Neues Schloss Steinach

Das Flüchtlingslager Steinach

 

von Hans Agsteiner

 

 

Deutschland bezahlte Hitlers Machtausübung mit 4,2 Millionen Toten, darunter 500 000 Zivilisten. Die Polen kostete der Krieg viereinhalb Millionen Menschenleben. davon 4,2 Millionen Zivilisten. Die Sowjetunion beziffert ihre Verluste auf 20 Millionen Tote. Insgesamt forderte der Zweite Weltkrieg 55 Millionen Tote. Welch unsagbares Leid steht hinter diesen Zahlen!

Seit dem Dreißigjährigen Krieg von 1618 - 1648 hatte Deutschland nicht mehr einen solchen Tiefpunkt erlebt wie 1945. Deutschland ist, wie der Historiker Friedrich Meineke schreibt, ein ausgebrannter Krater der Machtpolitik. Hunger und Elend allenthalben. Millionen Menschen sind kriegsversehrt, verwitwet. verwaist, unterernährt. Unablässig strömen Flüchtlinge und Vertriebene aus dem Osten in die westlichen Gebiete.

Ein Teil der deutschen Bevölkerung im Osten und Südosten Europas hatte vor der Rücknahme der Front oder zugleich mit den Verbänden der Wehrmacht ihre Heimat verlassen. Eine zweite Fluchtwelle aus Ostdeutschland setzte ein, als die Rote Armee die Ostprovinzen des Reiches besetzte. Auch aus der Tschechoslowakei kamen Flüchtlinge, da drei Millionen Sudetendeutsche von dort vertrieben wurden. Zu diesen Heimatvertriebenen stießen noch viele Menschen aus bombardierten Städten. Sie alle waren auf der Flucht, meist ohne Habe und mussten von den Gemeinden, hauptsächlich in Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Bayern, aufgenommen werden. Im August 1945 zogen allein durch Berlin täglich 25.000 bis 60.000 Flüchtlinge und Vertriebene. Nach Bayern kamen besonders viele. Die Einwohnerzahl Niederbayerns stieg von 755 983 im Jahr 1939 auf 1 043 334 im Jahr 1950. Drei Viertel der Flüchtlinge lebte auf dem "flachen Land", da oft dort nur noch Wohnraum war. Flüchtlinge wurden sogar in Gartenlauben, Bunkern, Fabrikhallen, Kegelbahnen und Ställen untergebracht oder die Tanzsäle in den Wirtshäusern wurden geräumt. Auch in Schulgebäuden hausten Flüchtlinge. Oft hatten sie nicht einmal vier Quadratmeter pro Person und als privaten Winkel nur ihre Pritschen. Durch diese Enge kam es unter den Menschen zu Missverständnissen, Ärger und Verdruss. Ihre Not, der Hunger, die Arbeitslosigkeit, Krankheit und Verzweiflung verstärkte die Spannungen zwischen den Menschen noch mehr. Staatlicherseits wurde durch die Lastenausgleichsgesetze versucht, finanzielle Hilfe zu bringen und die Lasten auf viele Schultern zu verteilen.

Auch eine Bodenreform wurde durch die Bayerische Landessiedlung durchgeführt. Größere Grundbesitzer mussten Grund abtreten, damit kleine Siedlungsstellen entstehen konnten (aus: Agsteiner Sabine. Flüchtlinge in Steinach und Münster nach dem 2. Weltkrieg, in: Gemeindebote Steinach, Juni 1998, S. 14 ff).

Die Nachkriegszeit im Straubinger Raum wird von Helmut Erwert ausführlich in seinem Buch "Feuersturm, Zigarettenwährung und Demokratie - Zeit des Umbruchs 1945 - 1948 in der Stadt Straubing und in der Region Straubing-Bogen", Straubing 1998, dargestellt.

Die amerikanische Militärregierung übernahm gleich nach dem 2. Weltkrieg das Neue Schloss Steinach und besetzte es kurzfristig. Im Oktober 1945 setzte es einen „Beauftragten" zur Überwachung ein. Die noch bewohnbaren Räume wurden der UNRRA (einer Hilfsorganisation der UNO für Flüchtlinge und Verschleppte zur Verfügung gestellt, die sie im Frühjahr 1946 freigegeben hat. Das Schloss wurde schließlich von der Militärregierung freigegeben und dem bayerischen Straßenbauamt (Autobahn) zur Verwaltung übergeben. Da der Landrat keine Verwendung für das Schloß hatte, pachtete es die Stadt Straubing vom Staat und stellte es ihren Flüchtlingen unentgeltlich zur Verfügung. Die Stadt setzte die vier noch erhaltenen RAD Baracken instand und errichtete noch weitere. Sie bestellte einen Lagerführer mit drei Gehilfen sowie einen Arzt, der im Schloss wohnte.
(Staatsarchiv Landshut, Rep. 158/ I LBA Landshut Nr. 1826)

 

"Ein Besuch bei den Neubürgern in Steinach...“

Auch die Stadt Straubing musste viele Flüchtlinge und Vertriebene aus den Ostgebieten aufnehmen. Durch die Kriegszerstörungen war der Wohnraum knapp geworden. Dazu kam. dass Anfang 1946 die Amerikaner Wohnraum beschlagnahmten. Aus diesem Grund sah sich die Stadt gezwungen, Notunterkünfte für die Flüchtlinge zu schaffen. Es boten sich zwei Objekte an, die geeignet waren für Flüchtlingslager: die ehemaligen Arbeitsdienstlager Hofstetten und Steinach.

Die Niederbayerischen Nachrichten (eine Zeitung. die in den Jahren 1947 bis 1949 in Straubing erschien, bevor das Straubinger Tagblatt im August 1949 wieder seine Pforten öffnete) berichtete dazu in der Ausgabe vom 1. August 1948: „Nach Darstellung des Lagerausschusses Hofstetten erfolgte Anfang 1946 die Überweisung der Flüchtlinge nach Hofstetten und Steinach, da in der Stadt Wohnraum durch die Besatzungsmacht beschlagnahmt wurde und man Altbürger nicht in Lager einweisen wollte. Auf widerstrebende Flüchtlinge wurde durch den damaligen Flüchtlings-Beauftragten Hauer teilweise ein gewisser Druck ausgeübt, von vorneherein aber versprochen, daß alle Rechte als Bürger der Stadt Straubing gewahrt blieben. Dies war bisher auch restlos der Fall“.

Dem Zeitungsbericht ist zu entnehmen, dass im August 1948 340 Lagerinsassen im Flüchtlingslager Steinach wohnten.

Wie das damalige Lagerleben ausgesehen hat, können wir dem Artikel in den Niederbayerischen Nachrichten vom 27. Februar 1948 entnehmen. Unter der Überschrift .. „Ein Besuch bei den Neubürgern in Steinach - Vorbildliches Flüchtlingslager" berichtet der Redakteur über einen sonntäglichen Besuch mit einem Begleiter im Flüchtlingslager Steinach Folgendes:

.... Inzwischen war man auch im Flüchtlingslager erwacht. Das gewohnte "Lagerleben" begann sich zu entfalten. Frauen standen mit Eimern und Kübeln vor der Pumpe, um Wasser zu holen; an einer Barackentür lehnte ein rüstiger Siebziger, gemütlich seine Pfeiffe rauchend. Trotz des geschäftigen Treibens war der Friede des Sonntags nicht zu verkennen.

Das Flüchtlingslager unterhält einen eigenen Gärtnerbetrieb mit modern eingerichtetem Treibhaus. Letzteres wird allerdings von dem naheliegenden Gut von Schmieder mitbenutzt. Die Kokslieferung wird vom Gut besorgt und kostet den Flüchtlingen keinen Pfennig, was der Flüchtlingsgärtnermeister anerkennend betonte. Die hier produzierten Gartenerzeugnisse finden ausschließlich im Steinacher Flüchtlingssektor Verwendung. Gemüse und Obst werden zu leicht erschwinglichen Preisen verkauft, wodurch die anlaufenden Ausgaben und die Entlohnung der beschäftigten Arbeitskräfte bestritten werden können. Außer diesem Gärtnereibetrieb, welcher zur allgemeinen Versorgung beitragt, besitzen viele Flüchtlinge einen eigenen Kleingarten, mit dessen Hilft sie ihre Ernährungslage weiter verbessern. Durch sachgemäße Bearbeitung bislang ungenützter Wiesenflächen will man die Kleingartenaktion künftig noch stärker aktivieren, um nach Möglichkeit jeder der hier lebenden Familien ein eigenes Stückehen Land, das sie selbst pflegen und bebauen können, zukommen zu lassen.“

 

Plan Fluechtlingslager

Lageplan "Flüchtlingslager Schloß Steinach",
erstellt am 7.4.1952 im Rahmen des Abbruchs der Baracken
(Quelle: Staatsachiv Landshut, Rep. 158 Verz. 1 Nr. 1501)

 

 

"Situation der Flüchtlinge in Steinach günstiger als anderswo ... "

Interessant sind die weiteren Ausführungen des Redakteurs, der ein sehr positives Bild über das Lagerleben im Neuen Schloss Steinach zeichnet:

"Es ist bekannt, und Flüchtlingskommissar Hauer hat es anläßlich unseres Besuchs bestätigt, dass die allgemeine Situation der Flüchtlinge in Steinach günstiger ist als anderswo. Wo zum Beispiel besitzen Flüchtlinge im Stadtbereich oder auch im Landkreis Straubjng grundsätzlich die Möglichkeit, sich in ausgedehntem Maße Kleintiere zu halten? In Steinach ist das der Fall. Es ist durchaus keine Seltenheit, dass hier manche Familie 15 bis 20 Kaninchen und einige Hühner ihr eigen nennen. In einem Stall meckerte sogar eine Ziege.

Wie sieht nun das Leben der Steinacher Flüchtlinge aus?

Diese Frage ist leicht zu beantworten. Es besteht aus fleißiger ehrlicher Arbeit. Man versicherte uns, im Lagerbereich sei kein sogenannter Arbeitsscheuer bekannt. Schwarzhandel sei hier ebenso verpönt, wie üble Gerüchtemacherei. Die Flüchtlinge seien gewillt, ihr Dasein auf dem Boden realer Tatsachen durchzustehen. Ein Teil der Männer arbeitet auf dem benachbartem Gut. Ebenso eine größere Anzahl von Frauen. Teilweise stammen diese Menschen selbst aus der Landwirtschaft und werden deshalb von der einheimischen Bevölkerung als angenehme und nützliche Helfer betrachtet. Die alten Leute sitzen nicht untätig hinterm warmen Ofen auf der Bank, um ihren Lebensabend zu beschließen, wie man meinen möchte, sondern sie helfen, sofern sie noch einigermaßen rüstig sind überall dort tüchtig mit, wo es ihre verbliebenen Kräfte erlauben. Und es gibt manchmal recht viele Kleinigkeiten für sie, die sie zur Zufriedenheit aller zu besorgen wissen. Meistens sind es leichte Arbeiten.

 

"Eine eigene Lagerschule für die Flüchtlingskinder ... "

Zu den Flüchtlingskindern wird in dem Artikel berichtet:
„Das Flüchtlingslager beherbergt rund 150 schulpflichtige Kinder, die selbstverständlich den Schlosspark als willkommenen Spielplatz betrachten und seine Vorzüge in jeder, ihnen gerade recht erscheinenden Weise auskosten.“

Und an anderer Stelle führt der Redakteur aus:
„Die Kinderfürsorge und -erziehung wird nicht vernachlässigt. Als bedeutendste Errungenschaft auf diesem Gebiet darf die eigene Lagerschule bezeichnet werden, welcher zwei Klassenzimmer zur Verfügung stehen. Der Unterricht berücksichtigt alle Fächer eines normalen Volksschulbetriebes. Die beiden Lehrkräfte genießen vollständige Anerkennung und Unterstützung der Behörden. Die Schulkinderspeisung erfolgt in dem allgemein üblichen Rahmen"

Die zwei Klassenzimmer befanden sich im Erdgeschoss des ehemaligen Stall- und Wirtschaftsgebäudes im unteren Schlossbereich (Mitteilung Wemer Schill, Straubing)

 

 

Einschulung 1950

Einschulung 1950 in der lagerschule Steinach, Lehrerin Frl. Hammer mit den Erstklässlern
(Foto Werner Schill, Straubing)

 

 

Schulklasse 1950

5. - 8. Klasse der zweiklassigen Lagerschule Steinach mit Lehrerin Frl. Hammer
Aufnahme um 1950
(Foto Werner Schill, Straubing)

 

 weihnachtsspiel

Weihnachtsspiel der Lagerschule des Flüchtlingslagers Steinach im Mehrzweckraum des ehemaligen Stallgebäudes im 2. Stock.
Die Weihnachtsspiele wurden von Lehrer Pöpperl aus einer allgemeinen Geschichte, die sich zu einem Krippenspiel hin erweiterte, entwickelt und fanden großen Beifall.
Aufnahme um 1950
(Foto: Heinrich Pöpperl, überlassen von den Söhnen Herwig und Heinz Pöpperl)

 

 

 

Weiter wird in dem Artikel berichtet:
'Was den Flüchtlingen in Steinach zum Teil ernstliche Sorgen bereitet, ist die Lösung der Wohnraumfrage. Aber auch hier haben sich zahlreiche Männer und Frauen, die wir um ihre Meinung baten, auf den Standpunkt gestellt, sie könnten es im allgemeinen unter den gegebenen Verhältnissen kaum besser haben. Freilich muss zugestanden werden, dass es unangenehm ist, wenn mitunter vier bis fünf Personen in einem Raum zu wohnen gezwungen sind.

Bei Besichtigung vieler Wohnungen mussten wir aber unwillkürlich an manche Elendsquartiere in Straubing denken, die nur allzu oft ein menschenunwürdiges Bild bieten oder zumindest noch bis vor kurzer Zeit geboten haben.

In den Steinbauten sind die Wohnungen besonders in Bezug auf Wärmehaltung und sanitäre Anlagen weitaus günstiger als in den Holzbaracken. Die Innenausstattung der Räume bleibt selbstverständlich der Initiative des Einzelnen überlassen, wobei wir uns überzeugen konnten, behördliche Unterstützung nicht ausbleibt. Eine junge Frau hat beispielsweise 14 Schlafdecken erhalten. Die Beschaffung von Möbelstücken stößt in jeder Richtung auf Schwierigkeiten. Wer es aber versteht, kann sich auch mit spärlichen Mitteln ein wohnliches Heim einrichten. Die schönste und angenehmste Wohnung besitzt unbestritten Familie Kricke aus Kreuzberg, einem idyllischen Städtchen im Herzen Oberschlesiens. Von der Lagerverwaltung wurde ihr das Teehaus des einstigen Schlossherrn zugewiesen. Die kleine Familie hat es mit Geschick verstanden, sich auf eine Art die verlassene Heimat zu ersetzten.“

 

"Sie erwarten mit Sehnsucht eine Rückkehr in ihr geliebtes Heimatland ... "

Von zahlreichen Flüchtlingen wurde ihr entbehrungsreicher Aufenthalt in Bayern als ein nur vorübergehender gesehen. Dies kommentiert der Redakteur Folgendermaßen:

„Die Frage nach der Heimat ist in Steinach genau wie an allen übrigen Orten, wo Flüchtlinge leben, aktuell. Es ist wohl verständlich, dass die Neubürger, trotz der Liebe und Hilfsbereitschaft, die sie in Bayern empfangen haben, eine Rückkehr in ihr geliebtes Heimatland mit Sehnsucht erwarten. Die Flüchtlinge in Steinach füllen aber dieses vielleicht vergebliche Warten mit rastloser Arbeit aus. Das soll anerkannt werden."

 

 

Baracken

 

 

 

"Flüchtlings-Baracken wurden winterfest ... "

Kurz vor Weihnachten 1948, genauer gesagt am 16. Dezember, berichten die Niederbayerischen Nachrichten wieder über die Flüchtlingslager Steinach und Hofstetten unter der Überschrift "Flüchtlings-Baracken wurden winterfest - Steinach und Hofstetten im ersten Wintermonat“:

„Die beiden Flüchtlingslager Steinach und Hoftetten haben harte Winter hinter sich, und nur sehr langsam konnte es mit den während der schlimmen Zeit unmittelbar nach dem Kriege vollkommen heruntergewirtschafteten Baracken vorangehen. Materialmangel immer wieder, keine Nägel, keine Dachpappe, keine Ofen, kein Blech, nichts, gar nichts, im besten Falle aber immer viel zu wenig. Nun ist es besser geworden, und wenn mancher auch sagt, es sei wie vor der Währungsreform, so darf man ihm wohl sein kurzes Gedächtnis zugutehalten.....

Der Straubinger Beauftragte für das Flüchtlingswesen, Hauer, hat in diesem Jahre erstmals die Möglichkeit gehabt, seinen Flüchtlingen die Wintermonate wenigstens einigermaßen dadurch zu erleichtern, dass die vom Staat für die Winterfestmachung bereitgestellten Mittel, etwa 50 000 DM, in den Baracken verbaut werden konnten ... «

 

Der Redakteur besuchte eine der Baracken in Hofstetten und führt später dazu aus, dass die Winterfestmachung in Steinach ebenso erfolgte:

"Wir gehen in eine der Baracken hinein. Die Handwerker, Flüchtlinge aus dem Lager, sind gerade dabei, in den durch Abteilung der großen Barackenräume entstandenen Zimmer Isolierwände einzuziehen, etwa einen Zentimeter starke, sehr leichte und gut zu bearbeitende Faser~ oder Sägespanplatten, die die Isolierfähigkeit einer einfachen Ziegelmauer haben sollen. Die Platten wurden einfach angenagelt und dann zur besseren

Befestigung mit Holzleisten überzogen. Selten verbindet sich im Leben das Praktische mit dem Schönen. Hier ist es einmal der Fall gewesen. Die Zimmer schauen in der hellen Verschalung freundlich aus. Vor allem aber ist jetzt nicht mehr unmittelbar das schräge Barackendach zugleich die Zimmerdecke, sondern die Isolierplatten bilden jetzt eine waagrechte Stubendecke. Besonders findige Barackenbewohner haben ihre winterfest gemachten Räume vorgerichtet und die Holzleisten gebeizt, so dass die Zimmer noch anheimelnder werden. Nur an Ofenblech fehlt es noch überall, der Flüchtlingsbeauftragte ist Tag für Tag bemüht, wenigstens ein paar Quadratmeter herzuschaffen, nicht zuletzt um der Brandgefahr einen Riegel vorzuschieben. Überall hängen zwar Feuerlöscher, aber ein Brand könnte trotzdem schlimme Folgen haben. Auch für die Wintervorräte ist in diesem Jahr ausgiebig gesorgt worden ...

In Steinach finden wir bei unserem Besuch günstigere Verhältnisse als in Hofstetten vor. Dort waren gerade die letzten Baracken in Arbeit, auch hier wird das Isoliersystem wie in Hofstetten angewandt. Das Lager ist besonders dadurch im Vorteil dass wenigstens ein paar Steingebäude zur Verfügung stehen, so das untere Tor und die beiden Seitenflügel beim ausgebrannten neuen Schloß, das Haus neben der Gärtnerei und das Wirtschaftsgebäude links vom Eingang, um das sich die Baracken gruppieren':

Auch eine Krämerei befand sich im Flüchtlingslager Steinach und im "Kinosaal" im ehemaligen Stallgebäude wurden Filme vorgeführt. Man versuchte aus der Situation das Beste zu machen. So organisierten die Flüchtlinge schon bald nach dem Lagerbezug, als sich die Lage um 1947/48 normalisiert hatte, eine Tanzveranstaltung im Schlosshof. Auf dem nördlichen Podest spielte eine kleine Kapelle zum Tanz auf und so konnte man für einige Stunden seine Sorgen vergessen (für die freundliche Mitteilung danke ich Herrn Paul Hübel sehr herzlich).

 

Der Pachtvertrag vom 26.4./2.6.1949

Zu einem schriftlichen Pachtvertrag kam es erst im Frühjahr 1949. Er wurde rückwirkend zum 1.7.1948 geschlossen zwischen dem Straßenbauamt (Autobahn) München, Seidlstraße 9. als Untertreuhänder des Vermögens des ehemaligen Unternehmens .. Reichsautobahnen" (Verpächter ) und dem Stadtrat Straubing - Flüchtlingsamt - vertreten durch Oberbürgermeister Dr. Höchtl (Pächter). Nach dem Pachtvertrag, der im Staatsarchiv Landshut unter der Signatur "Rep. 158 Verz. 1 Nr. 1501" aufbewahrt wird. überlässt der Verpächter dem Pächter zur Unterbringung von Flüchtlingen und Ausgewiesenen pachtweise folgenden Grundbesitz in der Steuergemeinde Steinach:


 

Anmerkung zu Nr. 2: Es fehlt der Hinweis im Pachtvertrag. dass es sich hierbei um Grundbesitz in der Steuergemeinde Münster handelt, da die Wirtschaftsgebäude im unteren Schlossbereich zur Gemarkung Münster gehören.

Der grundbuchamdiche Beschrieb des Objekts gibt interessante Hinweise auf die Nutzung des Neuen Schlosses zu Schmieders Zeiten, z.B. Wohnung für Dienerschaft im Torgebäude des oberen Schlosses. Vogelhaus. Tennisplatz und Springbrunnen. Kantine mit Eiskeller im Torwartgebäude des unteren Schlosses.

Weiter wird im Pachtvertrag ausgeführt:
„Das durch Brand zerstörte Schloß ist nicht Gegenstand dieses Vertrages. Die Parknutzung beschränkt sich auf die Gewinnung von Laub und Streu“:

 

Der Pachtzins wurde auf vierteljährlich 1 800 DM festgelegt. Man erkannte richtig, dass von der Schlossruine eine Gefahr ausgehen konnte und regelte in § 7 des Pachtvertrags:
„Das Betreten der Schloßruine ist sowohl dem Pächter als auch seinen Beauftragten und allen durch ihn eingewiesenen Personen untersagt. Der Pächter verpflichtet sich außerdem das Betreten der Ruine und jegliche Materialentnahme aus derselben durch unbefugte Dritte zu unterbinden“.

 

Große Tumulte wegen Umgliederung von Straubing in die Landgemeinden

Im Zuge der Wahlvorbereitungen wurden in Erfüllung der Bestimmungen des Wahlgesetzes die Flüchtlingslager Steinach und Hofstetten am 20. Juli 1949 aus der Stadt Straubing ausgegliedert und die Insassen in den zuständigen Gemeinden Steinach, Münster und Ittling polizeilich gemeldet. Nach den Bestimmungen des Wahlgesetzes musste die Eintragung in die Wahlkartei am Wohnort erfolgen. Wohnort der Insassen der Flüchtlingslager Steinach und Hofstetten waren aber die Gemeinden Steinach. Münster und Ittling. Um an ihrem Wohnort wählen zu können, mussten die Lagerinsassen aus dem politischen Verband der Stadt Straubing ausscheiden und polizeilich in den neuen Gemeinden gemeldet werden. Die Umgemeindung sorgte für große Aufregung bei den Bewohnern der Flüchtlingslager. Den Straubinger Flüchtlingen war bei der Umsiedlung in die Flüchtlingslager Steinach und Hofstetten Anfang 1946 versprochen worden, dass sie weiterhin alle Rechte als Bürger der Stadt Straubing hätten. Dies war bisher auch der Fall gewesen. Bei einer Ummeldung in den Landkreis befürchteten die Flüchtlinge, in der Fürsorge nur noch die Sätze des Landkreises zu erhalten.

Die Niederbayerischen Nachrichten berichteten dazu in der Ausgabe vom 1. August 1949:
"ln der Stadt bekommt der Haushaltungsvorstand 35 DM, auf dem Land 30, jedes Haushaltsmitglied über 16 Jahre in der Stadt 25 DM, auf dem Land 20, jedes Haushaltsmitglied unter 16 Jahre in der Stadt 30, auf dem Land 16 DM ....

Wie schwer die Lagerinsassen so wie so schon von der augenblicklichen Wirtschaftskrise betroffen sind, zeigen die Beschäftigungszahlen: in Steinach sind es bei 340 Lagerinsassen 11 männliche und acht weibliche, die Lohnempfänger sind ....

Weiterhin fürchten die Flüchtlinge, des Rechtes verlustig zugehen, in Straubing eine Wohnung zu erhalten, ohne eine Zuzugsgenehmigung zu benötigen. Als Angehörige des Landkreises glauben sie nicht mehr ohne weiteres in der Stadt Arbeit suchen zu können, da nur drei Prozent auswärtige Arbeitskräfte zugelassen sind. Durch die Übernahme eines Landschulplanes in ihrer Lagerschule befürchten sie eine Verschlechterung der Ausbildung ihrer Kinder.

Die Brennstoffzuteilung, die in der Stadt zehn Zentner betrug, würde auf dem Land nur noch sieben Zentner betragen. Rechtlich glauben die Flüchtlinge ihren Anspruch damit begründen zu können, daß sie zu dem Flüchtlingskontingent gehörten, das auf die Stadt Straubing entfiel. Die Wahrung ihrer Bürgerrechte sei ihnen bei dem Umzug in die Lager versprochen worden".

 

Am Dienstag. den 26. Juli 1949 führte der Lagerausschuss von Hofstetten eine Unterredung mit dem Straubinger Oberbürgermeister Dr. Höchtl. Diese ist aber ergebnislos geblieben, da sich die Flüchtlingsvertreter mit der mündlichen Zusicherung ihrer Rechte als Bürger der Stadt Straubing nicht zufrieden gaben. Darauf wurde ein Protestschreiben an das Innenministerium verfasst, in dem um eine schriftliche Bestätigung der durch den OB und den Flüchtlingsbeauftragten gemachten Zusagen gebeten wurde. Diese Resolution wurde zusammen mit einer gleichlautenden des Flüchtlingslagers Steinach durch den OB an das Innenministerium weitergeleitet. Die Fraktionen des Stadtrates wurden gleichfalls von der Protestresolution in Kenntnis gesetzt.

 

Die Niederbayerischen Nachrichten vom 1. August 1949 berichten über die Vorgänge in Hofstetten, die sicherlich auch mit den Angehörigen des Flüchtlingslagers Steinach abgestimmt waren, Folgendes:
„Am Mittwoch suchte man daraufhin von kommunistischer Seite in Hofstetten eine Lagerversammlung einzuberufen, zu der jedoch der Lagerausschuss dann auch die anderen Fraktionen einlud, um volle Überparteilichkeit zu gewährleisten. CSU, UdA und FDP konnten jedoch nicht mehr rechtzeitig verständigt werden. In der Versammlung wurde die Abmeldung aus Straubing nochmals schärfstens abgelehnt und dies in einer weiteren, zwei Sätze umfassenden Resolution, die durch die KP am Donnerstag an die Militärregierung weitergeleitet wurde, zum Ausdruckgebracht. Eine kommunistische Unterschriftenliste zu unterzeichnen, wurde abgelehnt ...

Man erwartet in den Flüchtlingslagern eine Entscheidung bis spätestens 4. August, dem letzten Termin, an dem eine Eintragung in die Wahlkartei möglich ist. Vorläufig wird die ohne Wissen und Einwilligung der Betroffenen vollzogene Anmeldung in den Gemeinden lttling, Steinach und Münster nicht anerkannt. Sollte nicht im Sinne des Protestes entschieden werden, wollen die Lagerinsassen an der Wahl nicht teilnehmen und diese später anfechten ...

Bei der Stadt und dem Landratsamt vertritt man weiterhin den Standpunkt, es handle sich lediglich um eine Formsache, um den Bestimmungen des Wahlgesetzes nachzukommen. In der sozialen Betreuung der Lagerinsassen würde keinerlei Änderung eintreten. Übereinkommen der Stadt mit dem Landratsamt und dem Arbeitsamt, die die Erfüllung dieser Zusicherung ermöglichen sollen, seien in Vorbereitung“.

 

"Lagerinsassen haben vor den verkehrten Standesbeamten geheiratet ... "

Bereits am Tag darauf (2. August 1949) berichten die Niederbayerischen Nachrichten über eine Verwaltungsratssitzung der Stadt Straubing, bei der es zu einer lebhaften Aussprache über die Flüchtlingslager Steinach und Hofstetten kam. So wird ausgeführt:
„Oberbürgermeister Dr. Höchtl präzisierte seinen Standpunkt dahingehend, dass die staatsrechtlichen Fehler, die früher einmal gemacht worden sind, nicht in aller Zukunft fortgeführt werden könnten. In allen anderen Orten seien die Fragen längst gelöst, nur in Straubing bestehe immer noch ein unklarer Zustand. So sei es bis zuletzt der Fall gewesen, dass die Insassen der Lager vor den verkehrten Standesbeamten geheiratet haben und ähnliches mehr...Ganz gleich wie die Entscheidung (der Regierung) ausfalle, es bleibe auf jeden Fall dabei, dass die Stadt alles für die Straubinger Flüchtlinge in den Lagern tun werde ..“

 Weiter wird berichtet, dass es durch Zwischenrufe des Stadtrats Harbon (der nicht Mitglied des Verwaltungssenates war) zu einer erregten Kontroverse zwischen Dr. Höchtl und dem Zwischenrufer gekommen sei, in der sich Dr. Höchtl dagegen verwahre. dass die Frage Steinach und Hofstetten politisch ausgewertet werde.

 

"Stadtrat Ebner beantragte, die Stadträte Schindler und Harbort abführen zu lassen ... "

Wegen der Steinacher und Hofstettener Umgemeindungsfrage kam es darauf zu tumultartigen Szenen im Straubinger Stadtrat.

Die Niederbayerischen Nachrichten berichteten unterm 3.August 1949 über die turbulenten Vorgänge:
„In der Stadtratssitzung am Freitag sorgte der politische Zündstoff, der sich, vermehrt durch die Vorgänge in der Henmann-Versammlung, angesammelt hatte, wieder für einige Explosionen. Die Aussprache über einen Antrag des Oberbürgermeisters nahm so heftige Formen an, dass Stadtrat Ebner beantragte, die Stadträte Schindler und Harbort abführen zu lassen und der OB Stadtrat Harbort zweimal zur Ordnung rufen mußte."

 

Der Antrag des Oberbürgermeisters, der den Lagerinsassen von Steinach und Hofstetten die geforderten Zusicherungen gab, wurde angenommen.

Er lautete:
„Der Stadtrat Straubing erkennt im Einverständnis mit der Regierung von Niederbayern an, dass im Hinblick auf die gesetzlichen Vorschriften über das polizeiliche Meldewesen und zur Erhaltung des Wahlrechtes die Insassen der Flüchtlingslager Steinach und Hofstetten nach den zuständigen Landgemeinden des Landkreises Straubing umgemeldet werden mußten. Er sichert aber den Lagerinsassen zu, dass sie trotz dieser polizeilichen Ummeldung in der gleichen Weise wie bisher von der Stadt Straubing betreut, also hinsichtlich der Fürsorgeleistungen, der Arbeitsaufnahme und Arbeitsvermittlung genauso behandelt werden, wie die Einwohner der Stadt und dass ihnen aus der Ummeldung keine anderen fürsorgerischen, wirtschaftlichen oder sozialen Nachteile entstehen dürfen. Der Stadtrat verbürgt sich hiermit in aller Form dafür, dass aus der rein formalrechtlichen Bereinigung der polizeilichen Meldelisten keiner der Flüchtlinge aus der Stadt Straubing abgeschoben werden soll.“

 Wegen des Zuzugs von Flüchtlingen. insbesondere auch wegen der Eingemeindungen aus dem Lager Steinach nahm die Zahl der Einwohner in der Gemeinde Steinach in ihrem heutigen Umfang (also mit den Eingemeindungen Münster und Agendorf) bedeutend zu. So belief sich die Einwohnerzahl im Jahr 1939 auf 1578 und im Jahr 1950 bereits auf 2350. (Simmel Karin. Die Gemeinde Steinach im Spiegel der Statistik, in: Agsteiner, H. Steinach mie Ortsteilen Münster - Agendorf - Wolferszell, Heimatbuch, Steinach 1996, 5.299).

 

Erinnerungen an eine Kindheit im Flüchtlingslager Schloss Steinach mitgeteilt von Werner Schill, Straubing

Nach dem Ende des 2. Weltkriegs fanden Flüchtlingsfamilien im Lager Schloss Steinach eine neue Heimat. Und wohin diese Familien später auch umzogen, für uns Flüchtlingskinder ist Schloss Steinach immer ein Stück Heimat geblieben. Für uns lag Schloss Steinach nicht in Bayern, sondern war ein Teil von Schlesien, Pommern und Ostpreußen. Bayern fing in Münster und Steinach an.

Das Leben damals war geprägt von Mangel in jeder Beziehung und ... von totaler Kinderfreiheit. Mittelpunkt dieser Kinderfreiheit war die Ruine des Schlosses. Diese zu betreten war streng verboten. Dem Schullehrer und Hobbymaler Pöpperl diente die Schlossruine oft als Motiv für seine Bilder. Wer ihm beim Malen dabei "ins Bild kam", musste mit bis zu 100 Zeilen Strafarbeit rechnen. Neben seiner Funktion als Abenteuerspielplatz diente das ausgebrannte Schloss auch als Geldquelle. Sämtliches Metall. das sich finden oder abmontieren ließ, wurde gesammelt und an den Schrotthändler verkauft, der das Lager in regelmäßigen Abständen anfuhr. Zahlreiche Kabel konnten wir damals aus dem Boden buddeln. Leider waren es weniger Kupfer- als Aluminiumkabel, die nicht so viel einbrachten.

 

Die verdienten "Zehnerl" konnte man entweder beim Kolonialwarenhändler Morawitz in Süßigkeiten und Limo anlegen oder für einen Kinobesuch am nächsten Sonntagnachmittag aufsparen. Da kam der mobile Filmvorführer. Wenn man Glück hatte und sich in den Vorführsaal im 2. Stock des Wirtschaftsgebäudes einschmuggeln konnte. hatte man sich die 20 Pfennig Eintrittsgeld gespart. Doch meistens wurde man vom Kassier und Aufpasser, Opa Latuske, erwischt und wieder an den hellen Tag befördert. Nach dem Kinobesuch wurde das Gesehene nachgespielt. Am liebsten waren uns Filme mit Zoro, Tom Mix und Hoppalong Cassidy. Da sich diese Helden ihren unterlegenen Gegnern immer großmütig erwiesen, übernahmen auch wir dieses Verhaltensmuster.

Im Kinosaal wurden auch die Faschingsbälle und Weihnachtsfeiern abgehalten. Im Rahmen der Weihnachtsfeier wurde von den Schülern immer ein Theaterstück aufgeführt, in dem jeweils die Weihnachtsgeschichte vorkam.Eingeübt wurden die Aufführungen von Herrn Pöpperl, dem Lehrer für die fünfte bis achte Klasse. Die erste bis vierte Klasse wurde von Fräulein Hammer unterrichtet. Die Klassen befanden sich in zwei Räumen im Erdgeschoß des Wirtschaftsgebäudes. (Anmerkung: Nach Auskunft der ehemaligen Lehrerin Eisa Hammer waren in der Schule noch zwei weitere Lehrerinnen - lrmgard Fichte und Annliese Fichte, Frau Hammer, die heute in Straubing wohnt, erinnert sich an diese Zeit- "es war wunderschön in Steinach"). In den Pausen wurde Schulspeisung verteilt. Am liebsten war uns Kakao. Erbswurstsuppe, auch Froschfutter genannt, hatten wir nicht so gern. Eine Schulspeisung besonderer Art gab es einmal kurz vor Weihnachten. Das Dach unserer Baracke, die sich neben der Schule befand. brannte. Zur Rettung der Habseligkeiten warf meine Mutter alles aus dem Fenster. darunter auch den Karton mit den Weihnachtsplätzchen. Dieser platzte auf und die Plätzchen verteilten sich auf dem Schneeboden. Für die Kinder, die gerade große Pause hatten. eine willkommene Abwechslung im Schulspeiseplan.

Gegen die Wanzenplage in den Baracken gab es zwei behördliche Aktionen. Der Versuch, die Plagegeister mit Gas zu vernichten hatte keinen Erfolg. Erst als die Barackenwände mit einem chemischen Mittel besprüht wurden, hatte die Wanzenplage ein Ende. Auf halbem Wege zwischen Steinach und Parkstetten befand sich in den ersten Nachkriegsjahren ein Feldlager mit Behelfsflugplatz der US-Armee. Wir Flüchtlingskinder profitierten von der Freundlichkeit und Freigebigkeit der Soldaten. Mein ältester Bruder brachte einmal eine ganze Kiste Apfelsinen mit nach Hause. Die ersten Apfelsinen in meinem Leben. Ich aß so viel davon, dass mir speiübel wurde und ich gut zwanzig Jahre einen Widerwillen gegen Apfelsinen hatte.

In den ersten Jahren nach dem Krieg wurden die Bauernhöfe der Umgebung aufgesucht, um etwas Essbares zu erbetteln, denn der Hunger bestimmte damals unser Leben. Als Gegenleistung musste man vor dem Herrgottswinkel in der Küche Gebete verrichten. Hierbei hatten die katholischen Flüchtlingskinder einen Vorteil, denn wer konnte von den "Evangelischen" schon das Ave Maria beten. Der Gang zur Beichte in die Pfarrkirche nach Steinach wurde auch genutzt, um Äpfel zu "organisieren". Die Verfehlung gegen das 7. Gebot wurde anschließend gebeichtet und die "Beute" auf dem Heimweg verzehrt. Ein großes Ereignis war das Seifenkistenrennen, das vom oberen Schlosshofdurch den unteren Torbau den Berg hinab Richtung Steinach führte. Es war die einzige Teerstraße dieser Zeit mit entsprechendem Gefalle. Zahlreiche Zuschauer aus der ganzen Umgebung verfolgten mit großem Hallo das Spektakel.

Anmerkung: Das genannte Kolonialwarengeschäft befand sich im Mittelteil des ehemaligen Gärtnerhauses im unteren Schlossbereich. Eine alte Ansichtskarte weist zwei Inhaber auf: Zuerst „J.u.F. Apfel, Kolonialwaren Steinach/Neues Schloß", dann "M. Morawitz, Kolonialwaren Schloß Steinach". Später führte Familie Hadersbeck das Geschäft.

Einweisung

Diktatorische Einweisung der Flüchtlingsfrau Schill mit ihren fünf Kindern in das Flüchtlingslager Steinach
(Schreiben des Oberbürgermeisters der Stadt Straubing vom 4.1.1946)
(mit freundlicher Genehmigung durch Werner Schill, Straubing)

 

 

Bewohner 1947

Die Bewohner einer Baracke im Flüchtlingslager Steinach: Familien Scheuner, Schill und Walter
Aufnahme um 1947/48 vor der Baracke
(Foto Werner Schill)

 

 

Freunde 1950

Drei Freunde vor dem teilzerstörten Neuen Schloss Steinach:
die Flüchtlingskinder (von links) Manfred Neubert (Flüchtlingslager Steinach), Horst Scheuner (Wolferszell) und Heinz Schill (Flüchtlingslager Steinach)
Aufnahme um 1950
(Foto Werner Schill)

 

 

Streit wegen der Brunnenanlage des Neuen Schlosses beim Wiedenhof

Die Reichsautobahn hat im Jahre 1942 gewaltsam auf dem Grundstück des Landwirts Ulrich Zäch sen. eine Brunnenanlage für die Wasserversorgung der geplanten Raststätte im Neues Schloss errichtet. Sein Sohn Ulrich Zäch jun. errichtet im Jahr 1950 mit behördlicher Genehmigung auf seinem Grundstück beim Wiedenhof, in einer Entfernung von 22 m zum Brunnen, ein Einfamilienhaus. Die Genehmigungsbehörde wusste nichts davon, dass sich das Bauprojekt im Wasserschutzgebiet befindet.

Als sie davon erfuhr lies sie sofort den Bau einstellen, denn der ordnungsgemäßen Wasserversorgung der Flüchtlinge im Neuen Schloss wurde, auch im Hinblick aufbereits im Landkreis aufgetretener Typhusfälle, absoluter Vorrang eingeräumt.

Die Regierung von Niederbayern führte zum Bericht des Landratsamtes Straubing vom 16.11.1950 u.a. Folgendes aus:
„Mit Rücksicht auf die geologischen Bodenverhältnisse ist die Anlage eines anderen Tiefbrunnens oder die sonstige Versorgung des Schlosses Steinach mit Trink-und Nutzwasser nicht möglich. Der Brunnen muß somit beibehalten werden. Das Wohnhaus der Eheleute Zäch besitzt offenbar bis heute keine entsprechende Abort- und Abwasserbeseitigungsanlage ... "
(Quelle, Staatsarchiv Landshur, Signatur Reg. v. Ndb., Rep. 168/ 1, 11142).

Das Strassenbauamt (Autobahn) beantragte sogar die Zwangsenteignung für das Brunnengrundstück. Der Ausgang des Verfahrens ist nicht aktenkundig. Das heute noch bestehende Wohnhaus wurde jedenfalls von den Ehegatten Zäch weiter gebaut und ist später auf ihren Adoptivsohn Richard Zäch übergegangen.

 

„Das Alte stürzt, es ändert sich die Zeit und neues Leben blüht aus den Ruinen...“

(Friedrich Schiller, Wilhelm Tell, Vierter Aufzug) –

 

Impressionen vom Flüchtlingslager Steinach aus der Fotosammlung des ehemaligen Lehrers Heinrich Pöpperl. Der beliebte Volksschullehrer Heinrich Pöpperl (1912 - 1995) hat mit seinem Fotoapparat beeindruckende Szenen aus dem Flüchtlingslagerleben festgehalten. Für die freundliche Überlassung danke ich seinen Söhnen Herwig und Heinz Pöpperl Straubing, sehr herzlich. Außerdem malte Heinrich Pöpperl wunderschöne Bilder vom Schloss und der Umgebung von Steinach. Bei einigen Steinacher Familien sind von ihm noch gemalte Aquarelle von ihren Häusern zu finden.

 

schloss steinach roth

Aquarell vom Westen des Neuen Schlosses
gemalt von Heinrich Pöpperl, Straubing 1948

 

aquarell schlosstor turm 1948

Aquarell vom Westtor, im Hintergrund der Turm
gemalt von Heinrich Pöpperl, Straubing 1948

 

 

Fluechtlingslager 2

Das Flüchtlingslager Steinach vom Helmberg aus.
Die ehemalige Arbeitsdienstbaracken im Vordergrund sowie die nicht zerstörten Teile des Neuen Schlosses boten den Flüchtlingen und Vertriebenen eine kurz- oder längerfristige Heimat.

 

geburtstag klasse

Die Schulkinder der Volksschule im Flüchtlingslager Steinach gratulieren ihrem beliebten Lehrer Pöpperl zum Geburtstag und überreichen eine Geburtstagstorte.

 

 

hochzeit gruppe

Das Leben geht weiter ... Eine Hochzeitsgesellschaft posiert vor der Schlossruine

 

 

sportplatz2

Flüchtlingskinder gestalten unter Leitung von Lehrer Pöpperl den ehemaligen Tennisplatz zu einem Sportplatz um,
wobei sie die Reste der abgebrannten NS-Baracke entfernen.

 

sportplatz3

 

sportplatz bearbeitet

Der ehemalige Tennisplatz vor und nach der Säuberung durch die Schüler.

 

 

schueler vor schloss 3

Die Schüler von Lehrer Pöpperl vor dem Neuen Schloss.

 

schueler vor schloss 1

 

 

Die Auflösung des Flüchtlingslagers Steinach im Jahre 1952

Der Stadtrat Straubing teilte mit Schreiben vom 8.Januar 1952 dem Bayerischen Staatsministerium des Innern, Abt. Flüchtlingswesen mit, dass das von ihm betriebene Flüchtlingslager Steinach aufgelöst wird und bat um Überlassung der dortigen Baracken. Es gibt dazu einen ganzen Akt im Staatsarchiv Landshut (Rep. 158 Verz. I Nr. 1500 ff). So schreibt der Stadtrat im zitierten Schriftsatz vom 8.Januar 1952 u.a.:
"Die Stadt Straubing hat als Bauträger zwecks Auflösung des Lagers Steinach den Bau von 36 Wohnungen übernommen. Die Wohnungen werden voraussichtlich um die Monatswende Januar/Februar 1952 bezugsfertig. Als Baugelände stellte die Stadt Straubing eines ihrer letzten und bestaufgeschlossenen Grundstücke in der Stadtmitte (Gammelsdorftrstraße) zur Verfügung.

Die ... Umstände lassen die Bitte der Stadt Straubing gerechtfertigt erscheinen, daß ihr die durch die Belegung der Wohnungen im Lager Steinach frei werdenden Baracken zur Errichtung von Wohnungen für unzumutbare Mieter, wenn irgendwie vertretbar ohne Entgelt, überlassen werden ....

Nach der gutachterlichen Äußerung des Stadtbauamts würden schon mindestens 5 Baracken benötigt, um daraus 3 für Wohnzwecke brauchbare wieder aufbauen zu können. Erforderlich wären ferner mindestens eine der beiden vorhandenen Holzlegenbaracken und eine Latrinenbaracke ... «

 

Im Hinblick auf den beabsichtigten Verkauf der Baracken an die Stadt Straubing erstellte das Landbauamt Landshut auf Ersuchen des Finanzamts Straubing Schätzgutachten über den Wert (Abbruchwert) von 5 Baracken und einer Holzlege. Die Verkaufsverhandlungen mit der Stadt Straubing wurden vom Finanzamt im Benehmen mit der Oberfinanzdirektion München, Zweigstelle Landshut, geführt. Das Finanzamt Straubing war damals auch für die Verwaltung staatlicher Liegenschaften zuständig. Die restlose Auflösung des Flüchtlingslagers erfolgte am 15.0ktober 1952 (Schreiben des Straubinger Stadtrats an das Landbauamt Landshut – StA Landshut, Rep. 158/ I LBA Landshut Nr. 1826).

 

 

 

Bauart und Bauzustand der Baracken

Die Schätzgutachten des Landbauamts Landshut vom 4.Februar 1952 zeigen die Bauart und den Bauzustand der Baracken. Am Beispiel der Baracke Nr. 3 läßt sich dies verdeutlichen. Im Gutachten wird dazu u.a. Folgendes ausgeführt:
,,Diese einstöckige, transportable ehem. RAD-Baracke, Baujahr 1938 dient zur Zeit zur Unterbringung von Flüchtlingen, die in nächster Zeit in die von der Stadt Straubing errichteten Massivbauten übersiedelt werden. Die Umfassungswände bestehen aus doppelwandigen Tafeln, die auf Schwellen verankert sind. Die Zwischenwände sind teilweise aus gespundeten Brettern, teils aus Weichfaserplatten erstellt ....

Das flache Satteldach wird aus mit Pappe benagelten Holztafeln, deren Stoßfugen mit Holzleisten verdeckt sind, gebildet. Der Fußboden der Baracke ist aus Holz. Die einfachen Fenster, die Fensterläden sowie die Türen sind in Holz erstellt. Sämtliche Räume besitzen elektrisches Licht ...
Bebaute Fläche: 20, 00 x 8,20
= 164,00 qm. Höhe: 2,45 m."

Der Gutachter kam nach seinen Ermittlungsrichtlinien zu einem Bauwert voll: rd. 1 630 DM und führt dazu ergänzend aus:
"Unter Berücksichtigung der Kosten für den Abbruch der Baracke, der Transport- und Wiederaufstellungskosten hiefür, dürfte der Verkaufswert der Baracke Nr. 3 ca. 40 % des Bauwerts betragen.“

 

Die Schätzwerte erschienen der Stadt Straubing zu hoch. Sie bot 200 DM pro Baracke, womit aber die Staatsverwaltung nicht einverstanden war, die einen Preis von 400 bis 500 DM für angemessen erachtete. Bei einer Baracke trat nun der Landkreis Straubing als Kaufbewerber auf und bot den günstigen Preis von 1 400 DM (Schreiben des Finanzamts Straubing (?) vom 11. März 1953 an die Oberfinanzdirektion München, Zweigstelle Landshut). Der endgültige Preis ist nicht bekannt. Die Baracken wurden teilweise noch bewohnt und wurden schließlich abgebrochen.

Die massiven Wirtschaftsgebäude im unteren Schlossbereich und die beiden Torbauten im oberen Schloss konnten weiterhin durch Vermietung genutzt werden.

 

Nachdem Flüchtlingslager

Nach der Auflösung des Flüchtlingslagers im Jahr 1952 pachtete der Landkreis Straubing das im Bundeseigentum stehende Neue Schloss Steinach von der Bundesvermögensverwaltung in Passau. Der Landkreis seinerseits vermietete nun die Wohnungen in den noch erhaltenen Schlossgebäuden und den Baracken. Diese Vermietung dauerte an bis zum Schlossverkauf an Robert Sporn im Jahr 1961.

Maria Dinter, die mit ihrer Familie 1953 ins Neue Schloss kam und im Gärtnerhaus wohnte, übernahm in dieser Zeit die Stelle einer Schlossverwalterin. Sie führte die neuen Mieter in ihre Wohnungen ein, kassierte die Miete und führte sie an den Landkreis ab, betreute das einzige Telefon im Schloss und war für viele weitere Angelegenheiten im Neuen Schloss zuständig (freundliche Mitteilung von Karl Dinter).

Mit Auflösung des Flüchtlingslagers wurde auch die dort untergebrachte Volksschule aufgelöst. Die "Schlosskinder" mussten nun nach Münster und nach Steinach in die Schule gehen.

 

Ein berühmter Flüchtling im Neuen Schloss Steinach: Paul Ruscheinski

In der handschriftlichen Chronik der Pfarrei Pfaffmünster teilt Pfarrer Josef Bleicher mit:
„Am 1. Okt. 58 wurden wir ohne Chorregenten. Bisher versah seit 1953 den Chordienst der rumänendeutsche Flüchtling Paul Ruscheinski. Dieser feierte hier am 28. Sept. seinen Abschied u. siedelte nach Straßkirchen über zu seinen Kindern und Landsleuten, die ihm dort ein Häuschen gebaut hatten. Er kommt aber sonst, wo er gerufen wird hierher, bis Jos. Kiermeier den Chordienst übernehmen kann.“

Zum Leben von Paul Ruscheinsky kann aus der Schrift "Aus dem Liedgut des dobrudschadeutschen "Singers" Paul Ruscheinski", verfasst von Johannes Künzig und Waltraud Werner und zur Verfügung gestellt von Karl Penzkofer, Folgendes auszugsweise entnommen werden:
„Nahe der Westküste des Schwarzen Meeres unweit der in den beiden letzten Jahrzehnten weltbekannt gewordenen Badestrände von Mamaia liegt das Bauerndorf Karamurat, in dem neben Rumänen und Tartaren etwa 1500 deutsche Bauern siedelten ...

Unser liedreicher Sänger, der 1890 geborene und 1975 verstorbene Paul Ruscheinski gehörte zu den größeren Bauern in Karamurat. Seine besonderen Verdienste im Gemeindeleben erwarb er sich im Bereich des kirchlichen und religiösen Lebens. Ehrenamtlich hat er Jahrzehnte hindurch nicht nur die Glocken zu den Gottesdiensten geltäutet und die Turmuhr betreut, sondern auch den Pfarrer bei Tag· und Nachtzeiten zu Schwerkranken beim "Versehgang" begleitet. Vor allem aber war er der "Singer" (Kantor), der den Kirchenchor leitete und im Gottesdienst das Harmonium spielte. Nach dem 1. Weltkrieg gab er in der rumänischen Schule deutschen Unterricht. 1940 wurde er zwangsumgesiedelt und wurde in Österreich beim Straßenbau eingesetzt. Nach dem Zusammenbruch der deutschen Wehrmacht brachte ihn eine lange und schwere Flucht nach Karamurat zurück, doch es kam nun die schwerste Zeit in seinem Leben. Er, der einst der angesehenste und geachtetste Mann im Dorf war, nicht nur bei den Deutschen, sondern auch bei den Rumänen und Tartaren, musste jetzt Knecht sein, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Sein Haus durfte er nicht mehr betreten, das gehörte jetzt einem Mazedonier.

Er durfte auch in der Kirche nicht mehr musizieren. Es war eine Erlösung für ihn, als er 1947 in einem Rotkreuzzug abtransportiert wurde. Nach zwei entbehrungsreichen Jahren in der Ostzone, landete er in Steinach ... Und in Steinach konnten wir ihn im Oktober 1956 erstmals aufsuchen. Recht bescheiden, um nicht zu sagen notdürftig, war er mit seiner Frau in einem ehemaligen Pferdestall des herrschaftlichen Gutes untergebracht. . .. Wir erlebten Paul Ruscheinski als einen einmalig begeisterten, von Grund auf musikalischen und temperamentvollen Liedersänger und konnten schon bei diesem ersten Besuch eine stattliche Zahl seiner geistlichen und weltlichen Lieder aufnehmen":

Weitere Aufnahmen folgten und es entstanden drei Langspielplatten mit Textheft und den entsprechenden Noten, herausgegeben vom Volkskunde Tonarchiv Freiburg. Weiter erschien eine Einzelschallplatte mit der Karamurater Christmette, die man später sogar in Südtirol angetroffen hat.

Im Textheft wird weiter ausgeführt: „Daß seine Lieder über seinen Tod hinausleben kann schon heute gesagt werden. In der Pfarrei Münster bei Straubing singt man weiterhin die "Karamurater Christmette': und Ruscheinskis Tochter Dore Söhn schrieb uns im Januar 1976, daß sich in Straßkirchen vor Weihnachten ein kleiner Chor gebildet hat, um die Weihnachtslieder aus der „Dobrudscha-Heimat“ gemeinsam zu singen und das "Christkindlein "zu spielen".

 

Ruscheinski
Die Liebe zur Musik ließ ihn sein schweres Leben meistern: Paul Ruscheinski (1890 - 1975)