Die ehemalige Chorherren-Stiftskirche und heutige Pfarrkirche St. Tiburtius

 

 von Hans Agsteiner

 

 

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Die Pfarrkirche St. Tiburtius mit der Friedhofskirche St. Martin und im Hintergrund das ehemalige Probsthaus, das heute als Pfarrhaus dient.

aufgenommen im März 2021
Bild: Claudia Heigl

 

 

Als in Münster Anfang des 12. Jahrhunderts ein Chorherrenstift gegründet wurde, möglicherweise auf dem Grund und Boden eines uralten Benediktinerklosters, wählten die vornehmen, meist adeligen Chorherren den Heiligen Tiburtius zum Patron ihres Stifts und ihrer im romanischen Stil errichteten Stiftskirche. Dies ist wohl darin begründet, dass Tiburtius ein Ritterpatron war, wie der Heilige Mauritius, der Patron des Klosters Niederalteich oder der Heilige Georg, welcher Patron zahlreicher Burg- und Schlosskapellen ist, wie z.B. in Steinach. Pfarrpatron von Münster ist aber nach wie vor der hl. Martin. Die noch bestehende Martinskirche war einst die Pfarrkirche für die Dorfbewohner von Pfaffmünster, wie der Ort früher genannt wurde.

Die  erste Urkunde, in welcher das Stift St. Tiburtius erscheint, wird von der Historikerin Cornelia Mohr auf die Zeit um 1112 – 1115 datiert. Darin bestellen der Ritter Gerhoch von Wolferszell und seine Ehefrau Mathilde den Ritter Engelschalk von Parkstetten zu ihrem Testamentsvollstrecker. Er soll nach ihrem Tod ihren Wolferszeller Besitz mit allen hörigen Bauern zur einen Hälfte  geben an das Kloster Oberalteich und zur anderen Hälfte an das  „monasterium s(ancti) Tiburtii“, zu deutsch: an das Kloster St. Tiburtius.

 

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rechts die Pfarrkirche St. Tiburtius
aufgenommen 1956
Bild: Ansichtskarte, Historischer Verein Straubing Nr. 314

 

 

 

Baugeschichte

Über die Baugeschichte der ehemaligen Chorherren-Stiftskirche St. Tiburtius zu Pfaffmünster bestehen nur spärliche Nachrichten. Die stilistischen Merkmale wiesen in die Spätzeit des 12. Jahrhunderts. Durch Feuer mehrmals beschädigt, wurde die Kirche immer wieder rasch hergestellt.

Im Dreißigjährigen Krieg durch die Schweden schwer geschädigt war die Münsterer Tiburtiuskirche ruinös und fast baufällig. Da erbarmte sich ihrer der Straubinger Chorherr Johann Bartholomäus Höller, der als Adoptivsohn des berühmten Bürgermeisters Simon Höller ein großes Vermögen geerbt hatte. Er ließ in den Jahren 1730 bis 1740 mit Mitteln seines Privatvermögens die ehemalige Stiftskirche in Münster umfassend renovieren und sanieren. Die beiden baufälligen romanischen Osttürme wurden abgetragen und durch den heutigen Westturm ersetzt (Jahreszahl 1738 über dem Portal), neue Altäre und eine Kanzel geschaffen und die heutige Sakristei angebaut sowie ein kostbares Sebastiansreliquiar angeschafft.

 

Kirchenportal

Eingangsportal der Kirche St. Tiburtius aus dem Jahr 1738
mit Wappen des Kollegiatstiftes Straubing
Bild: Albert Lindmeier, 2020

 

 

 

Größter Tiburtius-Zyklus der Welt

Höller beauftragte den damals schon sehr bekannten Maler Johann Adam Schöpf hier einen Gemälde-Zyklus mit Szenen aus dem Leben des Heiligen Tiburtius zu schaffen. Der Münsterer Tiburtius-Zyklus besteht aus vier großflächigen Deckengemälden, zwei Wandgemälden sowie dem Altarblatt des Hochaltars. Auf dem Deckengemälde über der Empore ist in einer Kartusche die Jahreszahl MDCCXXXVIII = 1738 angegeben, das ist das Jahr, in welchem die Gemälde nach dem Umbau geschaffen worden sind (vgl. auch Jahresangabe „1738“ über dem Kirchenportal). Leben und Sterben des Kirchen- und Stiftspatrons St. Tiburtius werden im Folgenden an Hand dieses großartigen Gemäldezyklus` dargestellt. Es handelt sich bei den Münsterer Fresken um den größten Tiburtius-Zyklus der Welt.

 

1865 ersetzte man die schadhafte Turmkuppel durch den heutigen Spitzhelm.

Eine umfassende Innen- und Außenrenovierung erfolgte im Jahr 1905, Sie war ermöglicht worden durch das großzügige Vermächtnis des Pfarrers Johann Baptist Dietl.

Eine weitere Innen- und Außenrenovierung führte Pfarrer Josef Bleicher in den Jahren 1953-1957 durch.

 

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Pfarrkirche St. Tiburtius
aufgenommen ca. 1957

Bild: Ansichtskarte, Historischer Verein Straubing Nr. 316



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 Tiburtius Kirche

 

aufgenommen 2005
Bilder: Albert Lindmeier

 

 

Spätes Rokoko in höchster Vollendung  

 

Zum 300. Geburtstag des berühmten Bildhauers und Stuckateurs Mathias Obermayr

 

 

Am 14. Mai 1720 – also vor 300 Jahren – ist  Mathias Obermayr, der spätere führende Meister des Rokoko im Straubinger Land, in Meindling, Gemeinde Oberschneiding, geboren. Obermayr stammt aus dem Bauernstand. Soweit die Familie zurückverfolgt werden kann, d.h. seit dem Dreißigjährigen Krieg, saßen die Obermayr auf ihrem Hof in Meindling, keinem der größten im Gäuboden, aber ausreichend, um eine große Familie zu ernähren und den vielfachen Verpflichtungen nachzukommen. Die Familie zählte dreizehn Kinder, sieben Buben und sechs Mädchen. Mathias wollte Künstler werden. Den Beginn seiner Lehrzeit können wir um 1735 annehmen. Es lag nahe, dass Obermayr im benachbarten Straubing in die Lehre ging. Wenn dies der Fall war, kommt zunächst Simon Hofer als Lehrmeister in Frage. Es ist mit Sicherheit anzunehmen, dass sich Obermayr nach seiner Lehrzeit auf die Wanderschaft begab. Die ersten urkundlichen Nachrichten über Obermayr nach seiner Taufmatrikel sind die vom 13. Juli und vom 4. August 1749, die seine Meisterwerdung mitteilen. Am 25. August 1749 heiratet er die Witwe Maria Theresia Hundertpfund. Man darf vermuten, dass Obermayr die letzte Zeit vor seiner Heirat bereits in der Hundertpfund´schen Werkstatt zugebracht hat, die er mit der Heirat übernahm. Durch die Heirat mit der Witwe seines Vorgängers konnte er eines der beiden Bildhauerrechte in Straubing erwerben. Straubing hatte erst die Folgeschäden des Österreichischen Erbfolgekrieges überwunden. In den folgenden Jahren bis zu seinem Tod am 15. Dezember 1799 erhielt er als allseits anerkannter Meister seines Faches Aufträge von weltlichen und geistlichen Herren, von Kirchen und Klöstern in seiner Gäubodenheimat, im Donautal und in den Bergen und Senken des Bayerischen Waldes. Mathias Obermayr schuf hier großartige Kunstwerke. Als Beispiel seien die bedeutenden und berühmten Seitenaltäre in der Klosterkirche Windberg genannt, aber auch die Kanzel in Straubing St. Jakob, die von ihm fertiggestellt wurde.

 

Frühes Rokoko in der ehemaligen Stiftskirche St. Tiburtius in Münster

In den Jahren 1738 bis 1740 hat der Straubinger Chorherr Johann Bartholomäus Höller, eine Adoptivsohn des berühmten Straubinger Bürgermeisters Simon Höller, aus Mitteln seines Privatvermögens die ehemalige Kollegiatstiftskirche und spätere Pfarrkirche St. Tiburtius im Stil des frühen Rokoko umgestalten lassen. Rokoko ist eine Stilrichtung der europäischen Kunst (von etwa 1725 bis 1775) und entwickelte sich aus dem späten Barock (ca. 1700 bis 1720). Ausgangspunkt ist Frankreich. Der Name entstammt dem französischen Wort Rocaille (=Muschelwerk) und bezeichnet ein immer wieder auftretendes Ornamentmotiv, das sich durch Asymetrie vom barocken Formen unterscheidet. Die Pfarrei Pfaffmünster ist seit der Stiftsverlegung nach Straubing im Jahre 1581 dem dortigen Kollegiatstift St. Jakob und St. Tiburitus einverleibt. In Münster besoldete das Straubinger Stift einen Pfarrvikar, der später Pfarrer genannt wurde.

 

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Die Kanzel von ca. 1738 - frühes Rokoko
Bild: Albert Lindmeier, 2020

 

 

 

Glanzlichter des späten Rokoko von Mathias Obermayr in St. Tiburtius

Von 1755 bis 1762 ist Leonhard Obermayr, ein Bruder von Mathias Obermayr, Pfarrer in Münster. Diesem Glücksfall haben wir es zu verdanken, dass die Münsterer Pfarrkirche um großartige Kunstwerke bereichert worden ist.

Es sind etwa vierzig Jahre nach dem frühen Rokoko: Der Kunststil des Rokoko verbessert und verfeinert sich. Das ist die Zeit des späten Rokoko und des Kunstschaffens von Mathias Obermayr, der in Münster Großartiges geschaffen hat.Ein Vergleich mit den Altären des frühen Rokoko (Hochaltar, Sebastians- und Marienaltar) von 1738 zeigt deutliche Unterschiede, insbesondere die zahlreichen Verschnörkelungen.

 

 

Kunsthistorische Würdigung der Seitenaltäre in Münster  durch Eva und Karl Tyroller

In der aktualisierten und erweiterten Ausgabe des 70. Straubinger Heftes, 2020, wird auf die beiden Seitenaltäre im südlichen und nördlichen Seitenschiff von St. Tiburtius eingegangen, die auf Grund der stilistischen Merkmale Mathias Obermayr zuzuschreiben sind.

 

Der Kreuzaltar im südlichen Seitenschiff (um 1765)

In die frühen sechziger Jahre des 18. Jahrhunderts dürfte der Stuckaltar in der Pfarrkirche und ehemaligen Kollegiatstiftskirche St. Tiburtius in Münster gehören. Um einen älteren Kruzifixus, eine trauernde Maria und einen Johannes (Tonfiguren aus der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts) formte Obermayr einen Stuckaltar. Eine weit gespannte Stuckdraperie umfängt die drei Gestalten und schafft einen gemuldeten Hintergrund über dem sich ein Baldachin mit Lambrequins (Querbehang zum Abschluss) spannt. Die Architektur wird vom Bildinnern abgedrängt und ein stimmungsvoller Rahmen geschaffen. Zwei Putten schürzen den Vorhand in Höhe von Pilastergesimsen, die in leichtem Schwung nach innen ansteigen. Vasen von reichster Bildung krönen sie. Erstaunlich ist die Art, wie achtsam und einfühlend Obermayr den stillen gotischen Werken Rechenschaft trägt. Das liegt möglicherweise auch daran, dass im Werk Obermayrs gotische Tendenzen lebendig geblieben sind.

 

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Bild: Albert Lindmeier, 2020

 

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Vergrößerung der Vase

 

 

Am 26. Juli 2003 besichtigte der Verfasser zusammen mit den Landshuter Kunsthistoriker Dr. Schmidt den Kreuzaltar. Zum Gekreuzigten, den Mathias Obermayr in die Gesamtkomposition einbezogen hat, hat sich Karl Tyroller nicht festlegen wollen und laut Dr. Schmidt ist er wohl älter und überschnitzt worden. Das Haar des Gekreuzigten sei im Stil des 18. Jahrhunderts gestaltet, ebenso der Schurz und die Füße. Eindeutig sei die Zuweisung des Seitenaltars an Mathias Obermayr. Viele Parallelen ergäben sich zu den Windberger Seitenälteren.

 

 

 

Die Pietà im nördlichen Seitenschiff (um 1765)

Im rückwärtigen Teil des nördlichen Seitenschiffs befindet sich eine von Mathias Obermayr aus einem einzigen Lindenholzstück gefertigte Pietà von außerordentlich künstlerischem Wert, die den Mittelpunkt eines Altars darstellt. Auf einem modellierten Sockel, der sich aus ineinander gleitenden Rocaille-Bögen und Voluten um eine Kartusche aufbaut, sitzt die Mutter, den toten Sohn auf dem Schoß. Die beiden Gestalten sind so ineinander verschränkt, dass der Körper des Heilands im Schoß der Mutter zu versinken scheint. Christi Brust liegt auf ihrem rechten Schenkel, sein hilflos herabsinkendes Haupt wird von ihrer Rechten gestützt. Die Mutter erhebt ihre Linke zu einer klagenden Geste, ihr Gesicht ist zurückgesunken, die Augen sind zum Himmel erhoben.Die Gruppe dehnt sich in bäuerlicher Breite. Der Körper Christi ist kräftig modelliert. Die Löcher zwischen den ausfahrenden Gliedern werden von wehenden Tuchbahnen, die die Dramatik des Geschehens untermalen, ausgefüllt. Die Klage wird derb und laut vorgetragen. Obermayr stellt den lebhaften Schmerz der Mutter gegen den zerbrochenen Körper des Toten. Auch bei diesem ist nicht die Darstellung der Todesstarre das Ziel, sondern die Zurschaustellung des geschändeten Körpers. Die drastische, volksnahe, sehr direkte Verwirklichung, die in Richtung und Gegenrichtung aufgebaute Komposition, das Kantige, Eckige und Splissige erwecken Reminiszenzen an die gotische Szenendarstellung.

 

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Bild: Albert Lindmeier, 2020

 

Anläßlich einer Besichtigung der Münsterer Kirchen durch den Historischen Verein für Straubing und Umgebung teilte Studienprofessor Karl Tyroller mit, dass die Münsterer Pietà auf Grund von Stilvergleichen eindeutig Mathias Obermayr zuzuweisen sei. Dies sei ihm im Umkehrschluss gelungen. Anläßlich seiner Arbeiten in Loh habe er die dortige Pietà erforscht, die urkundlich von Mathias Obermayr stammt. Da die Münsterer Pietà der Loher sehr ähnlich sei, könne man auf Grund von Stilvergleichen dieselbe Künstlerhand annehmen.

 

Der Landshuter Kunsthistoriker Dr. Otto Schmidt bezeichnete bei seinem Besuch am 26. Juli 2003 die Pietà als ein Meisterwerk von Mathias Obermayr und ein Spitzenwerk der Kunst.

 

 

Mögliche weitere Arbeiten von Mathias Obermayr in der Tiburtiuskirche

 

Maria im Gehäuse

Beim Besuch des Landshuter Kunsthistorikers Dr. Otto Schmidt vertrat dieser die Auffassung, die auch Karl Tyroller, ebenfalls bei einem früheren Kirchenbesuch ins Auge gefasst hatte, dass es sich bei dem kleinen Schaukasten am linken Chorbogen um ein Werk von Mathias Obermayr handelt. Bei der Madonna mit Kind, die sich im Gehäuse befindet,könnte es sich lt Dr. Schmidt um eine Nachbildung einer noch unbekannten Wallfahrtsmadonna aus der Umgebung handeln.

 

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Bild: Albert Lindmeier, 2020

 

 

 

Christus in der Rast

Bei dem erwähnten Besuch des Landshuter Kunsthistorikers Dr. Schmidt wurde von ihm die  Auffassung vertreten, dass auch der Christus in der Rast am westlichen Chorbogen von Mathias Obermayr stammt.

 

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Bild: Albert Lindmeier, 2020

 

 

 

 

Obermayrs letzte Jahre und sein Tod in bitterer Armut

In den 70er Jahren des 18. Jahrhunderts kündigte sich ein Wandel im künstlerischen Geschmack mit weitreichenden Folgen für das bayerische Rokoko und seine Meister an.

Ein kurfürstlicher Erlass forderte „edle Simplizität“ in der Kunst und verwarf die „ungereimten und lächerlichen Zierraten“. „Der Zopf muss weg!“ lautete ein verächtlicher Spruch zur Stilrichtung des Rokoko. Der Klassizismus hielt Einzug. Die Künstler konnten sich der neuen Stilrichtung nicht verschließen. Doch manchen von ihnen fiel dies schwer. Die Umstellung fiel auch dem ins Alter gekommenen Mathias Obermayr nicht leicht, Aufträge wurden selten. Obermayr, der in bittere Armut fiel, ist am 15. Dezember 1799 verstorben. Sein Grab im Straubinger Friedhof St. Peter ist verschollen.

 

Würdigung durch Gemeinde und Pfarrgemeinde

Gemeinde und Pfarrei können stolz sein auf die großartigen Kunstwerke, die Mathias Obermayr in Münster geschaffen hat und nicht nur von Kunstkennern bewundert werden. Zurecht hat ihm die Gemeinde Steinach im Ortsteil Münster einen Straßennamen gewidmet: die Obermayrstraße im Ortskern.

 

 

 

Quellen:

Eva und Karl Tyroller, Mathias Obermayr, Straubinger Heft Nummer 70 (2020), Neubearbeitung des vergriffenen Heftes Nummer 26 (1976)
Werner Schäfer, Der Meister des bayeribschen Rokoko – Der Straubinger Stuckator und Bildhauer Mathias Obermayr feiert am 14. Mai seinen 300. Geburtstag, in: Straubinger Tagblatt vom 9. Mai 2020.
Untersuchungen und Auskünfte durch den Landshuter Kunsthistoriker Dr. Otto Schmidt

 

 

 

 

 

Vollgeläut der Glocken der St. Tiburtius Kirche in Münster

 

 

 

 Quelle: Youtube, Bistumsglocke
aufgenommen am Samstag, den 06. Juli 2019 zur Sonntagvorabendmesse um 18 Uhr