Ostern
Auszug aus den Kindheitserinnerungen "Bei uns dahoam" von Albert Bachl (1888-1969)
Wir waren arme Leute, so wie die meisten in unserem Dorf. Großbauern waren dort nicht anzutreffen. Wir hatten zwei Einspannkühe und ein Jungrind im Stall, auch ein paar Hühner und Gänse fütterten wir. Die ganze Familie mußte bei der Arbeit mithelfen.
Anspruchslos wuchsen wir heran. Als ich noch sehr klein war, teilte ich mit meinen beiden Brüdern ein Bett. Später dann schliefen wir zu zweit in einem. Der Strohsack wurde jeden Morgen aufgeschüttelt, das Oberbett war mit Hühnerfedern gefüllt. Die Gänsedaunen und –federn verkaufte meine Mutter in der Stadt an reiche Leute.
Zu jeder Jahreszeit wurden wir abgehärtet. Einen Regenschirm gab es bei uns nicht. Es war alles recht unkompliziert. Wenn uns zum Beispiel das Nasentröpferl lief, ersetzte der Joppenärmel das Taschentusch und mein Vater schneuzte sich grundsätzlich mit der Hand. Die Kleidungsstücke vererbten sich von Kind zu Kind. Ich als Drittgeborener bekam mein erstes neues Anzügerl in meinem sechsten Lebensjahr, es war das Jahr, in dem ich in die Schule kam.
An einem schönen, sonnigen Karfreitag nachmittag durfte ich meinen neuen Anzug zum erstenmal anziehen. Auch Schnürstiefel hatte ich bekommen und zwei Taschentücher. Mit meinen beiden Brüdern stand ich hinter dem Haus und wartete, bis die Mutter unseren kleineren Bruder und die kleinen Schwestern zum Besuch des Heiligen Grabes fertiggemacht hatte. Es war herrlich, wie frisch und gut mein Anzug roch! So oft ich ein Kleidergeschäft betrete, kommen mir heute noch Erinnerungen an meinen neuen Anzug.
Karfreitag
Der Karfreitag war durch den Besuch des heiligen Grabes für uns Kinder ein Festtag. Der Nachmittag war mit dem Kirchenbesuch ausgefüllt. Durch die Verdunkelung der Fenster war das Innere der Kirche sehr eindrucksvoll. In der Mitte am Boden lag das große Kreuz mit dem Christuskörper, das sonst am vordersten Kirchenstuhl aufgestellt war. Wir mussten seine Wundmale küssen. Eine lange Strecke hatte man sich auf den Knien dem Kreuz zu nähern, welches, besonders in den Nachmittagsstunden immer von Frauen und Kindern besucht wurde. Gegen Abend waren dann mehr Erwachsene, vor allem auch Männer anwesend. Das Küssen der Wundmale war für uns Kinder nicht einfach. Ich getraute mich den Körper des am Boden liegenden Heilandes nicht zu berühren. Seine rechte Hand war, da ich auf der linken Seite kniete, schon gar nicht zu erreichen. Während viele einen Handkuss hingaben, probierten wieder andere mit dem Mund hin zu kommen. So auch der vor mir rutschende Hilmer Xaver, ein Bub aus meiner Klasse. Er neigte sich so stark nach vorne, dass er kopfüber auf das Pflaster plumpste. Ich wollte ihn noch zurückhalten, kam mit meiner Kraft aber zu spät. Seine Mutter, die mit noch kleineren Buben da war, zog ihn dann am Joppenkragen hoch. Am anderen Tag hatte der Xaver eine Beule auf der Stirn.
Karwoche um 1930
Die Altäre der Pfarrkirche Steinach sind verhüllt.
Vom Kreuz Weg gingen wir zum Heiligen Grab. Von dort konnten wir uns so rasch nicht trennen. Die Pracht der Blumen und der farbigen Glaskugeln war so bezaubernd, dass wir gar nicht mehr ans Heimgehen dachten. Wir konnten nur stehen und staunen. Die Mutter musste uns am Ärmel zupfen oder gar zur Türe hinausschieben. Schnell warfen wir noch einen sehnsüchtigen Blick auf die bunten Lichterkugeln und die hundert farbigen Blüten. Es waren in der Hauptsache Hortensien in rosarot und blau oder weiß. Wir waren ganz benommen von so viel Schönem.
Anschließend an den Kirchenbesuch hatten wir noch etwas ganz Besonderes vor. Im Gasthaus „Zur goldenen Krone“ durften wir einkehren und, was nur einmal im Jahr, eben am Karfreitag vorkam, dort Eierweckerl essen. Dies war für uns ein großes Fest, kannten wir doch sonst nur Schwarzbrot. Wären die Kronenwirtin und unsere Mutter nicht Schwestern gewesen, so hätten wir auf dieses Erlebnis mit Eierweckerln verzichten müssen.
Karsamstag
Dann kam der Karsamstag. Auch an diesem Tag mussten wir in die Kirche gehen. Jedoch fand meine Mutter den Tag nicht feierlich genug, dass wir Buben den neuen Anzug anziehen dürften. Sie wusste um die Gefahr, die anlässlich der Feuerweihe vor der Kirchentüre für einen guten Anzug bestand. Von jedem Haus in der Pfarrei war ein Bub mit dem traditionellen Osterscheit, welches das dicke Ende des Palmbaumes ist, zur Feuerweihe da. Dieses Osterscheit musste in geweihtem Feuer gut angebrannt sein. Damit es gut brennt, war es mit Kienholz benagelt. Es gab da unter den Buben oft viel Stoßerei. Einer schlug dem anderen das Holz aus dem Feuer.
Nach langem Betteln hatte ich endlich erreicht, dass ich nun doch den neuen Anzug anziehen durfte. So ging ich Früh fünf Uhr mit meinem Osterscheit unter dem Arm zur Kirche. Es ging alles gut. Ich hielt mich, dem guten Rat meiner Mutter folgend, immer etwas im Hintergrund, damit ja nicht brandlich wurde. Aber leider wurde mein Scheit nicht einmal richtig schwarz, viel weniger angebrannt. Ich musste also näher ans Feuer heran. So kam ich ins Gedränge. Als mein Scheit endlich zu brennen anfing, schlug es mir ein Bub aus der Hand. Als ich mich danach bückte, gab mir ein größerer Bub einen Stoß, dass ich beinahe im Feuer gelandet wäre. Ich taumelte. Endlich erwischte ich mein Holz wieder. Jedoch mein Anzug roch sehr stark nach Brand.
Daheim legte ich im Hausfletz das Scheit nieder. Ich hatte ein sehr schlechtes Gewissen und schlich mich schnell auf den Boden zum Umziehen. Als ich meiner Mutter im Werktagsgewand wieder gegenüberstand, fühlte ich mich ganz unbeschwert. Der neue Anzug, um den sie so gebangt hatte, hing bereits am obersten Balken auf dem Dachboden zum auslüften.
Der Ernst der Kartage kommt besonders dadurch zum Ausdruck, dass vom Gründonnerstag bis zum Karsamstag kein Läuten der Kirchenglocken zu hören ist. An ihrer Stelle tritt eine Ratsche aus Holz in Tätigkeit. Selbst die Glöckchen am Altar sind verstummt. Die Ministranten schwingen mit Holzklappern den Takt bei der Prozession in der Kirche.
Die Ratsch'n wurden von den Ministranten an ihre Nachfolger weitergegeben.
Franz Schwarz hält eine alte Ratsche, auf der die Namen Kiefel, Maxreiter und Kirmer eingeritzt sind.
Der Karsamstag brachte für uns Kinder das Erhabenste, die Auferstehungsfeier. Der Leib Christi im Grab, den wir tags zuvor so lange bestaunt hatten, wurde in die Tiefe versenkt und hoch am Altar steig die Statue des auferstandenen Heilandes empor. „Alleluja, alleluja, Christus ist erstanden, alleluja“, dröhnte es jubelnd vom Chor. Die Orgel spielte die höchsten Töne, der Herr Pfarrer am Altar stimmte das Tedeum an. Die ganze Pfarrgemeinde sang laut und voller Ehrfurcht: „Großer Gott, wir loben Dich“. So endete die Karwoche mit dem Wunder der Auferstehung. Tagelang klang das Alleluja in meinen Ohren nach, obwohl ich so unmusikalisch bin.
Ostersonntag
Eine ganz besondere Freude brachten uns Kindern die drei Ostertage. Durften wir doch an diesen Tagen überall, in Stall und Scheune, im Garten und in den Nestern die Eier suchen, die unsere Hennen dorthin verlegt und gelegt hatten. Jeder durfte alle Eier, die er gefunden hatte, behalten. So kam es, dass ich allein einmal am Ostersonntag vierzehn Eier gefunden habe. Die Mutter kochte sie, dann wurden sie rot gefärbt, anschließend aß ich sie allesamt auf. Bei uns wurden die Eier nur rot gefärbt. Einem Besuch aus der Stadt erzählte meine Mutter einmal, man müsste an Ostern dem Gockel die Füße waschen, dann würde er drei Tage lang rote Eier legen.
Bei den Bauern, die Dienstboten hatten, war das mit dem Eiersuchen ähnlich wie bei uns. Alle Eier, welche die Hofhennen am Ostersonntag legten, gehörten der Oberdirn; die Eier des Ostermontags der Anderdirn, die Osterdienstagseier der Dritteldirn. Die Mädchen haben sie dann der Bäuerin verkauft oder auch einem Händler gegeben.
Wir Buben hielten auch richtige Kämpfe mit hartgekochten Eiern ab. Wir schlugen sie zur Probe, ob die Schale auch ja recht hart war, an die Zähne und dann ging es los. Angefangen wurde „Spitz auf Spitz“, später wurde das Ei natürlich auch gedreht und wir schlugen so lange ein Ei auf das andere, bis eines eingedrückt war. Wessen Schale am ersten einen Sprung bekam, musste dieses an den Gegner abliefern. Wichtig war auch bei diesem Spiel, dass das Ei rot gefärbt war.
Das verhüllte Kreuz in der Pfarrkirche Steinach
Karwoche 2024
Albert Bachl, der Verfasser dieser Erinnerungen, wurde 1888 in Steinach geboren und ist 1969 in Regensburg als pensionierter Post-Obersekretär gestorben. Seine Jugendzeit verbrachte er in seinem Heimatdorf, wo er bereits mit zehn Jahren bei fremden Bauern arbeiten mußte. Im Weltkrieg 1914/18 diente er bei der Artillerie, dann kam er zur Post. Seine Erinnerungen an Steinach schrieb er im Alter von knapp 80 Jahren.
Er war der Sohn des Gütlers Alois Bachl (1853-1945) und dessen Ehefrau Kreszenz, geb. Altschäffl. (1856-1948). Seine Mutter Kreszenz war von 1885-1929 Hebamme in Steinach. Die Familie wohnte im dem Gütleranwesen Haus Nr. 41, der heutigen August-Schmieder-Str. 25.