Weihnachten

 

 Auszug aus den Kindheitserinnerungen "Bei uns dahoam" von Albert Bachl (1888-1969)

 

In der großen Stube hatte mein Vater im Winter seine Schnitzbank aufgestellt. Er brauchte sie, weil er für uns die Holzpantoffeln schnitzte. Die kleinen Geschwister, die noch auf allen Vieren krabbelten, holten sich die Späne, die dabei herunterfielen. Wir Größeren zogen im Winter ein paar Holzscheite hinter dem Ofen hervor. Sie waren unser liebstes Spielzeug und wir bauten Häuser und Ställe damit. Die Mädchen aber banden Ihnen Stofffetzen um und küssten sie dann oder wiegten sie im Arm und sagten, es wären ihre Kinder. Sie gaben ihnen Namen die bei uns gebräuchlich waren: Nanerl, Marl, Schoos und Ferdl. Puppen, Teddybären oder Tiere aus Stoff besaßen wir nicht.

Wenn wir den Vater sehr bettelten, dann versuchte er einen Hund oder ein Pferd für unseren Stall zu schnitzen. Wir standen lange neben ihm und schauten ihm dabei andächtig zu. Auch ein paar Krippenfiguren hat er einmal geschnitzt und einen schönen Stall dazu gebaut. Diese Wunderdinge standen an Weihnachten dann auf dem breiten steinernen Fensterbrett und ich kniete oft davor auf der Bank und betrachtete sie lange.

 

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Weihnachten auf dem Hiegeist-Hof in Hoerabach um 1937
Bild: Max Hiegeist, Hoerabach

 

Am Heiligen Abend dann stand plötzlich eine kleine Fichte in der Stube, über und über mit silbernem Lametta behangen, dazu Herzen und Ringe aus Lebkuchenteig, so, wie sie die Mutter tags zuvor gebacken hatte. Auch Engelshaar schmückte den Baum und das allerschönste waren ein paar dunkelrote Glaskugeln. Sie waren an Goldfäden aufgehängt. Dies gab dem Ganzen noch einen besonderen Glanz. Immer wieder schlich ich in die Stube und schaute diesen verzauberten Baum an. Ich war überzeugt, er konnte nicht von dieser Welt sein. Gar nicht zu reden von dem Duft, den er, zusammen mit den roten Kerzen verströmte, wenn diese angezündet wurden. Jedes Kind bekam ein paar besonders schöne, kleine, rote Äpfel, ein paar Nüsse und Zeltl und Guatl. Auch irgendetwas zum Anziehen lag unter dem Baum, in paar wollene Socken oder  gar ein neues Hemd. Natürlich bekamen wir auch ein paar Griffel für die Schule. Sie waren mit Gold- oder Silberpapier umwickelt, so, wie es sie nur im Himmel gab. Einmal bekam ich sogar eine neue Schiefertafel die einen gewachsten Rahmen hatte. Ich glaubte, ich müsste vor Freude zerspringen. Die Mutter bekam jedes Jahr eine neue Schürze, einmal sogar eine Bettjacke und der Vater eine Tabaksdose auf die ein bärtiges Männergesicht gemalt war. Dazu ein schönes farbiges Schnupftuch und einen Tabak.

Es ging gar nicht zimperlich zu in unserer Familie. Die Mutter führte ein strenges Regiment, der Vater war viel milder mit uns Kindern. Aber an Weihnachten spürten wir mehr als sonst etwas von der Liebe, die unsere Familie zusammenhielt. Ich vermute, das kam daher, weil wir Kinder fest davon überzeugt waren, das Christkindl sei jetzt direkt bei uns in der Stube. Es hatte ja all die feinen und die schönen Dinge gebracht und wenn wir recht brav waren, blieb es den ganzen Heiligen Abend lang mitten unter uns. So standen wir auch lange vor dem Baum, mit glühenden Wangen und glänzenden Augen und beteten jede Menge Vater unser für uns selber und vor allem für die vielen Verstorbenen unserer Familie. Das Beten wollte schier kein Ende nehmen.

Auch Weihnachtslieder haben wir gesungen. Ich war genauso unmusikalisch wie mein Vater, und wir beide mussten sehr falsch gesungen haben, dafür aber recht laut, denn mit eine mal brachen alle meine Geschwister in lautes Gelächter aus. Die Mädchen kicherten in höchsten Tönen, stießen einander in die Seite und schauten auf uns beide. Die Mutter sagte dann streng: „Etz no amol von vorn.“ Wieder begannen wir: „Stille Nacht, heilige Nacht“. Aber es klag anscheinend kein bisschen besser als zuvor, denn das Gekicher begann von Neuem. Schließlich mussten wir ein drittes Mal anfangen. Ich war jetzt still. Nur der Vater sang mit tiefer und lauter Stimme, das Christkind möge in himmlischer Ruh‘ schlafen. Unser Christkind auf der Fensterbank war von unserem Gesang nicht einmal aufgewacht.

 

 

Albert Bachl, der Verfasser dieser Erinnerungen, wurde 1888 in Steinach geboren und ist 1969 in Regensburg als pensionierter Post-Obersekretär gestorben. Seine Jugendzeit verbrachte er in seinem Heimatdorf, wo er bereits mit zehn Jahren bei fremden Bauern arbeiten mußte. Im Weltkrieg 1914/18 diente er bei der Artillerie, dann kam er zur Post. Seine Erinnerungen an Steinach schrieb er im Alter von knapp 80 Jahren.

Er war der Sohn des Gütlers Alois Bachl (1853-1945) und dessen Ehefrau Kreszenz, geb. Altschäffl. (1856-1948). Seine Mutter Kreszenz  war von 1885-1929 Hebamme in Steinach. Die Familie wohnte im dem Gütleranwesen Haus Nr. 41, der heutigen August-Schmieder-Str. 25.