Das Wagner-Anwesen in Steinach Hs.Nr. 44
(August-Schmieder-Str. 30 und 31)
oder
Scherm-Haus
von Claudia Heigl
Während in Gschwendt und in Wolferszell das Wagnergewerbe schon im 17. Jahrhundert anzutreffen sind, lässt sich in Steinach mit Konrad Wurst erst um 1709 ein Wagner nieder.
Konrad Wurst stammte aus Kösching und war zuerst als Kutscher beim Steinacher Schlossherrn Karl Freiherr von Hörwarth (1680-1709) angestellt.
Als der Gutsherr im Oktober 1709 stirbt, werden seine Dienste nicht mehr benötigt und er verdient seinen Lebensunterhalt nun als Wagner. Als Kutscher kannte er sich mit den Wagen aus und musste sie auch reparieren können.
Das ehemalige Wagnerhaus bzw. Schermhaus um 1920
Der Geologe Anton Scherm mit Lina und Maria Meier, die ihm damals den Haushalt führten.
Quelle: Familie Meier, Agendorf
Josef Wurst lässt sich mit seiner jungen Ehefrau Elisabeth Felhorn, einer Bäckerstocher von Schwarzenhofen, in der heutigen oberen August-Schmieder-Str. 30, nieder.
Das Wagnergewerbe wird die nächsten vier Generationen an die Söhne weitergegeben und auf dem Anwesen ausgeübt. Das Einkommen und Vermögen der Familie dürfte, durch das Gewerbe, ausreichend gewesen sein. Seine Nachkommen holten sich ihre Frauen alle aus größeren Höfen in der Umgebung:
- 1737 Barbara Foidl von Bärnzell
- 1773 Walburga Laumer von Spornhüttling
- 1819 Anna Pongratz von Untergoßzell
- 1855 Katharina Fischer von Oberschneiding
1822 brennt das Kufner-Haus in der Nachbarschaft nieder und mit ihm noch weitere vier Häuser. Ob die Wagnerei davon betroffen war, lässt sich nicht feststellt.
Aber spätestens 1869 brennt auch das Wohnhaus der Wagnerei ab. In einem Plan vom März 1869 wird das Wohnhaus als „abgebranntes, neu zu erbauendes Wohnhaus“ aufgeführt[i]. Eine Katastrophe für die Familie, da dieser Zeit kaum jemand eine Brandversicherung hatte.
Zu allem Überfluss kommt noch hinzu, dass der Wagner Joseph Wurst im Alter von 47 Jahren im Februar 1871 an Abzehrung stirbt.
Er hinterlässt eine 38jährige Witwe und vier Kinder: Joseph (15), Andreas (11), Katharina (5) und Anna Maria (1). Die kleine Tochter Anna Maria folgt ihrem Vater im August des selben Jahres mit 1 ¾ Jahr auf dem Friedhof nach.
Da die Witwe die Wagnerei alleine nicht weiterbetreiben kann und der älteste Sohn Joseph noch nicht ausgelernt hat, verkauft sie das Anwesen mit dem neu erbauten Haus und 2,68 Tagwerk Grundbesitz am 01.07.1873 um 2.600 Gulden an den Wagner Joseph Köppl von Ascha.
Die Witwe wird wohl mit ihren Kindern vorerst weiter im Wagnerhaus mit ihren Kindern gewohnt haben und Joseph Wurst jun. seine Wagnerlehre bei dem neuen Wagner Köppl weitergeführt haben.
Auf dem Grundstück errichtet Köppl noch ein Ausnahmhaus, das ihm die Witwe am 22.03.1879 mit dem 220 qm großen Garten um 271 Mark abkauft. Sie betreibt in dem Haus eine Kramerei, um den Unterhalt für sich und ihre drei Kinder zu gewährleisten. siehe hierzu Hs.Nr. 44 ½
Ortsplan von Steinach um 1879
Quelle: Vermessungsamt Straubing Nr. 187c
links das ehemalige Wagneranwesen, rechts davon das neue Kramer-Häusl
aufgenommen beim Gründungsfest der Feuerwehr 1922
Quelle: Archiv für Heimatgeschichte Steinach, Nachlass Ludwig Niggl
Im November 1879 heiratet Köppl die Müllerstochter Katharina Hartberger von der Aichmühl. Aber bereits am 13.12.1886 verkauft das Ehepaar die Wagnerei an Katharina’s Bruder Joseph Hartberger.
Der Wagnerssohn Joseph Wurst jun., inzwischen 30 Jahre alt, heiratet die Häuslerstochter Katharina Raith und übernimmt mit ihr deren Elternhaus in Steinach Nr. 37 (heute August-Schmieder-Str. 23, Schreinerei Laumer-Bierl) Dort richtet er sich eine eigene Werkstätte ein, nachdem sein alter Lehrherr Köppl die bisherige Wagnerei verkauft hat.
Das Schermhaus von der Rückseite um 1920
Quelle: Willi Kiefel, Tuam (Irland)
Joseph Hartberger veräußert das Anwesen drei Monate später, am 26.03.1887, weiter an den Sattler Anton Scherm und dessen Ehefrau Therese. Die Scherm‘s waren vorher auf dem Anwesen Nr. 15 ½ (August-Schmieder-Str. 7a, heute Fischer) in Steinach ansässig. Der Sattler übt bis ca. 1921 das Gewerbe auf dem Anwesen aus. Siehe Sattler in Steinach
Anton Scherm’s einziger Sohn gleichen Namens ist äußerst intelligent und studiert Geologie. Durch seine Initiative wurden zwischen Hoerabach und Muckenwinkling 1921 die Hügelgräber archäologisch untersucht und deren Inhalt sichergestellt. Die ausgegrabenen Urnen und Grabbeigaben sind heute im Gäubodenmuseum zu besichtigen[ii].
Nach dem Tod seines Vaters veröffentlicht der Geologe einen Nachruf über ihn "Der Bayerwald" in Vergangenhiet und Gegenwart Heft 1, 1923, S. 11 u. 12 [iii]
Ein Steinacher Leben
Steinach. Wieder ist ein echter Bayernwäldler dahin. Sie haben einen guten Mann begraben in den sonnarmen Tagen des scheidenden Jahres. Und wenn im ländlichen Altbayern die „Leich“ ein Gradmesser der Beliebtheit ist, war das Grabgeleite, das die ganze Dorfschaft Steinach am 12. Dezember 1922 ihrem alten Sattlermeister Anton Scherm gab, ein güttig Zeugnis, wie er in Ehren geachtet war, allwo er durch nahezu ein halbjahrhundert seine flinkgeschickten Meisterhände arbeitsfreudig zur Verfügung gestellt hat. Sein Heimatdorf war das uralte Pfatter. Bei einem alten Vetter machte er zu Deggendorf seine Lehrzeit durch, seine Wanderjahre führten ihn auf Fuß und Floß hinunter bis nach Budapest, als Gesellen sah ihn Cham. Im Jänner 1870/71 ward er Landsberger-Jäger, Gefreiter dann und 73 mit der Kriegsdenkmünze von Stahl „Für treuerfüllte Pflicht im Kriege“ entlassen. Nun finden wir ihn zu Straubing wieder bei Schütz arbeitend.
1876 siedelte Hr. Scherm nach Steinach über, holte sich von Hornstorf seine Lebensgefährtin Theresia Reiserer und begann in bescheidenen Wohnungsverhältnissen mit der selbständigen Ausübung seines Sattlerhandwerkes. Von der Wundermühle bis weit in die Vorwaldberge hinter Falkenfels trifft man den frischen Meister in den Gehöften an. Er war ein schöner, großer, rascher Mann, rotbackig, mit blauen Augen und schwarzen Haaren, mit einem goldguten Herzen und sonnigem Humor, war nur erst häufige Arbeit da. Gar gern war er überall geseh’n, wohin er auf die Stöhr kam, wohlaufgenommen, weil er für zwei gut richtete und raschest sein Werkzeugränzel zum „Fertig“ übernahm. In Marsch und Leistung kam keiner mit, wenn Sattler Scherm anzog, dem lag alte Jägerschrittdisziplin und Mannesenergie im Blute, durchhaltend bis in sein vierundsiebzigstes Lebensjahr.
Was er tat, geschah noch dies heurige Jahr mit eben gleicher Gewissenhaftigkeit wie Genauigkeit, die seine Arbeiten all als Meistermal tragen. Solch emsige Fleiß bleibt der Erfolg nicht fern; bald nannte er Häuschen sein, das im Verein mit der rastlosen Arbeit seiner Ehefrau sich Ende der achtziger Jahre auf ein Haus in schönster Lage verbesserte, mit eigenem Grund und Boden. Das war mein Kindesparadies – meinen lieben Vater Scherm hatten die Leute gern, weil er keinen übernahm, keinem ein Leid antat, aber vielen viel Gutes erwies und wieder erwiesen bekam. Wie übermütig im erarbeiteten Glück, blieb er auch aufrecht in unverschuldetem Kummer und Unglück, wie’s nur Väter treffen kann, deren Einziger im Studium fort durch Leib und Krankheit geht.
Von allen Menschenmännern einziger hielt er her in allem Malheur, daß sein Junge sich den Geologen erstudieren konnte, und wie hat er sich gefreut, als sein Bub bei Münster die Steinzeit- bei Hörabach die Bronzefunde hob, gefreut, daß er so seltene Dinge sehen konnte; der einfach Mann hat helle Augen und Freude an der heimatlichen Natur und ihrem Schönen gehabt, wie manche Seltenheit brachte er heim von seinen Arbeitsgängen, Gestein und Blumen, daran hielt er sich aufrecht.
Mein Vater, der seelengute Mann, verlor auch dann den Mut nicht, als er selber schwer erkrankte und arbeitend verunglückte. Aufrecht blieb der tiefreligiöse Mann in den langen, bangen Kriegsjahren, tat alt und invalid seine Arbeit still und unentwegt im schlichten Gewand, über dem ein feiner Kopf stand in schneeweißem Haar und seine Hände hielten in der jungmännerarmen Zeit noch einmal alle Gespannzeuge intakt und zugfest, damit so die Landwirtschaft ihren Heimatdienst aufrecht erhalten konnte, das war stilles Heldentum, wenn es auch kein Verdienstkreuz lohnte. Sattlermeister Scherm Leben war restlose Pflichterfüllung. Als Ehrenmann hat er seine Pflicht erfüllt mit Gott, in jungen und greisen Tagen, für seinen König und unser Vaterland. Als todkranker mann noch von altem Schrot und Korn hielt er stand nach Arbeitsnot und nicht nach Tarif und Stunde. An solchen Männern wäre Not, die arbeiten und nicht verzagen, die leiden, ohne zu klagen, da sollte der Tod Halt machen, auf daß die jungen nicht ohne Beispiel wären und Spiegel. Alle, die ihn von Herzen lieben gelernt, hielten ihm die Treue, wie er ihnen.
Bis ihm sein Werkzeug aus den Händen glitt, hat er gearbeitet, der liebe, greise Sattlermeister Scherm zu Stenach für seine ihm Gebliebenen, für Schloßkundschaft und Oekonomen, unter schwerstem Leiden unermüdlich arbeitend um seine Familie. Am zweiten Samstag dieser Adventzeit machte er Feierabend für immer. Todmüde rüstete er sich nach sieben Uhr abends zum zubettegehen um auszuruhen, und fing kaum hingelagert das Sterben an. Wohlversehen mit allem religiösem Beistand veratmete er in der ersten Stunde des zweiten Advent-Sonntagsmorgens. Von weit und breit kam ihm das Grabgeleit und Beileid uns durch Schrift und persönlich Wort.
Habt alle Dank! Habt Dank ihr, die das Grabesweh‘ durch Trostesred‘ und Lied entspannt. habt Dank, die ihr meinen Vater truget den letzten Weg und habe Dank wer seinen Hügel mit des Waldkranzes grünem Busche deckte. Ihr wißt, wie gern der liebe Tote uns und euch gehabt, wie gern er noch lang unter uns gewesen wäre. „Ich hab euch so gern gehabt“, hat er den letzten Tag zu Frau und Sohn gesagt. Sie haben einen guten Mann begraben, doch mir war er mehr, mein Vater.
Ihm aber ward gnädig erfüllt, worum Freiherr Börries von Münchhausen in seinem Kriegsfeldbüchlein dichterinnig fleht: „Wenn zwei Eheleute zum Sternenhimmel starrn, oder ein Bruder hält seiner lieben Schwester das Garn, oder ein Freund schenkt bedachtsam dem Freunde ein, schwebt ein dunkler Falter über den zwei’n; einer von uns muß hinter dem Sarge geh’n, d’ran im Straßenwinde die Schleifen weh’n, einer von uns muß streuen mit kalter Hand, Erde dernieder vom bretternen Grabesrand, einer von uns muß geh’n nach Haus allein, Lieber Gott, laß mich der andere sein!“
Lt. Überlieferung wurde Scherm bei einem Heimatbesuch irrsinnig, nachdem er in einen kalten Bach gesprungen war. Der Geologe starb 1942 ledig im Alter von 57 Jahren.
Das Haus erbt eine Nachbarin, die sich um Anton Scherm gekümmert hat.
Das ehemalige Scherm-Haus wurde in den 1950er Jahren nach links erweitert.
Bild: Archiv für Heimatgeschichte Steinach
Nach seinem Tod wird in dem Haus ein Kindergarten eingerichtet, der jedoch nach Kriegsende wieder eingestellt wird.
Der Kindergarten im Scherm-Haus
Bild: Familie Schönauer, Steinach
[i] Gemeinde Steinach: Baulinien-Plan von Steinach, Blatt 2. Erstellt am 5. März 1869 vom Königlichen Bezirksamt Straubing
[ii] Die Hügelgräber bei Muckenwinkling, Veröffentlicht im Jahresbericht d. Hist. Vereins Straubing u. Umgebung 40. Jhg. 1937
[iii] Gedruckt in der Festschrift 700 Jahre Pfarrgemeinde Steinach 1985, S. 119
Weitere Quellen:
BayHStA München, Kurbayern Hofkammer, Hofanlagsbuchhaltung Band 248, Konskription der Untertanen der Hofmark Steinach 1752
BayHStA München, Kurbayern Hofkammer, Hofanlagsbuchhaltung Band 514, Hofanlagsbuch der Hofmark Steinach 1760
StA Landshut, Rentamt Straubing B78, Häuser- und Rustikalsteuerkataster d. Steuerdistriktes Münster incl. Steinach 1808
StA Landshut, Rentamt Straubing B79, Umschreibebuch zum Häuser- und Rustikalsteuerkataster d. Steuerdistriktes Münster incl. Steinach 1814-1843
Vermessungsamt Straubing, Liquidationsprotokolle der Steuergemeinde Steinach von 1838
StA Landshut, Grundsteuerkataster (Rep.127), Sig. 17/42-4, Umschreibehefte zum Urkataster der Gemarkung Steinach Hs.Nr. 1 – 72, 1843-1859
StA Landshut, Grundsteuerkataster (Rep.127), Sig. 17/42-7, Umschreibehefte zum 1. Renov. Kataster der Gemarkung Steinach Hs.Nr. 1 – 55, 1859 – 1906
StA Landshut, Grundsteuerkataster (Rep.127), Sig. 17/42-11, Umschreibehefte zum 2. Renov. Kataster der Gemarkung Steinach Hs.Nr. 1-65, 1906 – 1960
BZAR Regensburg, Pfarrmatrikel der Pfarrei Steinach