Neues Schloss Steinach
Die geheime Dienststelle „Übersee“ der NSDAP- Parteikanzlei in München
von Hans Agsteiner
Die NSDAP-Parteikanzlei München
Als Reichshauptstadt war Berlin das politische Zentrum des NS-Saates. München diente als „Hauptstadt der Bewegung“ vor allem den Repräsentationsbedürfnissen. Hier verblieb zudem die Reichsleitung der NSDAP. Andere nationalsozialistische Organisationen und Verbände hatten im Umfeld des Königsplatzes ihre Zentrale oder waren mit einer Nebenstelle vertreten. München war also das Zentrum der Parteibürokratie.
Rund um den Königsplatz waren u.a. angesiedelt:
- Das „Braune Haus“ am Karolinenplatz, das heute nicht mehr besteht.
- Der sog. „Führerbau“ und der „Verwaltungsbau“. Beide Bauten sind heute noch erhalten und wegen ihrer bombastischen baulichen Gestaltung unschwer der NS-Zeit zuzurechnen. Im „Führerbau“ empfing Hitler u.a. Mussolini.
- Die beiden heute nicht mehr erhaltenen „Ehrentempel“ für die Opfer des Hitler-Aufstands von 1929. Hier stand Tag und Nacht eine Ehrenwache und man durfte nur mit dem Hitlergruß vorbeigehen.
- Verschiedene Parteiverwaltungsämter.
Einflussreiche Funktionäre hatten in dieser Gegend von München ihre Dienststellen, so der „Stellvertreter des Führers“ Rudolf Hess (1936 – 1941) sowie sein Nachfolger, der „Leiter der Parteikanzlei“ Martin Bormann (1941 – 1945) mit Sitz in der ehemaligen päpstlichen Nuntiatur (Brienner Straße 15). Die Parteikanzlei der NSDAP wurde schließlich eine größere Institution, die verstreut in diesem Gebiet untergebracht war (z.B. auch im Führer- und im Verwaltungsbau. Es war deshalb ein Parteikanzlei-Neubau erforderlich. Dieser sollte sich im Nordwesten des Königsplatzes erheben. Das Gebäude, mit dessen Bau 1938/39 begonnen wurde, sollte in seiner Architektur der gegenüberliegenden Alten Pinakothek entsprechen. Durch eine Brücke sollte die Parteikanzlei mit dem Führerbau verbunden werden. Der 2. Weltkrieg führte schließlich zum Bauabbruch. Nur die gewaltigen Bunkeranlagen wurden vollendet.
Da sich Bormann häufig in Berlin in der Nähe des Führers aufhielt, hatte er natürlich auch dort ein Gebäude für die Parteikanzlei. So berichtet er in seinem Tagebuch unter dem 20. Februar 1945, dass er sich in der Berliner Parteikanzlei aufgehalten habe und unter dem 3. Februar 1945, dass am Vormittag ein schwerer Angriff auf Berlin erfolgt sei, wobei auch die Parteikanzlei beschädigt wurde. Zum 26. Februar 1945 führt Bormann im Tagebuch aus: „Starker Angriff auf Bln. Parteikanzlei zum zweiten Male schwer getroffen. (Hof-Trakt)“ (Lew Besymenski, a.a.O.). Das Gebäude der Berliner Parteikanzlei befand sich in der Wilhelmstraße Nr. 54 (ehemals 64). Dort war ab 1934 der „Sitz des Stellvertreters des Führers“ und ab 1941 die „Parteikanzlei“. Im 2. Weltkrieg kam es zu folgenden Zerstörungen: Im Innern des Gebäudes brannten im Vorderhaus Bereiche des 1. und 2. Obergeschosses aus. Der rechte Seitenflügel wurde teilweise zerstört, ebenso das Dach über dem linken Seitenflügel und dem Vorderhaus. Das notdürftig wieder hergerichtete Gebäude befand sich nach dem Krieg im sowjetischen Sektor von Berlin und hatte verschiedene Funktionen. Das heute unter Denkmalschutz stehende Gebäude wurde nach der Wiedervereinigung vollständig instandgesetzt, restauriert und modernisiert und ist seit Januar 2000 Berliner Dienstsitz des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz.
Bormann hatte noch eine weitere kleine Parteikanzlei auf Hitlers Berghof am Obersalzberg (vgl. dazu den Lageplan bei H.van Capelle – A.P. Van de Bovenkampf, Der Berghof, Adlerhorst – Hitlers verborgenes Machtzentrum, Wien 2007, S. 85).
Damit ist die Achse der Parteikanzlei bzw. Parteikanzleien festgelegt, die untereinander in ständiger Verbindung standen durch Funk-, Telegraph- und Telefonverkehr sowie durch Kurierfahrzeuge: Berlin – Steinach (Übersee) – München – Obersalzberg.
Einige Bemerkungen zur NSDAP und ihren Gliederungen
Die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei, Abk. „NSDAP“, ist die von 1919/20 bis 1945 bestehende extrem nationalistische, antisemitisch-rassistische deutsche Partei und die politische Plattform des Nationalsozialismus. Sie war von 1933 bis 1945 die einzige zugelassene Partei in Deutschland. Gegründet wurde sie am 5.1.1919 als „Deutsche Arbeiterpartei“ in München, die erst mit dem Wirken Adolf Hitlers (ab Septemer 1919) bekannt und am 24. Februar 1920 in NSDAP umbenannt wurde. Die NSDAP sah sich als politische Bewegung mit militärischem Charakter, die programmatisch und organisatorisch ganz auf die Person Hitlers als „Führer“ ausgerichtet war („Führerpartei“). Nach dem Scheitern des Hitlerputsches (November 1923) wurde die NSDAP verboten und zerfiel.
Nach der Neugründung (27. Februar 1925) der NSDAP und ihrer Entwicklung zur Massenpartei sowie dem rasanten Anstieg der Wählerstimmen während des Zerfallprozesses der Weimarer Republik entstand in mehreren Stufen über den Regierungsantritt Hitlers (Januar 1933) hinaus folgende Struktur:
An oberster Stelle stand der „Führer“ mit der „Kanzlei des Führers“. Außer dem „Stellvertreter des Führers“ bestand unterhalb dieser Spitze, die „Reichsleitung“; die „Reichsleiter waren allein Hitler verantwortlich. Nach 1933 dienten die Reichsparteitage der ideologischen und politischen Selbstdarstellung der Partei. Auf mittlerer Ebene gliederte sich die NSDAP in Gaue (Gauleiter), auf der unteren in Kreise (Kreisleiter) und Blöcke (Blockleiter). Gliederungen besonderer Art innerhalb der Partei waren die SA, die SS, das Nat..-soz. Kraftfahrer-Korps (NSKK), die Hitler-Jugend, die Nat..-soz. Frauenschaft und der Nat.-soz. Studentenbund. Zu den der NSDAP „angeschlossenen“ Verbände zählten u.a. der Nat.-soz. Deutsche Ärztebund, der Nat.-soz. Lehrerbund, der Reichsarbeitsdienst und der Reichsnährstand.
Die NSDAP wurde durch das „Gesetz zur Sicherung der Einheit von Partei und Staat“ (1. Dezember 1933) als „Trägerin des deutschen Staatsgedankens und mit dem Staate unlösbar verbunden“ gegenüber dem Staatsapparat aufgewertet. Während des Zweiten Weltkriegs wuchs insbesondere dem Leiter der nach Heß` Englandflug so genannten Parteikanzlei (seit 29.5.1941) und Sekretär des Führers (seit 12.4.1943), Martin Bormann zusätzliche Macht gegenüber staatlichen Hoheitsträgern zu.
Hitler ließ nach dem Tod des Reichspräsidenten Paul von Hindenburg am 2. August 1934 das Amt des Reichspräsidenten abschaffen und nannte sich fortan „Führer und Reichskanzler“. Er war der Parteivorsitzende und damit der erste Mann der NSDAP. Unterstützt wurde er im Parteiapparat auf der zweiten Ebene von 18 „Reichsleitern“, darunter z.B. der Reichspropagandaleiter Joseph Goebbels, der Reichsführer SS Heinrich Himmler, der Reichsjugendführer Baldur von Schirach und der „Stableiter des Stellvertreter des Führers, danach Leiter der Parteikanzlei Martin Bormann, auch Sekretär des Führers genannt. In der Parteihirarchie war somit Martin Bormann nach Hitler der 2. Mann in der NSDAP, stand als Reichsleiter damit über den übrigen Reichsleitern und war einer der mächtigsten Personen im Deutschen Reich.
Die Auslagerung von Teilen der Parteikanzlei in das Neue Schloss Steinach
Ab 1942 beginnt für München der Luftkrieg (BR-Fernsehsendung „850 Jahre – München feiert vom 13.6.2008). Im Hinblick auf die Bedrohung durch feindliche Fliegerangriffe und des ohnehin bestehenden Raumbedarfs sah man sich um einen sicheren Standort für Teile der Parteikanzlei im ländlichen Raum um. Da erinnerte man sich an das im Reichsbesitz stehende Neue Schloss Steinach, das zwar dem Unternehmen „Reichsautobahnen“ gehörte und als bedeutende Autobahnraststätte für die Autobahn Nürnberg-Wien vorgesehen war, doch wegen des Kriegs war an eine baldige Realisierung dieses Projekts nicht zu denken. So wurden ab Herbst 1943 Teile der Parteikanzlei von München in das Neue Schloss Steinach verlegt (vgl. dazu unten den Tatsachenbericht eines ehemaligen Bediensteten von Übersee sowie die Darstellung der Umbauplanungen der Architektin Prof. Gerdi Troost).
Luftaufnahme des Neuen Schlosses Steinach
Auch die Auslagerungen von wertvollen Bücherbeständen fand 1943 statt. Dr. Wilhelm Matthießen schreibt in einem Aufsatz im Steinacher Heimatbuch über seinen gleichnamigen Großvater: „...diese Funktion führte ihn 1943 auf das nur noch in Rudimenten existierende Schloß Steinach ...wo er ausgelagerte kostbare Bücherbestände zu verwalten hatte“.
Umgestaltung der Schlossräume für die Parteikanzlei durch Prof. Gerdy Troost, persönliche Beraterin Hitlers in Kunst- und Geschmackfragen
Die Räume des Neuen Schlosses Steinach entsprachen nicht in vollem Umfang den Bedürfnissen einer repräsentativen Parteikanzlei. Es musste umgebaut und umgestaltet werden. Mit der Umbauplanung wurde das berühmte Architekturbüro Prof. Troost, München, betraut. Eine Akte der Parteikanzlei vom 16. September 1943 erwähnt unter „Prof. Troost“ die geplante Zimmereinteilung im Rahmen der Umgestaltung mit folgenden Hinweisen:
„Durch die Parteikanzlei Übersendung von Plänen des Hauptgebäudes Schloß Steinach, die vorgesehene Zimmerverwendung:
116 Bormann selbst
115 – 127 Vor- und Nebenzimmer Bs
(Anmerkung: „Bs“ wohl Abkürzung für „Bormanns“, es handelt sich um die von
der Sekretärin Leni Liebchen unten beschriebene Luxuswohnung Bormanns
im Neuen Schloss).
123 – 125 Reichsleiterbüro
(Anmerkung: Martin Bormann war seit dem 10. Oktober 1933 Reichsleiter und damit Inhaber eines der höchsten Parteiämter (Jochen von Lang, Der Sektretär,
Martin Bormann – Der Mann der Hitler beherrschte, S. 77). Im Zusammenhang mit der Zweigstelle „Übersee“ wird Martin Bormann häufig "Reichsleiter“ genannt.
Als späterer Chef der Parteikanzlei und als „Sekretär des Führers“ stand er jedoch über seinen Reichsleiter-Kollegen und war innerhalb der Partei nach
Adolf Hitler der zweitmächtigste Mann. Die drei Räume des Reichsleiterbüros im Obergeschoß des Neuen Schlosses Steinach standen Bormann ebenso wie
seine dortige Luxuswohnung ständig zur Verfügung.
112 – 114 und
109 – 111 die beiden Abteilungsleiter“
(Veröffentlichung des Instituts für Zeitgeschichte, München, Akten der Partei-Kanzlei der NSDAP, S. 965, Abschn. 27 551 – 27 560, für freundliche Hinweise danke ich Herrn Pfarrer Wolfgang Reischl sehr herzlich).
Die Architektin Prof. Gerdy Troost übernahm offensichtich die fortlaufende Schmiedersche Zimmernummerierung, die im Seidl-Plan eingetragen ist, und zwar: Kellergeschoß Nr. 1 – 43, Erdgeschoß Nr. 44 – 96, Obergeschoß Nr. 97 – 141 und Dachgeschoß Nr. 142 – 189.
Die Wahl der Architektin Prof. Gerdy Troost für die Umgestaltungsmaßnahmen zeigt den hohen Stellenwert, welche die höchsten Machthaber des Dritten Reiches der Zweigestelle Neues Schloss Steinach bzw. Übersee beigemessen haben. Gerdy Trosst, eigentlich Gerhardine Troost (geb. 3. März 1904 in Stuttgart, gest. 2003 in Bad Reichenhall) war eine deutsche Architektin und die Ehefrau des Speer-Vorgängers Prof. Paul Ludwig Troost, der bis zu seinem Tod im Januar 1934 als „Erster Baumeister des Führers“ galt. Paul Ludwig Troost errichtete unter anderem ab 1933 den so genannten „Führerbau“ am Königsplatz in München und war verantwortlich für den Umbau des „Braunen Hauses“. Er war vor Albert Speer der Lieblingsarchitekt Adolf Hilters, für den er ab 1933 die „Führerwohnung“ in der alten Reichskanzlei in Berlin umbaute und im typischen Stil des Dritten Reichs ausstattete. Sein bekanntestes Bauwerk ist das erst nach seinem Tod fertiggestellte „Haus der deutschen Kunst“ (heute „Haus der Kunst“) in München, das Veranstaltungsort der Großen Deutschen Kunstausstellung war.
Seine Witwe Gerdy Troost, die Architektin der Umbaumaßnahmen in Neuen Schloss Steinach, führte nach dem Tod ihres Ehemannes 1934 dessen Architekturbüro zusammen mit seinem ehemaligen Mitarbeiter Leonhard Gall weiter und betreute zunächst den Bau des Hauses der Deutschen Kunst. Über ihren Ehemann hatte sie 1930 Adolf Hitler kennengelernt und war 1932 in die NSDAP eingetreten. Sie gestaltete in München den Königsplatz für die NS-Aufmärsche um und war für diverse „Führerbauten“ und Ehrentempel verantwortlich. 1936 entwarf sie in Hitlers „Berghof“ auf dem Obersalzberg die Große Halle. Später widmete sie sich verstärkt dem Kunstgewerbe und fertigte unter anderem Geschenke für Hermann Göring und Benito Mussolini. Von Hitler wurde sie 1937 an dessen Geburtstag, dem 20. April, zur Professorin ernannt. 1938 veröffentliche sie das Buch "Das Bauen im neuen Reich", ein Standardwerk zum Selbstverständnis der NS-Architektur.
Berühmt ist das Hitler-Zitat aus dem Jahr 1942: „Vier Paradefrauen habe ich gehabt: Frau Troost, Frau Wagner (Anm.: Frau Winifried Wagner aus Bayreuth) , Frau Scholtz-Klink und Leni Riefenstahl“.
Bis Kriegsende blieb sie im Umfeld Hitlers als Architekturberaterin tätig. Im Rahmen der Entnazifizierung wurde sie von der Hauptspruchkammer München als „Minderbelastete“ eingestuft und zur Zahlung von 500 DM sowie zehn Jahre Berufsverbot verurteilt. Nach Ablauf der Frist arbeitete Gerdy Troost wieder und lebte bis zu ihrem Tod im Jahr 2003 in Oberbayern.
Wie die Umbauarbeiten im Neuen Schloss Steinach ausgesehen haben, ist derzeit nicht bekannt. Nachdem sie von der hochkarätigen NS-Architektin Prof. Gerdy Troost geplant wurden, ist anzunehmen, dass dies in engem Benehmen mit dem Bauherrn Martin Bormann und ggf. mit Adolf Hitler erfolgt sind. Schlossbesuche dieser Personen sind in dieser Zeit deshalb sehr wahrscheinlich.
Luxuswohnung des Reichsleiters Martin Bormann
sowie Bereiche der beiden Abteilungsleiter im 1. Obergeschoss des Hauptgebäudes
(eingezeichnet durch den Verfasser in den Plan des Architekten Gabriel von Seidl)
Diese Nachricht deckt sich mit der Aussage von Sekretärin Leni Liebchen, wonach dem Leiter der Parteikanzlei Martin Bormann im Neuen Schloß Steinach eine Luxuswohnung ständig zur Verfügung stand, die er jedoch kaum benutzt hat, da er ständig die Nähe des Führers, insbesondere in Berlin und am Obersalzberg suchte. Die Nachricht entspricht auch der Auskunft von Frau Heigl, die 1944 in der Zweigstelle Steinach, beschäftigt war und von ihrem Abteilungsleiter erzählt.
Wohnung und persönliches Büro des Reichsleiters Martin Bormann
sowie Bereiche der beiden Abteilungsleiter im 1. Obergeschoss des Hauptgebäudes
(eingezeichnet durch den Verfasser in den Plan des Architekten Gabriel von Seidl)
Die Führungsbesprechung der Abteilung II in Übersee vom Februar 1945 gibt Einblick in innere Organisation der Dienststelle
Unter dem Aktenzeichen NS 6 Nr. 788 wird beim Bundesarchiv Berlin ein umfangreiches Telegramm aufbewahrt, das einen Einblick in den Aufbau der Dienststelle „Übersee“ gibt.
Bei dem an den Parteigenossen (pg) Walkenhorst in Pullach gerichteten Telegramm handelt es sich um einen „Vermerk – über die Fuehrungsbesprechung der Abteilung Roem 2 in Uebersee am 13.2.1945“, den der dortige Abteilungsleiter Belger verfasste. Das Telegramm wird nachstehend auszugsweise wiedergegeben.
„Die Besprechung fand von 10 – 12 Uhr in meinem Dienstzimmer statt, alle Ämter der Abt. röm. 2 waren pünktlich vertreten und zwar:
röm. 2 a durch pg. Aggen
röm. 2 b durch pg. Schenke
röm. 2 o durch pg. Fan xx Falk
röm. 2 m durch pg. Haubenreisser
röm. 2 s durch pg. Luettgens
röm. 2 w durch pg. Diergardt
röm. 2 p 1 durch pg. Götzmann
röm. 2 p 2 durch pg. Reul
röm. 2 p 3 durch pg. Prkna.
Die Parteigenossen Dr. Heintz, Abt. röm. 3 und Dürner, Abt. röm. 1 hatte ich ebenfalls eingeladen, an dieser Besprechung teilzunehmen....Ich bin mit beiden Parteigenossen um 16 Uhr gesondert zusammengekommen...“
Danach bestand die Dienststelle „Übersee“ aus drei Abteilungen: die Abteilungen II, III und I. Abteilungsleiter der Abteilung II war der Verfasser des Telegramms, der Pg Belger. Ihm unterstanden neun sog. Ämter. Neben der Abteilung II bestanden die Abteilungen III (Abteilungsleiter Dr. Heintz) und I (Abteilungsleiter Dürner). Abteilungsleiter Belger teilt im Telegramm die Besprechungspunkte mit und erläutert sie:
„Ich gab bekannt, dass die technische Sachbearbeitung aller Fragen bezüglich Reisegenehmigungen, Abwesenheitsmeldungen usw. bei Pg. Götzmann verbleibt, mir die Meldung jedoch vor Weitergabe an sie zum Abzeichnen vorgelegt wird. Ich wies weiter darauf hin, dass Vermerke über innerdienstliche Angelegenheiten, die an sie, bzw. an eine andere Abteilung (I und III) gerichtet sind, nicht direkt zugestellt werden dürfen, sondern wegen der einheitlichen Linie über mich zu gehen hätten.“
Offenbar hatte Abteilungsleiter Belger die Abteilung II erst vor kurzem übernommen und machte sich ein Bild über die räumliche und personelle Ausstattung, denn er vermerkt Folgendes:
„..mit den namentlichen Listen aller Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Abt. II und der vorhandenen Raumverteilungspläne werde ich heute ein Schlossbegehung durchführen und mir alle Kräfte ansehen, um dann nach nochmaliger Rücksprache mit den Vertretern der Abteilungen und Prüfung der bisherigen Arbeitsleistungen, sowie der charakterlichen Haltung die für die Rüstung abzustellenden Mädel auszusieben. Meines Erachtens tritt ein fühlbarer Verlust an Arbeitskräften nicht ein, weil diese gewissen Typen sich sowieso nicht totarbeiten...Ich gab weiter Hinweise über die Durchführung der Arbeitsbesprechungen, Gemeinschaftsstunden und Appelle, die auf Verständnis und den Willen zur Mitarbeit stießen. In diesem Zusammenhang erfolgte die Bildung von Arbeitsgruppen der weiblichen Mitarbeiter nach Art des BdM-Werkes- Glaube und Schönheit. Meine Ausführungen erfolgten in dem ihnen bereits bekannten Sinne (Freizeit- und Feierabendgestaltung mit Heimarbeit, sowie Sport usw.). Derartige Arbeitsgruppen dienen auch der haltungsmäßigen Ausrichtung aller Mitarbeiterinnen. Ihr Ziel ist Aktivierung der Frauen und Mädchen zum Zwecke der Durchführung politischer Aufgaben. Bei dieser Gelegenheit wurde von Vertretern der Ämter darauf hingewiesen, dass bei der Auswahl der Mitarbeiterinnen gerade der Parteikanzlei Vorsicht geboten ist. Es sei z.B. wie bei II b der Fall, nicht angängig, dass eine Schreibkraft, die mit der Bearbeitung geheimer kirchlicher Dinge zu tun habe, ausgerechnet in einem Kloster wohnt....
Lebhafte Aussprache entstand über die Familienheinfahrten, den Omnibusverkehr, sowie den Bereitschaftsdienst“.
Helger geht im Folgenden auf seinen Führungsstil ein:
„Ich betrachte die Zusammenarbeit mit den Vertretern der hiesigen Ämter von (Abteilung) II nicht als eine Regierung meinerseits, sondern vielmehr als eine aktive Gemeinschaftsleistung auf kameradschaftlicher Grundlage und beschränke mich vorerst darauf, die Parteigenossen auf ihre Pflichten und ihre Mitarbeit am Gedeihen des Ganzen hinzuweisen. Dass ich, wenn nötig, auch mit scharfen Maßnahmen durchgreifen und ein Exempel statuieren würde, ließ ich ausser Zweifel“.
Helger geht nun auf das Verhältnis zu den Abteilungen I und III ein:
„Von 15 – 18 Uhr besprach ich mich mit den beiden Vertretern der Abteilungen I und III, die grundsätzlich und im einzelnen meine Auffassung teilen und, soweit ihre Abteilungen im Rahmen meiner Vorschläge angesprochen werden, mitziehen. Wir werden in einem Führungskreis vorerst wöchentlich einmal eine Art Lagebesprechung durchführen. Zu diesem Kreis sollen die Vertreter der einzelnen Ämter zählen. Das sind bei Abt. I sieben, bei Abt. II neun, bei Abt. III sieben, also insgesamt 23 Personen.
Weitere organisatorische Fragen:
„Bezüglich der weiblichen Arbeitsgruppen haben wir ein bezugsfertiges Heim In Straubing zur Hand, die Beschaffung von Heizmaterial wird dieser Tage erledigt und dann kann die Sache anlaufen. Wegen der Appelle besteht Einigkeit, gelegentliche Filmveranstaltungen müssen im Hinblick auf den zahlenmäßigen Umfang der Schlossgemeinschaft (einschl. Personal) in zwei Schüben durchgeführt werden. Sonstige Appelle dieser Gemeinschaft (z.B. 20. April, 1. Mai) im Schlosshof. Für Gesamtappelle der Dienststelle Übersee (also nur die Leute der Parteikanzlei) reicht der Schlosssaal aus. Das z.Zt. brennendste Problem ist der Volkssturm. Die hier zweckgebundene Hauptaufgabe müßte dem Objektschutz dienen. Im Hinblick auf das Protektorat muss endlich ein örtlicher Mob-plan erstellt werden. Wir haben uns eingehendst mit diesem Problem befasst. Besonders Sorgen bereiten die Bewaffnung und Ausschaltung der im Schloss tätigen Fremdvölkischen sowie evtl. Aktenvernichtung. Ich bitte für die Besprechung dieser Fragen bei meinem nächsten Dortsein 2 Stunden frei zu halten. Ich werde dann ausführlich berichten.
Heil Hitler
Gez. Belger
II p 2, b/pau
Durchgegeben: Dst (= Dienststelle) Übersee/Hohensee/ 13.00 Uhr
angenommen: 00jmompkz mchn moers 1300
Zwei Probleme bereiten dem Abteilungsleiter Belger also Sorgen:
- die Bewaffnung und Ausschaltung der im Schloss tätigen Fremdvölkischen und
- die evtl. Aktenvernichtung
Wir befinden uns zu diesem Zeitpunkt in der letzten Phase des 2. Weltkriegs. Auch „fremdvölkische“ Kriegsgefangene waren zu Arbeiten im Schloss eingeteilt (vgl. den nachstehenden Zeitungsbericht eines anonymen Verfassers sowie den Bericht von Magdalena Deml über die 30 slawischen – fremdvölkischen – Kriegsgefangenen, die im Schloss Arbeiten zu verrichten hatten). Man befürchtete, dass sich diese Kriegsgefangenen beim Herannahen der Front bewaffnen und rächen könnten.
(Die Sorge des Abteilungsleiters war, wie sich später herausstellte, nicht unbegründet. Bei Kriegsende bewaffneten sich zahlreiche von den Amerikanern befreite Kriegsgefangene und zogen plündernd durch die Lande, überfielen Bauernhöfe, raubten Vieh und bedrohten die Bevölkerung. Auch auf das Anwesen meiner Großeltern mütterlicherseits, den Spießl-Hof, wurde ein Anschlag verübt. Dabei stahl man die Gänse und schoß in die Wohnstube, in welcher sich der Verfasser als Baby in der Wiege befand. Nach vielen Jahren besuchte ein ehemaliger polnischer Gastarbeiter, der im elterlichen Anwesen (Agsteiner) während des Krieges beschäftigt war und sich nach dem Krieg deshalb nicht mehr nach Hause traute, die Familie des Verfassers. Er erzählte, dass ein amerikanisches Militärgericht marodierende und mordende ehemalige Kriegsgefangene am Straubinger Fliegerhorst zum Tod verurteilt hatte, damit die Disziplin aufrecht erhalten werden konnte. Man erzählte sich auch, dass sich beim Schlossbrand bewaffnete ehemalige Kriegsgefangene herumtrieben und die Leute mit der Waffe bedrohten).
Auch das Problem der Aktenvernichtung wurde vom Abteilungsleiter im Hinblick auf ein bevorstehendes Kriegsende schon angedacht. Immerhin hatte der Straubinger Oberbürgermeister von höherer Seite den Befehl erhalten, dass die Straubinger Feuerwehr nicht ausrücken darf, falls das Neue Schloss Steinach brenne sollte.
Berufsalltag in der Dienststelle „Übersee“ nach Zeitzeugenberichten
Den Berufsalltag in der Dienststelle „Übersee“ können wir den Schilderungen verschiedener Zeitzeugen entnehmen. Diese Schilderungen geben uns ein lebendiges Bild von den Vorgängen dieser weitgehend von der Öffentlichkeit abgeschirmten geheimen Zweigstelle der Münchner Parteikanzlei.
Sekretärin Barbara Heigl erzählt
Die in München wohnhafte Barbara Heigl berichtete dem Verfasser über ihre Arbeit in der Steinacher Dienststelle der Parteikanzlei Folgendes:
„Ich war damals 17 Jahre alt und wohnte bei meinen Eltern in Parkstetten. Nach meiner Ausbildung in Straubing kam ich durch Dienstverpflichtung im Mai 1944 zur Zweigstelle der Parteikanzlei in das Neue Schloss Steinach, wo ich bis 31. Oktober 1944 beschäftigt war. Wir waren damals etwa 50 Angestellte, Männer und Frauen, in der Dienststelle. Meine Kolleginnen und Kollegen waren von der Hauptstelle der Parteikanzlei in München nach Steinach versetzt worden und bekamen Wohnungen in Straubing. Mit einem Bus wurden sie von dort täglich zum Neuen Schloss Steinach zur Arbeit befördert. Ich konnte in Parkstetten zusteigen. Im Bus durfte man sich damals noch unterhalten. Es ging noch nicht so streng zu. Später soll im Rahmen einer zweiten Versetzungsaktion die Zahl der Bediensteten in der Zweigstelle Steinach auf 100 erhöht worden sein. Es seien dann zwei Busse zum Einsatz gekommen. Die Bediensteten, auch die Chefs, trugen alle Zivil. Es waren keine Uniformierten da. Zehn deutsche SS-Soldaten aus dem Reichsgebiet, die im westlichen Torbau untergebracht waren, bewachten Tag und Nacht die Dienststelle. Sie waren sehr höflich und zuvorkommend. Ein SS-Soldat hat mich einmal zu einem Arztbesuch nach Straubing gefahren.
In der Wiese vor dem westlichen Torbau stand eine große Kanone. Sie wurde aber nie gebraucht und wir dachten, dass sie nur zu unserer Beruhigung da ist. Auch waren hier Splittergräben angelegt, in welche man sich im Ernstfall reinlegen hätte können.
(Anmerkung: Nach Herrn Pfarrer Wolfgang Reischl dürfte es sich bei der „Kanone“ um ein 8/8-Flakgeschütz gehandelt haben, das auf einer Lafette befestigt war und einer Kanone ähnlich sah. Dieses Geschütz wurde auch für den Bodenkampf eingesetzt. Hier in Steinach hatte es wohl die Aufgabe feindliche Flieger abzuschießen. Diese Art der Flak konnte sehr hoch schießen und Flugzeuge relativ sicher treffen).
Frau Heigl erzählt weiter:
Die Bunker waren damals (1944) noch nicht gebaut. Das Hauptschloss, in welchem ich arbeitete hatte auch noch keinen Tarnanstrich. Beim Hauptschloss gab es damals auch keine Baracken. Wir trieben uns gerne mittags im Schlosspark herum. Das herrliche Teehaus (der von August von Schmieder errichtete „Lueg ins Land im Rosenhaag'“) war noch verglast und ein wunderschöner Aufenthaltsort.
Wir waren drei Freundinnen im selben Alter, mit den anderen bin ich kaum zusammengekommen. Der Bus brachte uns in den Schlosshof und dann gings an die Arbeit. Mein Büro war im 2. Stock. Doch meist war ich mit Einreiharbeiten in der Registratur im Keller beschäftigt. Im Keller waren so viele Räume, dass ich mich einmal sogar verirrte. Zum Glück war ein Telefon da. Telefonieren durfte man soviel man wollte. Alle Anträge an Adolf Hitler, z.B. Bitten von kinderreichen Familien um Unterstützung, aber auch Glückwünsche an den Führer, wurden hier sorgsam registriert und von mir abgelegt. Ich hatte auch die Kartei über die Parteiausschlüsse in strenger alphabetischer Reihenfolge zu führen. Das war ein Karteikasten im Format von etwa 3 x 4 Meter. Jede Abteilung war streng abgeschottet.
Prominente Besuche habe ich nicht erlebt. Hitler war nie da. Auch der Chef der Parteikanzlei Martin Bormann war in meiner Zeit nicht da.
Persönlich ging es uns allen sehr gut; wir hatten in dieser schlimmen Kriegszeit das Paradies auf Erden. Zum Mittagessen gab es im Speisesaal immer eine Vorspeise, ein sehr gutes Hauptgericht, Nachspeise und Wein. Als ich im Oktober 1944 nach Passau zur Wehrmacht dienstverpflichtet wurde, ging für mich eine schöne Zeit im Neuen Schloss Steinach zu Ende.
Die Recherchen des Rundfunkredakteurs Kellermann
Rundfunkredakteur Kellermann, beschäftigt beim Rundfunksender Bayern 2, hat zum 50. Jahrestag der Beendigung des 2. Weltkriegs eine Rundfunkreportage ausgearbeitet, die am 9. April 1995 in der Rundfunk-Serie „Bilder der Heimat“ unter dem Titel „Brand von Schloss Steinach“ ausgestrahlt wurde. Es ging bei der Sendung vor allem um das Kriegsende in Ostbayern und um das Schicksal des Neuen Schlosses Steinach in diesen Tagen. Kellermann hat gründlich recherchiert und konnte noch lebende Zeitzeugen befragen. Von besonderem Interesse sind dabei die Auskünfte der ehemaligen Telefonistin Martha Sperl und der ehemaligen Sekretärin Leni Liebchen. Beide berichten in der Sendung nicht nur vom Kriegsende, sondern vom ganz normalen Büroalltag in der Dienststelle. Nachstehend wird das Rundfunkinterwiew auszugsweise widergegeben.
Zwei weitere Zeitzeugen erzählen: Martha Sperl und Leni Liebchen
Kellermann:
„Ab Mitte der 40er Jahre war Schloss Steinach mit dem Decknamen „Dienststelle Übersee“ die Unterkunft für die aus München ausgelagerte Parteikanzlei der Nazis; es wurde Bormanns „Braunes Haus“ in Niederbayern. Hier arbeitete Martha Sperl aus Kasparzell bei Konzell im Landkreis Straubing-Bogen in der Telefonzentrale“.
Martha Sperl:
„Da waren Direktverbindungen nach überall hin, zu dem Führerhauptquartier in Berlin. Ich war da in der großen Vermittlung mit 300 – 500 Anschlüssen; also ferne Anschlüsse, im Schloss und für Ferngespräche. Ich bin in die oberen Stockwerke raufgekommen. Ich habe meinen Dienst gemacht und dann sind wir wieder abtransportiert worden“.
Kellermann:
„Sie weiß heute noch, wie sie sich innerhalb des reichsweiten Telefonnetzes zu melden hatte“.
Martha Sperl:
„Parteikanzlei München, Zweigstelle Steinach“.
Kellermann:
„Die ganze Dienststelle war hermetisch von der Außenwelt abgeschlossen. Am Zaun patrollierten SS-Wachen. Die Bediensteten wurden mit Bussen aus Straubing zum Schloss gebracht“.
Martha Sperl:
„Wir sind da im Bus lauter Angestellte gewesen aus allen Schichten, aber wir haben miteinander keinen Kontakt gehabt. Also ich überhaupt mit niemand. Die sind alle hinein, der Bus ist gefahren, dann sind alle ihrer Wege gegangen und heimzu war es dasselbe. Ich kann mich an niemand erinnern, der sich unterhalten hätte, wie man heute fährt, da unterhält man sich“.
Kellermann:
„Sekretärin in der Dienststelle Übersee war Leni Liebchen, die heute in Reit im Winkel in Oberbayern wohnt. Sie war in der Nazi-Parteizentrale zunächst im Vorzimmer Bormanns und kam im Zuge der Auslagerung nach Steinach“.
Leni Liebchen:
„Ich bin gleich in die Abteilung III B 8 versetzt worden, also in die Schul- und Kirchenabteilung. Wir waren zuständig für die Besetzung von Lehrstühlen. Da sind die Akten von München, vom Führerbau München, die waren im Keller gelagert worden in Steinach. Die habe ich einräumen und dafür sorgen müssen, dass sie schön alphabetisch abgelegt worden sind, damit man etwas gefunden hat“.
Kellermann:
„Sie weiß heute noch genau, wo der Keller war, in dem sie die Akten sortierte“.
Leni Liebchen:
„Wenn man zum Haupttor in den Schlosshof kam, auf der rechten Seite war ein rundes Tor. Ich kann nicht mehr sagen, war es ein Eichentor oder ein Eisentor. Dann ist die Treppe wie eine Art Wendeltreppe runtergegangen. Da war alles voll Aktenschränke mit Rolläden. Die hat man zusperren können.
Kellermann:
„Ihr Arbeitsplatz war in einer der Baracken, die im Schlossgarten schnell aufgestellt worden waren“.
Leni Liebchen:
„Es war ein ganz normaler Bürobetrieb. Was halt so alles anfällt: Akten, Schreiben, Telefonieren.
Kellermann:
„Ganz normaler Bürobetrieb einer Parteikanzlei, was ist das ?“
Leni Liebchen:
„Da war eine Akte, den Namen des Professors habe ich vergessen, der Judenforschung betrieben hat. Er hatte eine arische Frau und hatte eine jüdische Freundin. Er hatte mit beiden Kinder und mit ihnen zusammengelebt. Als man ihn angegriffen hat, weil er mit einer Jüdin zusammenlebt, hat er gesagt: „Wie soll ich denn Juden erforschen können, wenn man mir das Material nimmt.“
Kellermann:
„Als Sekretärin der Parteikanzlei war Leni Liebchen sicher eine der Letzten, die die Prunkräume im ersten Stock des Schlosses Steinach vor der Vernichtung gesehen hatten. Diese Räume mit einem Blick weit hinaus in den Gäuboden mussten ständig als Quartier bereit gehalten werden für den Hitler-Sekretär Martin Bormann. Gekommen ist er allerdings nie. Ebensowenig wie Hitler selber, auch wenn er Gerüchten zufolge mehrfach in der Gegend von Steinach gesehen worden sei“.
Leni Liebchen:
„Es war, selbst für heutige Begriffe, wenn ich mich daran erinnere, einfach eine „irre Wohnung“ mit tollen Teppichen, Gemälden, Ledergarnituren – schätze es waren alles Eichenmöbel. Heute würde man sagen so altdeutsche Möbel. Wunderschöne Holzdecken, Kassettendecken und Kronleuchter, auch Wandbeleuchtung, Stehlampen, ein Balkon war auch dabei, ein große Flügeltür, also einfach eine tolle Wohnung“.
Kellermann:
„Und dieses Bad in der hermetisch abgeschlossenen Wohnung Bormanns war es auch, das Leni Liebchen fast zum Verhängnis wurde“.
Leni Liebchen:
„In der Reichsleiterwohnung war immer warmes Wasser und in meiner Wohnung in Straubing hatte ich keines. Und somit hab ich dann – als der Chef wieder einmal auf Dienstfahrt war - mir den Schlüssel organisiert und bin in das Bad gegangen und habe dort meine Wäsche gewaschen. Bei der Gelegenheit wäre ich beinahe von der Hausdame überrascht worden. Aber die hatte keinen Schlüssel und bis die in den Park gegangen ist in unsere Baracke und mich dort gesucht hat, hab ich meine ganzen Klamotten wegräumen und alles abdrücken können und dann bin ich in meinem Aktenkeller verschwunden. Da haben sie mich dann aufgespürt. Bis ich dann gegangen bin den Schlüssel angeblich zu holen (den ich ja in der Tasche hatte!) und wieder zurückkam, war alles trocken und somit bin ich nicht erwischt worden“.
Tatsachenbericht eines ehemaligen Bediensteten von „Übersee“
Wie der Berufsalltag in der Dienststelle Steinach der Parteikanzlei München ausgesehen hat, schildert uns auch auf eindrucksvolle Weise der Tatsachenbericht eines bei dieser Dienststelle seinerzeit beschäftigten „Beamten“, der mit einer Fortsetzung unter dem Titel „Die geheimnisvolle Dienststelle „Übersee“ in Steinach unter dem Pseudonym „NStr“ in einem Zeitungsbericht veröffentlicht worden ist. Dieser Zeitungsbericht wurde dem Verfasser leider ohne Datums- und genauer Quellenangabe vor einigen Jahren von zwei Dedektiven, die nach Kunstschätzen aus Berliner Museen forschten, zugeleitet. Der Name des Beschäftigten wird im Tatsachenbericht nicht genannt, er bleibt in der Anonymität. Der interessante Tatsachenbericht, der m.E. bald nach Kriegsende – vielleicht in den Jahren zwischen 1948 und 1952 geschrieben worden ist, wird nachstehend auszugsweise widergegeben:
„Gegen Ende 1943 zogen im Schloß Steinach einige Dienststellen der Parteikanzlei Martin Bormann ein. Die „geheimnisvolle Dienststelle“ hatte verschiedene Geheimaufgaben zu erfüllen. Um unsere Leser über diese Steinacher Bormann-Episode aufzuklären, beginnen wir heute mit einem Tatsachenbericht eines bei dieser Dienststelle seinerzeit beschäftigten Beamten:
Mancher, der diese Zeilen liest, erinnert sich wohl noch der Zeit, da jeden Morgen in der Frühe ein vollbesetzter Omnibus, später zwei, ja drei von Straubing aus nordwärts fuhren, über die Donau in Richtung Steinach. Viele junge und ältere Mädchen darin, auch stets eine Menge Herren, meist in bestem wehrpflichtigen Alter. Seit dem Herbst 1943 hatten sich nämlich in dem Steinacher neuen Schloß einige Dienststellen von Bormanns Parteikanzlei eingenistet, die droben in waldruhiger Bombensicherheit aktenfüllend dem Endsieg zu erwarten gedachten. Übrigens hieß es gar nicht Steinach, sondern mit der üblichen Geheimnistuerei „Dienststelle Übersee“.
Nun von diesem „Übersee“ wollen wir ein wenig erzählen. Denn auch diese Dinge gehören in die Chronik des Gäubodens, und es sind darüber immer noch so viele falsche Vorstellungen unter der Leuten verbreitet, daß es an der Zeit ist, diese richtigzustellen....
Weder Hitler, noch Bormann, noch Goebbels, noch sonst jemand von den Prominenten sind je in Steinach gewesen. Aber auch in anderer Hinsicht liefen viele falsche Meinungen um. Schuld daran sind hauptsächlich die in Straubing untergebrachten Angestellten von „Übersee“ gewesen, die, um sich wichtig zu machen, wahre Greuelgeschichten unter die Leute brachten, von Orgien, wie sie bisher nur an den Höfen Neros und Caracallas Usus gewesen wären. Nein, so wars gerade nicht. Die Steinacher Dienststellen arbeiteten, wie auf allen größeren, vor allem staatlichen, Bürobetrieben gearbeitet wird; es gab Liebeleien, auch wie überall, wo viele Menschen zusammen sind.
„Die Bonzen bekamen ihre Extrawurst....“
Und was die Prasserei anlagt – das Essen, das die Büromädchen und Angestellten bekamen, war meist wesentlich schlechter und magerer als das, was es damals in den meisten Straubinger Gaststätten noch gab. Und Marken mußten sogar sehr reichlich abgegeben werden. In diesem Zusammenhang sei nebenher erwähnt, daß auch die holländischen DP`s, die droben mit allerlei handwerklichen Arbeiten beschäftigt waren, gemeinsam mit den Angehörigen der Dienststelle aßen. Jeder erhielt also das gleiche Essen. Dabei soll es beileibe nicht bestritten werden, daß die paar höheren Bonzen droben – es waren trotzdem rangmäßig nur ganz kleine Lichter – sich stets ihre Extrawurst zu beschaffen wußten, unter welchem Wort jedoch nicht bloß Wurst zu verstehen ist, sondern Schweinernes in jeder Form, Butter, Fasan, Gans, fette Wildhasen und vor allem Alkoholika. Der Alkohol , also Wein und Likör, war für die Angestellten unerreichbar. Bormann hatte sich droben ein exquisites Lager, bester Kreszenzen eingerichtet, von der Mosel, dem Rhein, der Ahr, französische Weine, italienische, Tiroler, die besten Sektmarken, dann Liköre: einige tausend Flaschen renomierter Firmen wie Bols und ausgezeichnete französische Cognacs. Erst in den allerletzten Tagen wurde auch an die Angestellten reichlich von den einfacheren Bormannschen Weinsorten ausgegeben – natürlich gegen Bezahlung. Die große Masse der Vorräte rührte man jedoch dabei nicht an.
Hier wollen wir auch noch der anderen Warenlager gedenken, die sich mit der Zeit auf Schloß Steinach anhäuften: viele Säcke Bohnenkaffee, Zucker, Reis der besten Sorte, ganze Stapel von Bett- und Tischwäsche, Zigaretten hunderttausendweise, Bienenhonig in Mengen, Fasanen, Gänse, Schweine wurden schwarzgeschlachtet. Wo dann dies Geflügel und das Schweinerne geblieben ist, ist nur den Eingeweihten bekannt geworden. Daß sie teilweise auch zu kleinen und großen Schiebereien benutzt wurden, noch bevor es recht ausgeladen war, versteht sich am Rande. Ein kriegstüchtiger junger Mann der Dienststelle reiste weiterhin überall emsig herum und kaufte kistenweise Spielwaren, Füllhalter und andere Geschenkartikel, die angeblich als Weihnachtsgaben für hinterbliebene Kinder gefallener Pg`s (Anmerkung: Pg = Abkürzung für „Parteigenosse“) bestimmt waren, aber natürlich nie verteilt wurden.
„Die Sonderkuriere hatten furchtbar zu schleppen...“
Und noch ein anderer Weihnachtsmann Hitlers und Bormanns hatte seine Residenz in Übersee. Noch an Weihnacht 1944 hat er Unmassen von Paketen versandt. Hitler und Bormann pflegten nämlich zu besonderen Anlässen, auch an Geburtstagen, eine Menge mehr oder weniger prominenter Leute mit wertvollen Büchern zu beschenken. Göring bekam welche, Raeder, Rosenberg und viele andere. Dann aber auch die Sekretärinen Hitlers und Bormanns. Jede dieser Damen immer ein ganzes Paket, das oft ein Dutzend Bücher enthielt. Vor allem im Dezember war also buchhändlerischer Hochbetrieb im neuen Schloß, und die Sonderkuriere („alle Räder rollen für den Sieg“) hatten furchtbar zu schleppen. Es gab in Übersee nämlich die sogenannte „Geschenkbücherei“. Und die einzige Dame, die sie betreute, besorgte, was sie kriegen konnte an bester Literatur, bereiste das ganze Jahr über die Verleger, und jeden Tag brachten Post und Bahn Kisten und Pakete in rauhen Mengen. Wer allerdings meint, Hitler und Bormann hätten zu diesen Anlässen die offizielle Parteiliteratur verschenkt, der ist auf dem Holzwege. Dieses Zeug wurde zwar angeschafft. Aber man beglückte damit nur ganz kleine Leute. Die jungverheirateten oder nicht verheirateten Büromädchen bekamen offiziell „Die Deutsche Mutter und ihr erstes Kind“, SS-Chauffeuren drückte man ungenießbare Zöberleins in die Hand. Aber andere, die schon was waren, hielten auf anständige Kost. Hitler selbst bekam Weihnacht 1944 von Bormann die neue Wilhelm-Busch-Ausgabe in 8 Bänden, für ihn eigens in helles Kalbsleder gebunden, dann Leo Slezaks „Gesammelte Werke“....
Und wenn man diese in Steinach untergebrachte Geschenkbücherei mit rund 10 000 Bänden beziffert, dann ist das kaum zu hoch geschätzt.
Neben dieser Geschenkbücherei bestand eine Bibliothek mit bibliophilen Kostbarkeiten, welche der Schriftsteller und Dichter Dr. Wilhelm Matthießen (1891-1965), der sich in Steinach niederließ, leitete. Sein Enkel Dr. Wilhelm Matthießen widmete dem literarischen Schaffen seines Großvaters einen Aufsatz im Steinacher Heimatbuch. Über dessen Zeit als Bibliothekar im Neuen Schloss Steinach vermerkt Dr. Wilhelm Matthießen im Heimatbuch:
„Während des Nationalsozialismus konnte Matthießen fast nur noch Jugendbücher veröffentlichen. So nahm er 1939 die Stelle eines staatlichen Bibliothekars an. Diese Funktion führte ihn 1943 auf das nun nur in Rudimenten existierende Schloß Steinach, zwischen Steinach und Münster, wo er ausgelagerte kostbare Bücherbestände zu verwalten hatte“.
„Das Wesentlichste in Steinach war das große Parteiarchiv...“
Was sonst noch an Dienststellen in Steinach war, ist rasch aufgezählt, wenigstens für den Anfang. Später als die Bomben dichter auf Berlin fielen sind noch mehrere Abzweigungen wichtiger Ämter hinzugekommen, die aber dann kaum mehr zum Arbeiten kamen. Das Wesentlichste in Steinach war das große Personarchiv der Partei, also nicht etwa eine Kartei, sondern die Akten selbst, auch die geheimsten, von jedem Parteigenossen, ob groß oder klein. All das war in peinlichster Sorgfalt in den weiten Kellergeschossen untergebracht, sauber in zahlreichen Schränken nach dem Alphabet aufgereiht, so daß mit einem Griff jede Akte zur Hand war. Sie wurden nämlich mächtig gebraucht, sowohl von den höheren Parteiämtern wie auch von Bormann selbst. Tag und Nacht klingelte man um Akten an, die dann schnellstens durch Kuriere übersandt wurden. Alle Morgen fuhr ja ein Kurierwagen von Steinach nach München. Leider waren die Akten sehr gut bewacht und verschlossen. Mancher hätte doch gern einen Blick getan, und nicht nur in seine eigenen Akten. Auch die von Heß waren dabei, von Strasser, von Böhm und anderen gefallenen Größen. Wem aber schon mal etwas davon durch Zufall in die Finger fiel, der wahr ehrlich erschrocken: da gab es einfach kaum etwas, das der SD nicht gewußt hätte. Schon ein leichter Schwips war in den Akten verewigt, und alle anderen privaten Liebhabereien, Frauengeschichten, Schulden, Reisen. Zum Beispiel wurde der oberste Vertreter der Parteikanzlei im damaligen Protekorat abberufen, weil er sich mehrfach leise schwankend in der Öffentlichkeit gezeigt hatte. Eine andere kleine Abteilung in Übersee bewahrte die Akten mehr oder minder prominenter Nicht-Pg`s. Da hatte man beispielsweise die ganzen Ehescheidungsakten des Dichters Ludwig Thoma. In den Akten von Geheimrat Prof. Dr. Heidegger, Freiburg, war übel vermerkt, daß der Gelehrte angeblich vor kurzem bei den Beuroner Benediktinern Exerzitien mitgemachte hätte. Daß zur Betreuung dieser Akten ein größerer Angestelltenstab für Steinach nötig war, läßt sich denken.
„Idioten, wenn sie vom Kriegführen nichts festehen, hätten sie von Anfang an die Finger davon lassen sollen...“
Auch die Kassenabteilung der Parteikanzlei war in „Übersee“. Hierhin gingen alle Rechnungen, hier wurden sie bürokratisch bis ins letzte geprüft und dann angewiesen. Aber bis sie erst von den Einzelabteilungen zur Kasse hinauf kamen ! Mancher hat viele Monate auf sein Geld warten müssen. Ja nicht selten kamen Rechnungen zum Vorschein, die Jahre alt waren. Einmal schrieb ein Wiener Geschäft bei dem man Bestellungen gemacht hatte: Schön, aber ich ersuche um Vorauszahlung. Die Geschichte sei ihm zu wackelig und unsicher. Der betreffende Abteilungsleiter reichte diesen Brief wortlos seiner Sektretärin. Die sagte nur: „Ahnungsvoller Engel du!“ Überhaupt nirgends wurde so herzhaft und aufrichtig über die Partei und ihr Treiben geschimpft wie in Übersee. Einmal schlug der „Burgkommandanten“ selbst (alle Augenblicke wurde damit gewechselt, und sechsmal hatte Übersee das Vergnügen, einen neuen zu bekommen), nachdem er am Radio den Wehrmachtsbericht angehört, mit der Faust wütend auf den Tisch, daß alles nur so klirrte: „Idioten ! Wenn sie vom Kriegführen nichts verstehen, hätten sie von Anfang an die Finger davon lassen sollen“. Einen jungen Soldaten, der im Urlaub öfter einen Verwandten in Übersee besuchte, konnte man öfter im Gemeinschaftsraum antreffen, wie er, im Klubsessel vergraben und einen Karl-May-Band aus der Geschenkbücherei in der Hand, seelenruhig die Auslandssender abhört.
Die Aussagen des ehemaligen Angestellten der Steinacher Zweigestelle „Übersee“ werden von diesem so detailliert geschildert, dass an ihrem Wahrheitsgehalt nicht zu zweifeln ist. Sie decken sich auch mit den späteren Erinnerungen der Telefonistin Martha Sperl und der Sekretärin Leni Liebchen sowie dem bescheidenen Urkundenmaterial.
Die Dienststelle „Übersee“ als Arbeitgeber und Wirtschaftsfaktor der Region
In der Zweigstelle der Parteikanzlei München im Neuen Schloss Steinach waren neben den zunächst 50, später rund 100 Angestellten, die hauptsächlich von der Hauptstelle in München hierher versetzt worden waren, auch etliche Zivilkräfte aus Steinach und Umgebung beschäftigt. Die Angestellten mussten mittags verköstigt werden. Dazu war eine Küche eingerichtet, in der Frau Berta Gierl, später verehelichte Mühlbauer, beschäftigt war. Die Gärtnerei und der große Schlosspark forderte weitere Arbeitskräfte. Hier führte Sebastian Zach aus Münster, älteren Dorfbewohnern als „Zach Wastl“ noch in guter Erinnerung, das große Wort, denn er war bereits zu Schmieders Zeiten der Obergärnter im Neuen Schloss und wurde von den neuen Machthabern übernommen (für die freundliche Mitteilung danke ich Frau Therese Bachl und Herrn Josef Kiefl sen. sehr herzlich). Auch Xaver Gmeinwieser aus Münster war in der Gärtnerei beschäftigt. Wie der anonyme Berichterstatter „Nst“ mitteilt, waren für diverse Arbeiten auch Kriegsgefangene eingesetzt (siehe dazu den folgenden Abschnitt).
Auch in der Verwaltung setzte man Personal aus der Umgebung ein, das meist hierher dienstverpflichtet wurde, so z.B. Barbara Heigl aus Parkstetten, die heute in München lebt und einen interessanten Beitrag über das Leben in der Parteikanzlei Steinach beigesteuert hat. In Übersee war auch Frau Laumer, verheiratete Strankowitz, aus Kirchroth beschäftigt, und zwar als Telefonistin. Auch Martha Sperl aus Kasparzell, die als Telefonistin in der Dienststelle Übersee tätig war und die Sekretärin Leni Liebchen dürften aus der Umgebung stammen. So war diese Dienststelle auch ein interessanter Arbeitgeber für Steinach und Umgebung.
Die von München nach Steinach versetzten Angestellten der Dienststelle erhielten für sich und ihre Familien Wohnungen in Straubing und wurden damit zu einem Wirtschaftsfaktor für die Region.
Kriegsgefangene als Arbeiter im Schloss – Magdalena Deml erzählt
Magdalena Deml aus Münster erinnert sich an die zahlreichen Kriegsgefangenen die im Neuen Schloss Arbeiten verrichten mussten:
„Ende des 2. Weltkriegs waren im Gasthaus Solleder und im Gasthaus Zum Grünen Kranz etwa 30 slawische Kriegsgefangene einquartiert. Im Grünen Kranz waren dies Russen, bei Solleder andere Slawen. Mein Vater Ferdinand Färber, der spätere Bürgermeister von Münster, war damit beauftragt, die Gefangenen morgens über das Steinacher Holz ins Neue Schloss zu führen und sie dort bei ihren Arbeiten zu beaufsichtigen. Das waren vor allem Reinigungsarbeiten, im Winter 1943/44 gab es viel Schnee zu schaufeln. Die Gefangenen mussten auch Arbeiten in den sehr schönen neuen Baracken erledigen, die sich am Nordhang – vom Schloss aus gesehen - auf der linken Seite des Weges zum Jägerhaus Ried befanden. Mein Vater hätte von den Gefangenen leicht überwältigt werden können. Doch niemand wagte einen Ausbruchversuch. Abends musste mein Vater die Gefangenen wieder in ihre Quartiere in Münster begleiten“.
Auf Fliegerangriffe vorbereitet - Tarnanstrich und Bunkerbau
In der Dienststelle Steinach wurden hochbrisante Papiere verwahrt. Zeitweilig waren auch kostbare Bücher gelagert. Zudem war die Dienststelle Steinach ein wichtiges Rad im Parteiapparat, das vor Fliegerangriffen der Allierten geschützt werden musste. Es wurde mit einem Tarnanstrich versehen, der heute vor allem an der Rückseite des ehemaligen Gärtnerhauses, aber auch am Torturm noch gut zu erkennen ist.
Auf der Rückseite des Gärtnerhauses war der Tarnanstrich noch gut zu erkennen
(Foto Albert Lindmeier, aufgenommen 2008)
Als in den letzten Kriegsmonaten die Gefahr von Luftangriffen, auch auf das Neue Schloss Steinach, immer größer wurde, hat sich der Diensstellenleiter Baur mit einem Vermerk an den PG (= Parteigenossen) Ott gewandt, der im Bundesarchiv Koblenz unter dem Aktenzeichen NS 6 788 aufbewahrt wird und nachstehend vollständig wiedergegeben wird:
„Vermerk für Pg. Ott
Betreff: Sicherheit der Gefolgschaft der Parteikanzlei in Übersee bei Luftangriffen
Anläßlich des letzten Fliegerangriffs am Montag, den 5.2.45 mittags, bei welchem u.a.
auch Straubing angegriffen wurde und in der Nähe von Übersee einige Bomben in`s freie Feld fielen, habe ich auf Grund der Erfahrungen aus meiner in München ausgeübten Tätigkeit als Luftschutzdienstleiter der Ortsgruppe meine Beobachtungen gemacht.
Wenn ich mich auch keinesfalls als für diese Angelegenheit zuständig erachte und annehmen muß, daß sich hierüber die dafür verantwortlichen Männer wohl auch schon Gedanken gemacht haben, so möchte ich dennoch diese meine Beobachtung zu Ihrer Kenntnis bringen.
Sämtliche Kellerräume im Schloss liegen mit den Fenstern über dem Erdboden, sind also selbst beim Krepieren von Bomben vor dem Schloß kein sicherer Schutz. Zum mindesten müssen die Leute sich im Mittelgang aufhalten. Eine Ausnahme würde im Westflügel des Schlosses gelegene frühere Weinkeller, der tiefer liegt, machen. Dieser besitzt aber keinen Ausstieg, der bei Verschüttung benützt werden könnte. Übrigens ist dieser Keller auch bei Alarm abgeschlossen und nicht zugänglich gemacht.
M.E. könnte durch den Ausbau eines Stollens an der Ostseite des Schloßberges der sicherste Luftschutzaufenthalt geschaffen werden. Diese Arbeit könnte durch die hier vorhandenen Ausländer unter sachverständiger Leitung und Aufsicht und unter Bereitstellung des notwendigen Holzmaterials (Bohlen und Rundlinge) geschaffen werden.
Auch könnte der Gedanke der Gemeinschaftsarbeit seitens der Gefolgschaftsmitglieder von Übersee in der Freizeit aufgegriffen werden.
Übersee, den 9.2.1945
II P 1 f – Tr -
gez. Baur
Wie die heute noch erhaltenen beiden Luftschutzbunker zeigen, wurde Baur Plan aufgegriffen und an der Ostseite des Schlosshangs realisiert.
Dazu gibt es eine interessante Anekdote, die mir der Kieswerksbesitzer Fritz Hornung erzählte und die ich nachstehend wiedergebe:
„Als junger Pimpf von etwa ....Jahren durfte ich meinen Vater in dessem Lkw begleiten, als er Kies zum Neuen Schloss Steinach für den Bunkerbau fuhr. Die Zeit, bis der Kies abgeladen war, benutzte ich dazu, um auf „Entdeckung“ zu gehen. Ich betrat die Eingangshalle des Neuen Schlosses. Doch plötzlich, auch du Schreck, steht ein hoher Offizier in Uniform vor mir. Verdaddert wie ich war, riß ich die Haken zusammen, hob den rechten Arm zum Hitlergruß und rief „Heil Hitler“. Der Offizier lachte, strich mir über die Haare und ließ mich unbehelligt, aber mit schloddernden Knien, wieder gehen“.
Vermerk des Dienststellenleiters Baur an den Parteigenossen Ott über die Notwendigkeit von Luftschutzbunkern beim Neuen Schloss Steinach vom 9.2.1945
(Bundesarchiv Koblenz)
Die noch bestehenden Luftschutzbunker im Schlosspark sind Zeugen nationalsozialistischer Vergangenheit des Neuen Schlosses Steinach
(Foto Albert Lindmeier, aufgenommen 2008)
Wegen der guten Tarnung blieb die Dienststelle „Übersee“ im Neuen Schloss Steinach den Allierten verborgen. Es fiel keine einzige Fliegerbombe.
Funkmast-Fundament noch erhalten
Am nördlichen Rand des ehemaligen Tennisplatzes ragen noch heute zwei kubische Betonklötze aus dem Boden. Laut Pfarrer Wolfgang Reischl handelt es sich dabei um die Fundamente von Funkmasten. Fundamente derselben Art stehen im Heim Castell Windsor bei Wörth, wo sie als Fundamente für Funkmasten nachgewiesen sind. In Castell Windsor war eine Funkrichtverbindung zum Obersalzberg eingerichtet. Hitler hätte den Telefonleitungen nicht getraut und deshalb zusätzliche Funkverbindungen mittels Kabel eingerichtet. Zwar führten Telefonleitungen von Berlin über Bayreuth nach Castell Windsor. Von dort herrscht Blickverbindung zum Obersalzberg. Die Funkverbindung sei lt. Reischl nicht durch die Luft, sondern nach einer neuartigen spektakulären Erfindung mittels besonderer Kabel im Erdboden erfolgt. Die Parteikanzlei im Neuen Schloss Steinach ist somit in die Telefon- und Funkverbindung Berlin – Bayreuth – Castell Windsor – Neues Schloss Steinach – Obersalzberg eingebunden gewesen.
Bericht aus Übersee: „Der Kreisleiter in Straubing scheint nunmehr restlos zu versagen...“
Ein weiteres Schreiben aus der Parteidienststelle „Übersee“ vom 19. April 1945 aus dem Bundesarchiv Koblenz (Az NS 6 788) gibt interessante Einblicke über die dortigen Verhältnisse. Es handelt sich um einen „Vermerk an Pg (= Parteigenossen) Bürgel oder Pg Bürk, München, für Pg Walkenhorst“ am 15. April 1945, also wenige Tage vor Kriegsende. Als Betreff wird in dem als „Geheim“ bezeichneten Bericht genannt: „Täglicher Lagebericht des Baus Bayreuth. Der Vermerk, der eingangs auf die Informationsquellen von Übersee eingeht, wird im Folgenden auszugsweise widergegeben:
„Seit dem gestrigen Terrorangriff auf Straubing sind meine letzten Drahverbindungen unterbrochen. Sie können in absehbarer Zeit nicht wiederhergestellt werden. Somit entfällt vorerst auch die Durchgabe des täglichen Lageberichtes von Gaustabsamtsleiter Horlbeck an mich.
Es tauchten hier gestern bereits die tollsten Gerüchte auf. Wir haben zur Erkundung der Lage einen Melder nach Regensburg abgestellt; die Gerüchte erwiesen sich als haltlos. Wir werden von Regensburg einmal durch den Kreisleiter, zum zweiten aber durch den Regierungspräsidenten getrennt und zwar einmal durch Kreisleitungs-Kurier, zum anderen durch eigenen Kurier unterrichtet“.
Anschließend wird in dem Bericht am Kreisleiter von Straubing heftige Kritik geübt:
„Der Kreisleiter in Straubing scheint mir nunmehr restlos zu versagen. Ich traf ihn, als wir dabei waren, die im Münchner Hof verschütteten bzw. bereits geborgenen Leichen zu identifizieren. Er war erst am Nachmittag nach Straubing zurückgekehrt, weil er die Befestigungsarbeiten seines Kreises besichtigt hatte. Kreisleiter Hartmann trug Zivil und meines Erinnerns (was aber von mehreren Dienststellen-Angehörigen bestätigt wurde) kein Parteiabzeichen. Das Gleiche traf auf seine ohne Initiative in Straubing herumlaufenden Mitarbeiter (Kreisstabsamtsleiter und Geschäftsführer) zu. Der Kreisleiter stand deprimiert vor seinem ebenfalls getroffenen Haus ohne irgendwelche erkennbaren Maßnahmen zu treffen oder einzuleiten. Pg. Regler, der im Volkssturm-Angelegenheiten zur gleichen Zeit beim Kreisleiter vorsprach, erfuhr durch dessen Geschäftsführer , daß die Dienstsiegel der Partei angeblich auf Anordnung des Pg. Hartmann bereits am 17.4. verbrannt worden seien....
Ich bitte um Anweisung, was gegebenenfalls mit Hartmann geschehen soll, falls er nicht auf Anweisung seines Gauleiters gehandelt haben sollte.....Wir müßten also parteidisziplinäre Maßnahmen durch den Reichsleiter verfügen lassen. Ich hatte vorsorglich bereits den mir noch zugeteilten Kreisleiter Kaiser mitgenommen, der auch in meiner Vertretung das Einsatz-Kommando der Partei-Kanzlei führte (wir trugen alle Uniform) . Für den A-Fall hatte ich bereits vorgesehen, Kreisleiter Kaiser als Leiter des Meldekopfes Straubing unserer Dienststelle dem Pg. Hartmann nebenzuordnen. Ich habe ihn hierfür vorsorglich einen Ausweis ausgestellt, der aber erst im A-Fall ausgehändigt werden wird...Es wäre zu überlegen, ob man, falls es sich als notwendig erweisen sollte, Kaiser nicht anstelle Hartmann`s in den Kreis Straubing einsetzt. Ich erbitte hierfür weitere Weisungen.
Übersee, den 19. April 1945
II P 2 – Beh. -
Folger
Für die Überlassung von Ablichtungen der beiden Schreiben der Dienststelle „Übersee“ danke ich Bundesarchiv Berlin sehr herzlich. Das Bundesarchiv teilt weiter mit, dass sich dort noch folgende Archivalien zu „Übersee“ befänden:
- Schriftwechsel mit der Dienststelle „Übersee“ in Straubing/Donau, Laufzeit 1942 – 1944, Az: Akt f. OrgEinh, ST, BDFT, T
- Hausnachrichten (Einzelstücke), darin: Bücheraufstellung Übersee (nur 1 Blatt), 1944 und Schema der Telefonverbindung der Reichsleitung, 1938, Az: Akt für OrgEinh, ST, BDFT, T).
- Organisations- und Personalangelegenheiten, insbes. Des Amtes II F und der Dienststelle Übersee bei Straubing (verstreute Einzelstücke), darin: Namenslisten von Mitarbeitern verschiedener Organisationseinheiten u.a. der Gruppe III B, 1944 – 1945, Az Akt f. OrgEinh, ST, BDFT, T
Stefan Nöth nennt in seiner Arbeit „Das Neue Schloß Steinach“, a.a.0. folgende (wohl bisherige) Fundstellen für „Übersee“: Bundesarchiv Koblenz NS 6/523, 6/788, 6/383, 6/241, Schriftwechsel mit der Dienststelle Übersee 1942 – 44. Die vom Verfasser nach Koblenz gerichtete Anfrage wurde vom Bundesarchiv Berlin beantwortet.
Der neue Hausherr: Martin Bormann, Leiter der Partei-Kanzlei
Martin Bormann – als Sekretär des Führers und Leiter der Partei-Kanzlei einer der mächtigsten Männer im NS-Regime
Unmittelbar nach dem England-Flug seines Stellvertreters Rudolf Heß traf Hitler am 12. Mai 1941 die Verfügung, dass die bisherige Dienststelle des Stellvertreters des Führers die Bezeichnung „Partei-Kanzlei“ führe und ihm persönlich unterstellt sei. Als Leiter war „Reichsleiter Martin Bormann“ genannt. In seinem Erlass vom 29. Mai 1941 „über die Stellung des Leiters der Partei-Kanzlei“ präzisierte Hitler, „um die engste Zusammenarbeit der Partei-Kanzlei mit den Obersten Reichsbehörden zu gewährleisten: Der Leiter der Partei-Kanzlei, Reichsleiter Martin Bormann, hat die Befugnisse eines Reichsministers, er gehört als Mitglied der Reichsregierung und dem Ministerrat für die Reichsverteidigung an“. Sodann bekräftigte Hitler, dass der bisherige Stabsleiter der Dienststelle des Stellvertreters des Führers zwar nicht den Titel seines ehemaligen Vorgesetzten, wohl aber dessen sämtliche Kompetenzen erhielt: „Wo in Gesetzen, Verordnungen, Erlassen, Verfügungen und sonstigen Anordnungen der Stellvertreter des Führers genannt ist, tritt an seine Stelle der Leiter der Partei-Kanzlei“.
Nach dem Selbstverständnis der NSDAP war die Partei-Kanzlei d i e Dienststelle Hitlers in dessen Eigenschaft als Führer der Partei. Der Hitler unmittelbar veranwortliche Leiter hatte „alle grundsätzlichen Planungen und Anregungen aus dem Bereich der Partei zentral“ für Hitler zu bearbeiten. Ausschließlich über Bormann liefen die von Hitler selbst erlassenen oder in dessen Auftrag für die gesamte Partei ausgearbeiteten Weisungen an die jeweils für die Durchführung zuständigen Dienststellen. Nicht nur die politische Führung der Partei, sondern auch alle aus der Suprematie der Partei dem Staat gegenüber anfallende Arbeit war in der Partei-Kanzlei zu erledigen. Zu diesen Aufgaben gehörten im Krieg wie selbstverständlich der „vielseitige Einsatz der Parteiorgane in der totalen inneren Kriegsführung“ und die Arbeit der Partei in den eingegliederten und besetzten Gebieten. Neben der Partei und Wehrmacht berührenden Fragen lag der Schwerpunkt der Zuständigkeit der Partei-Kanzlei in der „Sicherung der Einheit von Partei und Staat“. Die Mitwirkung der Partei an der Gesetzgebung hatte ausschließlich über den Leiter der Partei-Kanzlei zu erfolgen, sofern Hitler nicht im Einzelfall etwas anderes bestimmte. Dies lief praktisch auf eine Konzentration der Macht auf die Person Bormanns hinaus. Ebenso zentral wirkte die Partei bei der Bearbeitung der Personalien der Beamten mit. Der Sekretär des Führers wurde schließlich auch zuständig für „alle Fragen, die den Schutz und die Sicherheit des Führers und seiner Umgebung betreffen“. Der Reichsführer SS mußte die als Hüter Hitlers eingeteilten Kriminalbeamten des Reichssicherheitsdienstes und die Wachen der Waffen-SS wohl oder übel Bormann unterstellen. Eine neue Dienststelle, so hatte Bormann zunächst versichert, entstehe mit diesem Amt nicht, doch zwangsläufig blähte es den schon auf mehr als 500 Köpfe gewachsenen Apparat der Partei-Kanzlei noch weiter auf.
Damit geriet ein an sich mit weitreichenden Kompetenzen ausgestattetes Machtinstrument unter die ausschließliche Führung eines energischen, nach oben ebenso servilen wie nach unten brutal-rücksichtslosen Parteifunktionärs. Bormanns Aufstieg vom Organisator illegaler Freikorpsgruppen und Feme-Schreibtischmörder zum Leiter der Hilfskasse der NSDAP und schließlich zum Stabsleiter des Stellvertreter des Führers, sein stetes Näherrücken an die Person Hitlers – von der Verwaltung der Hitler persönlich aus verschiedenen Quellen zur Verfügung stehenden Fonds, den Bau des „Berghofs“ und den Ausbau des Obersalzbergs zu Hitlers Sommerresidenz, bis zu Hitlers ständiger Begleitung im Führerhauptquartier bzw. „Führersonderzug“ während des Krieges – sind Stationen seiner Karriere.
(Aus: Partei-Kanzlei der NSDAP, Bestand NS 6, Teil 1, bearbeitet von Josef Henke, Bundesarchiv Koblenz 1984).
Umzug in die Alpenfestung geplant
Die „Alpenfestung“ sollte die letzte Verteidigungsbastion der Nationalsozialistischen sein. Sie bestand im Wesentlichen nur auf dem Papier. Wo sich die Festung befinden sollte, war kaum bekannt. Im Führerhauptquartier in Berlin herrscht Zuversicht. Offiziere und Mitarbeiter Hitlers drängen darauf, die Reichshauptstadt zu verlassen und das Heil im Gebirge zu suchen. Selbst Hitler erwägt den Entschluss, sich in sein Refugium auf dem Obersalzberg hoch über Berchtesgaden zurückzuziehen, um von dort aus „den Endkampf in der sogenannten Alpenfestung zu führen“. Ohne Hitler darüber zu unterrichten, hat der Chef der Parteikanzlei Martin Bormann schon seit langem Vorbereitungen zum Umzug nach Berchtesgaden getroffen, wo das Führerhauptquartier unter dem Decknamen „Serail“ wieder seine Tätigkeit aufnehmen soll. Auch an die Rettung der Akten aus der Partei- und aus der Reichskanzlei hat Bormann frühzeitig gedacht. Im Hinblick auf die heranrückenden Amerikaner entschließt sich Bormann am 22. April, die Unterlagen der NSDAP in den Schutz der Alpenfestung zu verlagern. Um 9.21 Uhr erhält sein Vertreter auf dem Obersalzberg, Dr. Helmut von Hummel, an diesem Sonntag aus Berlin den geheimen Funkspruch des Reichsleiters mit dem kurzen Text: „Bin mit vorgeschlagener Übersee-Südverlagerung einverstanden Reichsleiter Bormann“ (Zitat nach Lew Besymenski, a.a.O., S. 199). Mit „Südverlagerung“ ist der Transport der Akten nach Südtirol gemeint. Doch führte dieser Funkspruch zu großen Irritationen, auf die später noch eingegangen wird.
Mittlerweile ist jedoch in Berlin eine Entwicklung eingetreten, die sämtliche Pläne Bormanns zunichte macht. Am 21. April, 9.15 Uhr schickt Bormann von Berlin einen Funkspruch an Silberhorn am Obersalzberg mit folgendem Inhalt: „Arznei von Zabel aus Regensburg mit einem unserer Straubinger Aktenwagen mitnehmen. Sonderfahrt nicht möglich. Reichsleiter Bormann“. Lew Besymenski, a.a.O., S. 197 zieht in Erwägung, dass es sich bei der „Arznei“ um das Gift handelt, mit dem in der Berliner Reichskanzlei Selbstmorde verübt wurden. Bei dem „Straubinger Aktenwagen“ handelt es sich um das von Augenzeugen mehrfach erwähnte Kurierfahrzeug, das die Strecke Berlin – Neues Schloss Steinach – München fuhr.
Am 22. April trägt der Reichsleiter enttäuscht in seinen Notizkalender ein: „Führer bleibt in Berlin“. Angesichts der zusammenbrechenden Front rings um Berlin hat Hitler resigniert. Er erklärt nun, dass er nicht mehr auf den „Berghof“ nach Berchtesgaden ausweichen, sondern persönlich den Kampf um die Reichshauptstadt leiten werde (aus: Hans-Günter Richardi, Südd. Zeitung, Ostern 1995).
Literatur in Auswahl:
Jochen von Lang, Der Sekretär. Martin Bormann: Der Mann der Hitler beherrschte, 3. überarbeitete Auflage, München/Berling 1987
Martin Bormann jr., Leben im Schatten, Bonifatius Druckerei, 9., aktualisierte Auflage
Joachim Fest, Hitler, Eine Biographie, Lizenzausgabe des Spiegel-Verlags
Josef Henke, Partei-Kanzlei der NSDAP, Bestand NS 6, Findbücher zu Beständen des Bundesarchivs, Bd. 23, Koblenz 1984
Guido Knopp, Hitlers Helfer – Täter und Vollstrecker, München 199
H. van Capelle – A.P. Van de Bovenkamp, Der Berghof – Adlerhorst – Hitlers verborgenes Machtzentrum, Wien 2007
Dr. Wilhelm Matthießen, Dr. Wilhelm Matthießen (1891-1965) – Ein rheinischer Schriftsteller in Steinach, in: Hans Agsteiner, Steinach mit Ortsteilen Münster, Agendorf, Wolferszell – Eine Heimatgeschichte und Chronik, Steinach 1996
Nüßlein Timo, Paul Ludwig Troost (1878 – 1934) – Leben und Werk, Dissertation Wikipedia, die freie Enzyklopädie
Das Archiv der Parteikanzlei der NSDAP wurde im Jahr 1945 während der letzten Kriegswochen vernichtet (wie auch die Akten in der Dienststelle Übersee). Das Institut für Zeitgeschichte in München versuchte seit Anfang der 1970er Jahre den Aktenbestand der Partei-Kanzlei zu rekonstruieren. Man durchsuchte die Bestände der wichtigsten erhaltenen Staats- und Parteidienststellen des Dritten Reiches und fertigte aus Korrespondenzen, Aktenvermerken und sonstigen Unterlagen Kopien an. Das rekonstruierte Archiv kann naturgemäß nicht den Anspruch auf Vollständigkeit erheben. Es bietet dem Historiker aber trotzdem eine Fülle von sehr gut erschlossenem Aktenmaterial. Bei der Durchsicht des Zettelkatalogs beim Institut für Zeitgeschichte konnte der Verfasser jedoch zum Thema „Übersee – Steinach“ keine Unterlagen finden. Er fand jedoch dem Zettelkatalog vorgeheftet einen Vermerk, wonach sich Unterlagen der Parteikanzlei in amerikanischen Archiven befänden.
Nöth Stefan, Das Neue Schloß Steinach 1905- 1945, im Jahresbericht d. Hist. Vereins f. Straubing und Umgebung Jhg. 90, 1988, S. 257 ff.