schätzungsweise ein gute Million gewesen sein. Die Bonzen haben also das Geld unter sich verteilt.

Es ist der 23. April. Immer neue Autobusse und Lkw`s, Pkw`s kommen und gehen. In der Frühe sind noch einige Schweine schwarz geschlachtet worden. Halbverarbeitet liegen sie in der wüsten Küche. Im Hof tritt der Volkssturm an, also alle männlichen Angestellten. Außer ? Nun ja, Drückeberger gab es auch hier. Die keine Lust haben, sich „siegreich abzusetzen“. Auch die Russen (Anmerkung: wohl russische Kriegsgefangene oder Gastarbeiter) drückten sich zeitig, auf den Rat eines Abteilungsleiters, der erfahren hatte, diese etwa 50 Menschen im letzten Augenblick durch die SS „abzutransportieren“.

Bald also werden die Baracken brennen. Nein, nicht das Schloß selbst. Es soll samt der unschätzbaren Bibliothek und dem reichen und wertvollen Inventar erhalten bleiben. So versicherte man ehrenwörtlich. Bloß in den Kellern, so heißt es, sollen ein paar Aggregate der Fernschreiber gesprengt werden. Aber woher kommt nur der durchdringende Benzingeruch ?

Die Wagen mit den Frauen rollen ab. Auf die Lkws der Männer werden vorsorglich Weinkisten geladen. Nicht etwa das Gepäck der Frauen. Das bleibt in der Halle. Viele der Helden kommen jetzt, die Arme voll Likörflaschen aus dem Keller. Die Baracken gehen hoch. Qualm steht schon dick über dem Walde, knatternder Feuerschein. Und jetzt blitzt auch Feuerschein  rot aus den Kellerfenstern des Schlosses selbst. Nur die Aggregate ? Die „Wehrwölfe“ besteigen nach und nach die Lkws. Prosten einander mit den Schnapsflaschen zu. Johlen. Und dann, ganz plötzlich, steht die Eingangshalle des Schlosses unter dem Turmbau in hellen Flammen. Hat man Benzin über das Gepäck geschüttet ? Die Koffer der Frauen verbrennen. Es brennt in den Räumen über den Kellern. Aus dem Hitlerzimmer lodern die Flammen. Die Fensterscheiben zerspringen. Und nun Feuer auch droben. Der Dachstuhl brennt. Die „Geschenkbücherei“. Dicker giftiger Qualm dringt aus den Räumen der Bibliothek im ersten Stock. Das elektrische Licht ist längst erloschen. Nacht liegt über dem Wald. Und Schloß Steinach brennt lichterloh. Man hatte die ganzen Bodenräume mit Benzin übergossen. Und dann ehrenwörtlich versichert.

Schon lange sind die Lkw`s mit den fliehenden Helden davon. Man hörte später, daß sie den Brand noch bis Landshut sahen und die Schnapsflaschen den Flammen zuschwangen. Das war das Ende. Am nächsten Morgen war das Schloß ausgebrannt. Von der Bibliothek war nichts mehr zu retten gewesen. Die Vorräte verbrannten. Die teilweise noch unversehrten Weinkeller erbten die zurückkehrenden Russen und die vielen Polen der Umgebung.

 

Nach Auskunft von Hans Janker und Paul Hübel aus Münster gab es keine Explosion, viel mehr eine dumpfe leise Verpfuffung.

 

 

Lageplan Baracken 2

Ausschnitt aus der "Aufnahme des Schloss- und Parkgrundstückes des Herren C.A.v.Schmieder nach vollendeter Herstellung, Steinach 1909", mit späterer Einzeichnung (Anfang 1945) der Parteikanzlei-Baracken (Nr. 1-2, beim Schlossbrand zerstört), sowie der zwei Bunkeranlagen
(Quelle: Privatbesitz Walter Maier)  mit gerahmten Hinweisen des Verfassers

 

Die Steinacherin Hedwig Simmel erzählt...

Hedwig Simmel, Tochter von Karl Kimberger sen. aus Steinach (Baugeschäft, Schreinerei, Zimmerei), erinnert sich an folgende Details:
Die Firma Kimberger hat in den letzten Monaten des Krieges (Herbst 1944 oder     Frühjahr 1945) den Auftrag ausgeführt, die Holzbaracken am nördlichen Schlosshang     links am Weg Richtung Ried-Haus zu errichten. In diesen Baracken sollten Akten gelagert werden.  Der ganze Betrieb Kimberger war während des Kriegs dienstverpflichtet worden. Er musste sämtliche Arbeiten im Neuen Schloss ausführen, für die ihm der Auftrag erteilt wurde. Dazu wurden ihm kostenlos Arbeitskräfte zur Verfügung gestellt. Das waren kriegsversehrte Soldaten sowie drei russische Gefangene. Öfters waren die Architekten Engelhard und Starke von der Universität Dresden bei Karl Kimberger, um mit dem Bauunternehmer diverse  Arbeiten am und im Neuen Schloss zu besprechen.  Auch Hedwig Simmel war während des Krieges dienstverpflichtet worden zum Roten Kreuz und leistete als Krankenschwester Dienst im Straubinger Krankenhaus.

Kurz vor dem Schlossbrand fuhr ihr Vater Karl Kimberger mit dem Motorrad hinauf ins Neue Schloss, um noch offene Rechnungen einzutreiben, da sich schon überall herumgesprochen hatte, dass die Dienststelle aufgelöst würde. Oben im Schlosshof stand der Bus, mit dem die Bediensteten immer geholt und nach Hause gebracht wurden. Der Bus war voll mit den Bediensteten. Vater Kimberger hat den bereits im Bus sitzenden „Zahlmeister“, mit dem er die früheren Aufträge abgerechnet hatte, erkannt und ihn wegen der Zahlungsrückstände angesprochen. Er erhielt zur  Antwort: „Das ist bereits überwiesen“. Mit dem Abtransport des Personals war die Dienststelle geschlossen.

(Anmerkung des Verf.: Bei den erwähnten Baracken zwischen Schloss und dem Ried-Haus, von denen heute noch einige Fundamente links neben dem Weg vorhanden sind, handelt es sich um jene präparierten Baracken, die der  angeführte  anonyme Verfasser „NSt“ schildert, in welche verschiedene  Akten zunächst verbracht und die als Erstes angezündet wurden).

Hedwig Simmel ist mit ihrer Bekannten Laumer, verh. Strankowitz, am Tag des Brandes am Nachmittag mit dem Fahrrad zum Neuen Schloss hinaufgefahren, weil ihre Bekannte, die  dort oben als Telefonistin beschäftigt war,, sich noch ihr Radiogerät holen wollte. Es war niemand mehr da. Der Bus und die sonstigen Fahrzeuge mit den Angestellten waren schon weg.

Das untere Tor und das Tor in den Schlosshof standen offen. Totenstille herrschte im ganzen Areal. Die beiden hatten den Eindruck, dass niemand mehr da wäre. Hedwig Simmel wartete auf ihre Freundin, die in das Schloss gelaufen war,  am oberen Tor. Da kam ein Kübelwagen herangerast. Ein SS-Mann sprang heraus und rief ihr zu: „Schau dass du wegkommst, hier brennt es gleich !“ Die SS-Schlossbewacher sind allesamt Deutsche gewesen.

Hedwig Simmel ist dann  runter zum Teehaus gelaufen und hat dort auf ihre Bekannte gewartet, die auch  bald mit ihrem Radio angekommen ist. Beide fuhren dann nach Hause; Hedwig  Simmel nach Steinach, ihre Bekannte mit dem Radio nach Kirchroth. Abends brannte dann das Neue Schloss.

 

Wilhelm Endres und sein Sondereinsatz „Schlossbewachung“

Der Steinacher Philipp Berner teilte dem Verfasser folgende Episode aus den letzten Tagen der Parteikanzlei im Neuen Schloss mit, die dort sein Cousin Wilhelm Endres aus Köttweinsdorf (Geburtsjahrgang 1921) erlebt hat. Endres habe ihm Folgendes sinngemäß erzählt:

„Unsere Funkeinheit kam auf dem Rückzug von Norden nach Parkstetten und wurde dort stationiert, um von da aus Meldungen über das Nachrücken der amerikanischen Truppen und die allgemeine Lage an die Truppenteile südlich der Donau zu übermitteln. Da uns in Ascha ein Auto mit Geräten liegen geblieben war, mussten zwei Mann am folgenden Tag irgend eine Fahrgelegenheit finden, um  nach Ascha zu kommen und die Sachen zu holen. Alsbald stoppte ein SS-Fahrzeug, bei dem wir beide aufsteigen und mitfahren konnten. Nach kurzer Fahrt bog der Fahrer jedoch plötzlich nach links von der Straße ab und fuhr  an Steinach vorbei zum Neuen Schloss. Dort wurden wir zum Wache stehen abkommandiert, kamen aber zum Glück nebeneinander zu stehen und behielten unsere normale Uniform.

Nach Einbruch der Dunkelheit entschlossen sich mein Kamerad und ich bald abzuhauen, um nicht am Ende noch mit den SS-Leuten in Gefangenschaft zu kommen. Wir lehnten unsere Gewehre an einen Baum und schlugen uns dann zu Fuß zurück nach Parkstetten. Am nächsten Tag sah ich in Richtung Steinach eine große Rauchsäule aufsteigen, wusste damals aber nicht, um welches Brandobjekt es sich dabei handelte und auch nichts über die Zusammenhänge und  Hintergründe unseres vortägigen Sondereinsatzes...“

 

Der Schlossbrand in den Tagebuch-Aufzeichnungen des Grenadiers Ernst Hermann

Frau Sabine Herrmann aus Koblenz teilte mir mit Schreiben vom 17. Oktober 2007 mit, dass ihr Vater Ernst Herrmann, geb. 10. Mai 1928, beim Rückzug an dem brennenden Neuen Schloss Steinach vorbeikam und darüber Tagebuch-Aufzeichnungen gefertigt hat, die nachstehend widergegeben werden:

„23. April 1945

Abmarsch nach Münster (25 km). Bisher 11 Mann „stiften“ gegangen.

  1. April 1945

Ankunft am Morgen. Brennendes Schloss, in der die Parteikanzlei untergebracht war ! Überstürzte Flucht: Verstreute Akten, Bücher, Suppe im Kessel, gefüllte Benzinfässer, ein Auto und hunderte von Flaschen Wein, der aus den heissen Kellern herausgeholt wurde ! Abmarsch um 21.30 in Richtung Schnadding (Anmerkung: = Schneiding) über Straubing. Durch Verlaufen ein bedeutender Umweg, deswegen mindestens 40 km ! Tote im Graben (Anmerkung: vom KZ-Zug)“

Für die freundliche Überlassung des Tagebuchauszugs danke ich Frau Sabine Herrmann sehr herzlich.

 

Der Schlossbrand nach den Aufzeichnungen des Steinacher Hauptlehrers August Pfeffer

Der damalige Steinacher Hauptlehrer August Pfeffer hat in einem tagebuchähnlichen Bericht die letzten Kriegstage in Steinach aufgezeichnet. Er hat den Bericht aber wohl erst viel später verfasst und sich im Datum über den Schlossbrand getäuscht. Nach obigen Aussagen der zwei Wolferszeller Frauen wurde der Brand am Abend des Todesmarsches, also am 23. April 1945 gelegt und das Schloss brannte dann am 24. April vollständig aus  (vgl. auch „Gemeinde Steinach im Bild“, Seite 7,  Text verfasst vom ehemaligen Steinacher Bürgermeister Josef Schneider).

Bericht Hauptlehrer Pfeffer:

„20.4.45 (richtig. „23.4.45): Ich gehe mit dem Förster Ried zum letztenmale auf den Schnepfenstrich zur Denglerwiese. Man hört ganz deutlich den Kanonendonner aus Richtung Schwandorf. Unsere Herzen sind voll Sorge. Was werden die nächsten Tage an Unheil über uns bringen. In dieser Nacht brannte das Neue Schloss. Es war ein schauerlicher Anblick. Die SS-Abteilung, die in einem Schulzimmer seit Wochen einquartiert war, hat den Brand gelegt, damit die Akten der Reichsleitung „Bormann“ den Amerikanern nicht in die Hände fallen sollten. Die anfahrenden Feuerwehren aus Münster und Steinach werden mit vorgehaltener Maschinenpistole am Löschen gehindert. Als das Schloss ausgebrannt war, haut die SS ab und hinterlässt ein allgemeines Aufatmen.

 

22.4.45 (richtig 24.4.45)  Alles rennt zum Plündern. Auch mehrere Kinder versuchen ihr Glück. Sie bringen ein Wägerl voll Briefpapier, etliche Bücher, Kleberollen – lauter wertloser Tand. Nachmittags gehe ich auch hin, finde aber nichts mehr. Der Schlosshof voll Menschen, die aus der brennenden Ruine alles Bewegliche herausholen, sogar die Closetts. Aus dem Nordflügel, wo die wertvollen Schriften aus der Staatsbücherei München untergebracht waren, lodern die Flammen. Ich hätte zu gerne etwas gerettet, aber auch die angelehnte Leiter brannte bereits. Am Eingang zum Westflügel staut sich die Menge. Hier hat jemand ein Loch in die Mauer gebrochen und dadurch den Zugang zu den Kellergewölben freigemacht. Es ist wie eine Prozession: Die einen kommen mit vollen Weinflaschen heraus, die anderen drängen wie irrsinnig hinein. Ich lasse mich treiben und stehe bald vor dem Loch, das sich wie ein Höllenschlund auftut. Mit einem gewagten Sprung lande ich unten in der Finsternis. Die zahllosen Gewölbe sind angefüllt von Rauch und Feuer, das durch die brennenden Kamine nach unten stürzt. In einem breiten Gang lodern Aktenbündel. Ihn kann man nur im Laufschritt überwinden. Immer läuft eine ganze Gruppe. Es wimmelt von Menschen, die man nicht sehen, sondern nur fühlen kann. Meine Füße waten in Glasscherben und Wein. Ich habe Sorge um meine Gummistiefel. Da flammt eine Kerze auf. Einer, anscheinend schon betrunken, steigt auf die Schultern seines Vordermannes, greift mit beiden Armen die aus der Nische ragenden Flaschenhälse und reißt alles herunter. Was nicht im Fallen aufgefangen wird, zerschellt am Boden. Männer und Weiber in totem Wirbel, eng umschlungen und mit trunkenen Augen füllen alle die finsteren Gewölbe. Da überkommt mich ein Grausen vor dem Hexensabbath und ich fliehe schleunigst ohne Beute ins Freie. So ist der Mensch: mitten im Untergang hängt er sein Herz an geringen Tand und fühlt sich glücklich wie ein Kind, das aus einem Müllhaufen eine glänzende Scherbe aufliest“.

Als die Amerikaner am 25. April 1945 Steinach besetzen, finden sie vom Hauptgebäude des Neuen Schlosses nur noch rauchende Trümmer vor. Der damalige Steinacher Hauptlehrer August Pfeffer vermerkt dazu in einem Bericht (veröffentlicht im Steinacher Gemeindeboten, März 2002):

 

25.4.1945

„Früh halb acht, kommt ein schmutzbedeckter Soldat auf dem Fahrrad an. Aufgeregt frägt er nach den geflüchteten Eisenbahnern. Die Amerikaner seien in Cham eingedrungen. Dort werde noch gekämpft, sein Kamerad sei gefallen....Gegen Mittag kommt mein Sohn Heribert vom Schulgarten gelaufen und schreit: „Papa, die Ami-Panzer rollen unten auf der Straße“.  Ich sage meiner Frau, die im Waschhaus arbeitet, Bescheid und schicke die ganze Familie in den Keller. Dann gehe ich in mein Schulzimmer und blicke durch das Fernglas gegen Rotham. Da stehen sie unten und machen Front gegen das Dorf. Vom Kirchturm flattert plötzlich eine weiße Fahne, ebenso vom Pfarrhof. Ich frage die Bäckermädchen, ob das Hissen der Fahnen vom Bürgermeister angeordnet sei. „Ja, gewiss !“ Also tun wir sie auch heraus....Dann rollen sie langsam heran, den Gendarm als Schutzschild vorn drauf. Beim Landstorfer halten sie. Wie Katzen springen die Amis ab.....Oben beim Gierl-Haus haben die Panzergranaten eingeschlagen, das Mädchen Rohrmüller getötet und einen Telefonmast zerschmettert. Beim Ried ist eine Gruppe deutscher Offiziere. Sie sind ratlos was zu tun sei. Die einen sind für die Übergabe, die anderen für Weiterkämpfen....“

 

Der Steinacher Max Simmel erinnert sich an den Einzug der Amerikaner (vgl. seinen Bericht „Die letzten Kriegstage in Steinach (II)“ im Gemeindeboten Juni 2000:
„Der 25. April 1945 war ein sehr schöner Frühlingstag. Mein Bruder Adolf, mein Schulkamerad Kirmer und ich lagen in unserem Garten im jungen Gras in der Sonne, als ein Flugzeug an der B 20 entlang Richtung Rotham flog. Ich sagte zu Kirmer: „Mensch, das ist eine Ente“. Wir nannten diesen Flugzeugtyp an der Front in Italien nur „die Ente“. Es war ein Nahaufklärer und ich sagte: „Da ist die Front nicht weit weg“. Das Flugzeug flog wieder Richtung Wolferszell zurück. Zehn Minuten später kamen ein Jeep und ein Panzer. Ungefähr 50 Meter vor       dem Rothamer Kreuz blieben sie stehen. Der Panzer drehte sein Kanonenrohr Richtung Steinach und es fielen die verhängnisvollen Schüsse, bei denen Maria Rohrmüller tödlich verletzt wurde“.

 

Wolfgang Bach und Hans Vicari führen in ihrem Buch „Straubinger Donaubrücken“ S. 293 ff zum Einmarsch der Amerikaner Folgendes aus:
„Noch bevor am 25. April die Amerikaner Kirchroth besetzten, zieht das dort in Stellung befindliche Ausbildungs- und Ersatzregiment Hohenfels mit 2 000 Rekruten im Alter von 17 Jahren über die Donaubrücken ab. Der Kommandeur denkt nicht an Widerstand, sondern an das Leben seiner Soldaten. Der in Straubing erwartete Artilleriebeschuss bleibt aus. Der Stadtkommandant von Straubing, SS-Hauptsturmführer Karzerowski, erwartet einen Angriff von Norden. Deshalb werden am Donnerstag, dem 26. April 1945, zuerst die äußere, kurz darauf, etwa um 6 Uhr morgens, die innere Donaubrücke gesprengt...

Die NS-Kreisleitung hatte am 25. April bekanntgemacht: „Straubing wird verteidigt...Straubing wird und muß seinen Teil zum Siege beitragen“. Volkssturmeinheiten wurden zur Verteidigung eingeteilt...Doch in der Bevölkerung war kein Wille mehr da zur Stadtverteidigung, insbesondere nach der Drohung der Amerikaner, im Verteidigungsfall  die Stadt durch einen Luftangriff in einen brennenden Trümmerhaufen zu verwandeln. Der Luftangriff konnte verhindert werden, und am Samstag, den 28. April 1945, gegen 11 Uhr, marschierten die amerikanischen Truppen von Westen her ein und besetzten die Stadt. Kampflos erfolgte die Übergabe. Die Amerikaner hatten bei Niederachdorf mit einer in kürzester Zeit errichteten Pontonbrücke die Donau überquert“.

Über die Bemühungen des Oberbürgermeisters Dr. Otto Höchtl und seines wagemutigen Parlamentärs Otto Hiendl, durch Verhandlungen die Amerikaner von einem Luftangriff und einem Einrücken von Norden her abzuhalten, sowie über den Einmarsch der Amerikaner, vgl. Bach/Vicar a.a.O. S. 296 FN 9 und die dort angegebene Literatur.

 

 

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Nur noch eine Ruine - das einst prächtige Hauptgebäude des Neuen Schlosses Steinach

 

Die Amerikaner erließen nach dem Schlossbrand eine Bekanntmachung, nach der das Plünderungsgut wieder abgeliefert werden sollte. Die Leute kamen dem Aufruf aber nur zögerlich nach. Franziska Eschlwech aus Münster erinnert sich:

„Mit vorgehaltenem Gewehr forderten die neuen Besatzer unseren Nachbarn auf, eine angeblich beim Schlossbrand geplünderte Schreibmaschine abzugeben. Doch der Nachbar hatte gar keine Schreibmaschine. Erst als die Kinder  jämmerlich weinten, ließen die Amis von ihm ab. Wir  hatten alle Angst und fürchteten um unser Leben. Die Besatzer verbrannten schließlich das zurückgegebene und bei den ehemaligen Stallungen in Neuen Schloss Steinach aufgetürmte Plünderungsgut.“

 

Warum das Schloss angezündet wurde

Die Ursache für den fürchterlichen Brand war die Furcht der Nazi-Größen, dass den Allierten belastendes Material in die Hände fallen könnte. Man wusste, dass man schreckliches Unrecht getan und Verbrechen begangen hatte. Die Siegermächte würden nach dem Krieg über sie zu Gericht sitzen, was dann bei den Nürnberger Prozessen auch geschehen ist. Im Rahmen von Entnazifizierungsmaßnahmen wurde belastendes Material gesammelt und weit weniger bedeutende Nazi-Größen gerichtlich zur Rechenschaft gezogen.

Die Verbrennung von Übersee-Akten wurde schon Monate vor Kriegsende in Erwägung gezogen. Der Leiter der Abteilung II  schreibt in einem Telegramm, die Aktenvernichtung bereite ihm Sorgen. Man zog bereits in Erwägung, das ganze Schloss anzuzünden, denn der Straubinger Oberbürgermeister Dr. Höchtl hatte die Anweisung, dass, falls Schloss Steinach brennen sollte, die Straubinger Feuerwehr nicht zum Löschen ausrücken darf. Es sollte alles verbrennen. Glaubwürdig ist, dass man zunächst das schöne Schloss schonen wollte. Die Zeitzeugen berichten, dass man zunächst versuchte, alle Akten aus den Kellerräumen in die präparierten Baracken Richtung Riedhaus zu transportieren und dort anzuzünden. Doch das erwies sich als zu aufwändig, die Zeit drängte, die Amerikaner waren schon in der Nähe.

Wer letztlich den Befehl zum Anzünden gab, ist bisher nicht bekannt. Die Angestellten von Übersee und auch die SS-Wachmanschaften handelten sicher nicht aus eigener Machtvollkommenheit. Mit Sicherheit kam der Befehl von oben, wahrscheinlich von Reichsleiter Martin Bormann, dem Hausherrn des Neuen Schlosses Steinach; denn die ursprünglich von ihm geplante Verlegung von Übersee nach Südtirol ist nicht mehr durchführbar gewesen.

Dass der Schlossbrand auf Hitlers Nero-Befehl zurückzuführen ist, wie Redakteur Kellermann behauptet, ist wenig wahrscheinlich. Nach dem Nero-Befehl sollten vor allem militärische Anlagen und Versorgungseinrichtungen vernichtet werden, nicht aber Bürogebäude.

 

 

Die Bedeutung der Dienststelle Übersee im Neuen Schloss Steinach im NS-Apparat

Es stellt sich die Frage, welche Bedeutung die geheime Dienststelle „Übersee“ für die NSDAP und das Dritte Reich hatte. War es nur eine Aktenverwaltungsstelle oder wurden hier auch weittragende politische Entscheidungen gefällt  Die Antwort liegt wohl irgendwo in der Mitte. Wer die obigen Ausführungen aufmerksam liest, kommt wahrscheinlich zu dem Ergebnis, das die Zweigstelle „Übersee/Steinach“ der Parteikanzlei München  kein unwichtiger Teil des Parteiapparats war. Die Tatsache, dass Reichsleiter Martin Bormann, der als Sekretär und quasi Stellvertreter des Führers, sich im 1. Stock des Neuen Schlosses eine Luxuswohnung mit Reichsleiterbüro durch Hitlers Leibarchitektin  Prof. Troost einrichten ließ, deutet darauf hin, dass er hier um ein Ausweichquartier Bormanns handelt.  Die beiden Abteilungsleiter, die ebenfalls Wohnungen in derselben Etage hatten und benutzten, waren zwar keine „hohen Tiere“, wie der anonyme Berichtsverfassser kommentiert, hatten aber dennoch eine nicht zu unterschätzende Machtbefugnis. Dies zeigt sich in der heftigen Kritik des Abteilungsleiters Folger in den letzten Kriegstagen am Straubinger Kreisleiter Hartmann und seiner Überlegung, beim Reichsleiter (Bormann) parteidisziplinäre Maßnahmen anzuregen. Die Abteilungsleiter waren Verwaltungschefs und für das Funktionieren ihrer „Ämter“ verantwortlich. Auch die bedeutende Telefonvermittlung mit zahlreichen Anschlüssen und Verbindungen zum Führerhauptquartier in Berlin, zur Hauptstelle der Parteikanzlei in München sowie zum Berghof in Berchtesgaden und der ständige Kurierdienst mit diesen Stellen deuten darauf hin, dass im Neuen Schloss Steinach nicht nur Akten abgelegt wurden.

Große politische Entscheidungen wurden hier allerdings nicht getroffen. Wenn auch die Gerüchteküche vom Besuch hoher Nazi-Größen, wie Hitler, Bormann, Göring usw. erzählte, tatsächlich gesehen hat sie niemand.