Wenn Kinder in d'Froas gefallen sind
von Claudia Heigl
„Foi net in d’Froas“ ein alter bayerischer Ausspruch, dessen Bedeutung viele gar nicht mehr wissen. Dabei war die „Fraisen“ (mundartlich „Froas“) in fast jeder Familie eine gefürchtete Kinderkrankheit. Auch das heutige noch gebräuchliche „Fruisen“ oder „Froisen“ (=Frieren, Zittern) kommt hiervon. „Froaselnde“ Säuglinge verdrehten die Augen und bekamen krampfhafte Zuckungen.
„Fraisen“ geht auf das mittelhochdeutsche Wort „vreise“ zurück, was so viel bedeutet wie „Not, Angst, Gefahr, Schrecken“. Dies drückt schon aus, was man als Ursache des Leidens vermutete: Schrecken und Angst. So war allgemein verbreitet, wenn sich ein Kind erschreckte, so hat es die „Froas“ gekriegt. Vielfach nahm man auch an, dass sich die Mutter in der Schwangerschaft oder während des Stillens gehörig geschreckt hätte. Als Schutz gegen diese Krankheit wurden den Kindern sog. „Froashauben“ aufgesetzt, die mit bestimmten Stickereien versehen wurden.
Ein sechs Monate alter Junge, der 1926 an der "Froas" gestorben ist.
(Bild: Archiv für Heimatgeschichte Steinach)
In den Kirchenbüchern der Pfarrei Steinach des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, auf deren Auswertung die vorliegende Untersuchung im Wesentlichen fußt, findet sich bei fast 90 % der gestorbenen Säuglinge die „Krankheit“ Fraisen als Todesursache. Dies ist wohl nur dadurch zu erklären, dass einfach alle Fieberkrämpfe als „Froas“ bezeichnet wurden.
Ursache dieser Krämpfe waren, neben Infektionskrankheiten und Rachitis (Vitamin-D-Mangel), oft eine falsche Ernährung der Kinder. Die Mütter mussten schon früh wieder bei der Feldarbeit helfen, so blieb zum Stillen der Kinder keine Zeit. Die Kinder wurden mit Kuhmilch oder einem Mehlbrei ernährt. Dies führte häufig zu Magen- und Darmkrämpfen, was dann auch als „Froas“ bezeichnet wurde. Bei den unehelichen Kindern war die Sterblichkeit noch höher, da diese, meist bei den Großeltern oder entfernten Verwandten untergebracht, oft generell nicht gestillt wurden.
Daneben finden wir dann noch Katarrh, Keuchhusten, Abzehrung oder Gedärmentzündung als Sterbeursache in der Pfarrei Steinach. Bei älteren Kindern Masern, Diphterie (Halsbräune).
Die Kindersterblichkeit war aus heutiger Sicht erschreckend hoch und ging erst im Laufe des 20. Jahrhunderts zurück.
Kindersterblichekeitsrate in der Pfarrei Steinach zwischen 1870 und 1944
Da die Geburtenzahlen in den Familien hoch waren, wurde der Verlust eines Kindes leichter verschmerzt. Praktisch in jeder Familie starben Kinder als Säuglinge. Das wichtigste war, das sie getauft waren, dann kamen sie als Engel in den Himmel. Die Putten (Kinderfiguren) an den Barockaltären in Bayern, sind als Darstellung der gestorbenen Säuglinge anzusehen.
Im Friedhof gab es einen abgegrenzten Teil, den „Kinderfriedhof“. Hier wurden die kleinen Kinder, meist ohne großes Zeremoniell, beerdigt.
Die Sterberate war in den Dörfern zwar immer relativ hoch, doch gab es schon Unterschiede.
Pfarrer Karl Seitz von Kirchroth erstellte 1937 einen interessanten Vergleich zwischen den Pfarreien des Dekantsbezirks Pondorf.
So war die Sterblichkeit von Säuglingen, im Zeitraum von 1913 bis 1936, in der Pfarrei Rattiszell doppelt so hoch wie in Münster. In Steinach lag sie etwas unter dem Dekanatsdurchschnitt.
Säuglingssterblichkeit im Dekanatsbezirk Pondorf (mit Ausnahme der Pfarrei Ascha) von 1913 mis 1936
Quelle: Pfarrarchiv Kirchroth
Hatten die Kinder einmal das Teenageralter erreicht, war ihre Lebenserwartung groß. So erreichten die meisten Erwachsenen das 60. Lebensjahr und nicht wenige wurden älter als 70 oder 80 Jahre.
Bei den 20- bis 60-jährigen starben die Frauen am häufigsten bei oder kurz nach einer Geburt, bei den Männern wurde als häufigste Todesursache Lungensucht vermerkt.
Die am meisten vorkommende Todesursache der älteren Menschen, war neben der „Altersschwäche“, die „Wassersucht“. Deren Ursache war in der Regel eine Herzschwäche und die damit verbundenen großen Ansammlung von Wasser im Körper.
Zu den Angaben von Todesursachen in den Kirchenbüchern sollte man allerdings immer bedenken, dass diese ein Abbild des medizinischen Entwicklungsstands der jeweiligen Zeit und ihrer Diagnosemöglichkeiten sind. Die „Froas“ ist ein gutes Beispiel dafür, wie vielerlei Erkrankungen unter einem gemeinsamen oder auch nur ähnlichen Symptom zusammengefasst wurden.
Quellen:
Friedl, Inge: Heilwissen in alter Zeit: Bäuerliche Heiltraditionen. Wien. 2009.
Schmellmer, Johann Andreas: Bayerisches Wörterbuch. Nachdruck der von G. Karl
Frommann bearbeiteten 2. Ausgabe München 1872 – 1877. München: Oldenbourg. 2008
Die Zahlen und Daten wurden alle aus den Matrikeln der Pfarrei Steinach entnommen.
veröffentlicht: 16.04.2023