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 Josef Schlicht

 Schlossbenefiziat, Heimatforscher und Klassiker der bayerischen Volkskunde

 

 

von Hans Agsteiner

 

Am 18. März 1832 wurde Josef Schlicht in Geroldshausen in der Hallertau (Marktgemeinde Wolnzach) geboren. Seine geistliche Laufbahn führte ihn 1871 nach Steinach, wo er bis zu seinem Tod am 18. April 1917, also 46 Jahre lang, als Schlossbenefiziat wirkte.

Als Volkskundler und Volksschriftsteller brachte es Schlicht zu großer Berühmtheit. Seine Veröffentlichungen wurden weit über Bayern hinaus bekannt und gerne gelesen. Ein Freundeskreis brachte dies auf einer Gedenktafel in der Steinacher Pfarrkirche mit folgendem Spruch zum Ausdruck: „Wie keiner kannte, liebte und schilderte er das altbayerische Bauernland“.

Die Geschichte von Steinach wurde von ihm ausführlich erforscht und veröffentlicht.

Das Andenken an Josef Schlicht wird in der Gemeinde Steinach hochgehalten. So ist ihm u. a. ein Straßenname gewidmet – die Schlichtstraße in der Oberen Siedlung – und die Grundschule Steinach trägt seinen Namen.

Josef Schlicht ist auch heute noch von überregionaler Bedeutung. Mehrere seiner Bücher wurden neu aufgelegt, seine Erzählungen erscheinen in Zeitschriften und Kalendern und der Landkreis Straubing-Bogen ehrt seit 1977 Persönlichkeiten, die sich besonders herausragende Verdienste um Heimat, Kultur und Brauchtum erworben haben, mit der Verleihung der Josef-Schlicht-Medaille.

 

 

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Josef Schlicht
aufgenommen ca. 1890
(Bild: Archiv für Heimatgeschichte Steinach, Nachlass Ludwig Niggl)

 

 

 

Arme Kindheit

 

Josef Schlicht war der erstgeborene Sohn einer kinderreichen Gütlersfamilie, die einen Hof mit 14 Tagwerk bewirtschaftete. Von seinen 17 Geschwistern überlebten elf das Kleinkindalter nicht.

Sein Vater war „in der Junggesellenzeit ein Zither-, Sing- und Schützenblut, ohne Falsch von je, ehrliebend, sehr viel Gemüt; seine Mutter liebherzig, flink, frohsinnig, in Rede und Gebärde eine Landanmut von ihrem Jugendgeschäft, dem Kleidermachen“. So berichtet Schlicht über seine Abstammung.

Josef Schlicht wäre beinahe unehelich zur Welt gekommen, da die „Bauernfünfer“ (Vorläufer des Gemeinderats) die Eheerlaubnis für seine Eltern mangels Vermögen verweigerten. Heiraten durften damals – mit Blick auf die Armenkasse – nur, wer eine gesicherte Existenz aufweisen konnte. Schlichts geistliche Laufbahn wäre als uneheliches Kind kaum möglich gewesen. Aber es kam anders. Schlichts Vater erbte das „Bergmartlgütl“ und konnte nun seine große Liebe heiraten. Die 1830 geborene illegitime Tochter Theresia wurde legitimiert.

 

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Der malerische gelegene Ort Geroldshausen, Marktgemeinde Wolnzach in der Hallertau -
Hier ist Josef Schlicht am 18. März 1832 geboren und hier verbrachte er seine Kindheit
(Foto: Hans Agsteiner, Februar 2007)

 

Nach Schlichts autobiographischen Angaben verlebte er anfangs eine frohe, dann aber eine eher traurige Kindheit. Mit drei Jahren hat der kleine Josef Glück im Unglück. So beschreibt er später ein gefährliches Erlebnis: „Aus Lebenslust mit Armen und Beinen schlegelnd, glitt er, hinaus in das Feld auf dem Ernteleiterwagen, unversehens seiner Mutter vom Schoß und kugelte dabei so unter den leeren Erntewagen hinein, dass ein Hinterrad aufstieg und kaltblütig über seinen Kopf hinwegging: „Es tat ihm sonst weiter gar nichts, als dass es ein wenig bremselte und die jugenddämmrigste Rückerinnerung in sein drittes Lebensjahr ist“.

Es waren zunächst frohe unbeschwerte Kinderjahre, ausgefüllt mit Spiel und kleinen Arbeiten für die Familie.

 

Am 8. Oktober 1838, der kleine Josef war gerade mal sechs Jahre alt, starb seine Mutter bei der Geburt eines Geschwisterchens im Alter von 30 Jahren. Die neugeborene kleine Theresia folgte ihr am 27. Oktober im Tode nach.

Es klingt wie Erinnerung an die Leichenfeier seiner „liebherzigen, flinken, frohsinnigen“ Mutter, wenn er später in seinen „Kulturskizzen“ schreibt: „Er steht am Grab seiner Mutter, gegängelt von der kindlichen Liebe. Begreiflich, da unter geweihter Erde liegt jenes Auge, das über ihn gewacht, jenes Ohr, das sich nie seinem Hilferuf verschlossen, jener Mund, der um seinetwillen gedarbt, jenes Herz, das für ihn geschlagen, jenes Haupt, das auf sein Glück gesonnen… Und habt ihr denn, als wir sie wegtrugen aus ihrem Hause, nicht gehört das herzzerreißende unstillbare Wimmern und Wehklagen ihrer Kinder? Mann und Kinder weinen untröstlich um die gute Mutter.“

Blutet bei Schlichts Erzählung nicht das Kinderherz wieder?

 

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Ehemaliges Elternhaus von Josef Schlicht in Geroldshausen
(aus: Rupert Sigl, Josef Schlicht - Der rechte treue Baiernspiegel, Rosenheim 1982)

Das Gebäude war zu Schlichts Zeiten eingeschossig und mit einem Strohdach gedeckt.
Bis etwa 1955 hatte es einen Giebelerker über der Haustür. Um 1955 wurde es um ein Geschoss erhöht (siehe Bild).
1978 wurde Schlichts Elternhaus abgebrochen und durch den heutigen Neubau mit einer Erinnerungstafel für Josef Schlicht über dem Eingang ersetzt.

(Freundliche Informationen durch den Urgroßneffen von Josef Schlicht, Herrn Matthäus Schlicht, im Februar 2007)

 

Seine „ereignisschwere Knabenzeit“ konfrontierte ihn ständig mit dem Tod und gerade mit dem Sterben jener Menschen, die ihm besonders nahe standen, sein erster Lehrer und sein erster Pfarrer. Während der Pfarrer geistesgestört ins Wasser sprang, brachte sich der ledige Lehrer nach einem Wirtshausbesuch selbst Verletzungen am Arm bei und verblutete.

Schlichts Vater heiratete wieder. Mit dem Einzug der Stiefmutter war für den kleinen Josef aber die Nestwärme entschwunden. Schlicht schreibt in seiner Autobiographie: „Den ersten Lebensbund seines Vaters schloss die Liebe, den zweiten nur mehr das Geld; daher brachte dieser wohl noch einen starken Kinderzuwachs von sechs lebenden Köpfen, aber die wahre Harmonie der Seelen niemals. Nach seinem sechsten Jahr hörte das Vaterhaus auf, ihm sein trautes, süßes Heim zu bleiben. Er selbst war freilich auch kein stilles, kosiges Stiefkind, eher ein halsbrechend wilder Bube: Auf dem First des Elternhauses (s’war noch das alte liebe Strohdach) auf dem Kopfe stehend, das zählte noch lange nicht zu den tollkühnsten Stücken“.

 

 

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Erinnerungstafel an Josef Schlicht
an dessen Geburtsstätte in Geroldshausen, Hauptstraße 44
(Foto Hans Agsteiner, Februar 2007)

 

 

Da sich noch weitere nachkommende Geschwister um den Tisch drängten, musste der Vater daran denken, den Ältesten von der Suppenschüssel wegzubringen. Er sollte das ehrsame Stiefelmachen erlernen. Doch dagegen sperrte sich der Quicklebendige, und er wurde Hüterbub.

Er war ein gewitztes Bürschlein und fand das Wohlgefallen seines Pfarrers Josef Hilmer, der ihn dann nach dem herkömmlichen Lehrjahr im Pfarrhof für eine geistliche Laufbahn im Auge hatte.

 

 

Studienjahre in Metten und Regensburg

 

Es folgen nun acht Lateinschul- und Gymnasiumsjahre im Benediktinerkloster Metten.

Dort gehörte er „niemals unter die Ersten, aber auch unter die Letzten niemals, sondern jedes Mal und unentwegt zur Kern- und Mittelgruppe“, so schildert er später diese Jahre.

Am 12. August 1852 erhielt Schlicht das Reifezeugnis. Eigentlich wollte er an der Universität studieren, doch scheiterte dies am fehlenden Geld. In dieser Zwangslage richtet er ein erfolgreiches Gesuch an „Seine Bischöflichen Gnaden“ um Aufnahme ins Klerikalseminar: Nach dem Studium am Lyzeum waren die religiösen Übungen im Priesterseminar an der Reihe.

Am 12. August 1856 erhielt Schlicht die Subdiakonats- und am Tag darauf die Diakonatsweihe.

Am 16. August desselben Jahres wurde er im Hohen Dom zu Regensburg von Bischof Valentin von Riedel zum Priester geweiht. Als „Supernumerarius“ (wörtlich: „Überzähliger“) wurde er eingesetzt, wo er gerade nötig war.

 

 

ZeugnisSchlichts Hochschulzeugnis von 1855
(aus: Rupert Sigl, Josef Schlicht - Der rechte treue Baiernspiegel, Rosenheim 1982)

 

 

 

Schlichts Reisen

Vor seiner Priesterweihe 1856 wollte der junge Mann noch etwas von der Welt sehen. 1853 reiste er so nach Prag, Dresden, Berlin, Hamburg. In Hamburg erlebt er eine internationale Stadt, wundert sich über die „14 – 18 thousands of joy-girls“, sieht ganze Züge von Auswanderern. Dann geht es weiter nach Braunschweig, Leipzig, nach Vierzehnheiligen und Bamberg und endlich nach München.

 

Den Süden erwandert Schlicht in seinem ersten theologischen Jahr, 1854: Kochelsee, Murnau, Hohenschwangau, Hindelang und Immenstadt, nach Lindau und Konstanz.
Im nächsten Jahr wandert er über Ulm, Straßburg und Chalons auf die berühmten „Katalaunischen Felder“. Paris war ihm mehr als eine Messe wert. Auf der Rückreise steigt er bei einem Landpfarrer in Burgund ab. Dann ging es über Basel und Zürich nach Einsiedeln.

Von seinen mindestens 20 Reisen, von denen er später viele aus Steinach antrat, sind noch zu nennen: Böhmen, Franken, Oberschwaben, drei nach Kärnten, Tirol, die Steiermark und Vorarlberg, Rheinland und ins Oberland, Wien und Ungarn.

 

 

Schlicht verliebt, aber abgebrannt!

Dr. Rupert Sigl schreibt im „rechten treuen Baiernspiegel“: „Als er auf der Heimkehr von seiner Nordenfahrt an einem Abend in froher Runde sein Herz an ‚Amalie’ verlor und ihre offenbar einseitige Liebe in einem Gedicht besingt, mochte ihm seine finanzielle Ohnmacht und Misere noch grausamer erschienen sein: "Nur Tränen können wir vergießen… Die Lieb ist in uns viel zu kräftig, als dass sie in uns bleiben soll".

So hat auch die unabdingbare Not das Problem der Liebe mit entschieden. Obschon ein Pfennigfuchser von Kleinauf, ging es Schlicht gerade in dem Jahr vor der Priesterweihe sehr nass ein. Er stand sogar mit seinem Talar in der Kreide.

 

 

Erste Stationen seiner geistlichen Laufbahn

Zwischen 1856 und 1870 war Josef Schlicht an fünf verschiedenen Orten als Kooperator beschäftigt: 1856 in Ensdorf, 1857 in Ergoldsbach, 1858/59 in St. Nicola in Landshut, 1859-69 in Oberschneiding, 1869/70 in Tunding, 1870 in Stadtamhof.

Die Gemeinden, an denen Schlicht tätig war, wiesen unterschiedlichen Charakter auf. Schlicht war sowohl mit rein bäuerlich-ländlicher als auch mit städtischer Struktur durch seine Versetzungen vertraut.
Damals sprach noch niemand von Priestermangel, sodass er in Oberschneiding fünf Jahre als Unter- und zweiter Kaplan und fünf weitere als Ober- und einziger Kaplan beim Pfarrer und Dechant Tobias Leutner verbrachte. Bei diesem Muster an volksnaher Seelsorge lernte Schlicht seine Gäubodenbauern sehr genau kennen.

 

 

Der "kloa Herr" von Schneiding

Schlicht schreibt in seiner Autobiographie über diese Zeit: „Diese gäuländische Zeit, namentlich die frühere Hälfte, war überaus schön, so schön, dass ihm der Gedanke oder gar das Fieber, auch einmal Pfarrer zu werden, nicht im entferntesten kam …. Im Verkehr mit der ganzen rund umliegenden Geistlichkeit fehlte nichts; denn auf allen vier Weltecken des Pfarrsprengels hatte er einen Bauern, der einen Schießer für ihn bereit hielt, im Sommer mit Kutsche, im Winter mit Schlittengeißl, einige Zeit gab es sogar einen habsburgischen Husarenbraun aus dem italienischen Feldzug von 1859 zum Ausritte.“

 

 

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Der ehemalige Pfarrhof in Oberschneiding, erbaut 1858
(aus: Rupert Sigl, Josef Schlicht - Der rechte treue Baiernspiegel, Rosenheim 1982)

 

 

 

Als Josef Schlicht am 3. September 1859 in dem mächtigen Gäudorf Oberschneiding eintraf, war dort Josef Pritzl erster Kaplan, "da grouß Herr", der beinahe siebenthalb Schuh lang war (Anm.: über 2 Meter)“. Er besaß zu seiner großen Kooperatur die entsprechende leibliche Höhe und Dicke wie eine gute alte bayerische Stundensäule, und dazu die gesetzte, ernste, ruhige Gangweise, Gebärde und Rede. Wenn „da Kloa und da Grouß zu Weihnachten, Ostern oder Pfingsten dem Pfarrer levitierten, ging in der Tat beim Friedenskuß der Kloa dem Groußn nur bis zum Nabl“.

 

Schlicht war nicht nur in seiner Kindheit ein quicklebendiger Junge; diese Eigenschaft ist ihm bis ins Alter erhalten geblieben.
Einen jähen Schrecken jagte er einer abergläubischen jungen Mutter ein. Er musste als so genannter „kleiner Herr“ (d.h. Unterkooperator) wegen Abwesenheit des Oberkooperators ihren Knaben taufen. Als die Hebamme mit dem Kind heimkam, die Frage: „Was für einer hat ihn denn getauft?“ Und sogleich die Wehklage der Wöchnerin: “Mein Gott, möchte mir der Bub ein rechter Unend (=Auftreiber) werden!“.
Die kreuzbrave Bauersfrau, welche den kleinen Herrn (vielleicht nicht ganz ohne Grund) für allzu lebendig hielt, bangte (darin natürlich ohne Grund), dass derselbe bei der Taufe seine Lebendigkeit und damit ein strampelndes Temperament auf ihren Säugling übertragen hätte.

Schneiding, diese Bauernmetropole, darf sich rühmen, Schlichts Bild vom Baiern und Bauern wesentlich geprägt zu haben. Die Pfarrei und die umliegenden Bauerndörfer bildeten den Goldgrund zu unzähligen Szenen und Bildern (Sigl).

 

 

Erste schriftstellerische Schritte

In die 1850er Jahre fiel die erste Beschäftigung Schlichts mit volkskundlichen Schriften. Gegen Ende der Oberschneidinger Zeit (um 1868) wurde Schlicht von Georg Aichinger, dem Schriftleiter des „Straubinger Tagblatts“ gebeten, Beiträge für die Zeitung zu liefern. Aichinger war mit Schlicht in Metten und dessen Beichtvater in Azlburg. Schon bald erkannte Aichinger Schlichts schriftstellerische Begabung.

 

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Er brachte Schlicht zur Schriftstellerei: Georg Aichinger, Redakteur und Beichtvater
(aus: Rupert Sigl, Josef Schlicht - Der rechte treue Baiernspiegel, Rosenheim 1982)

 

Unter dem Titel „Von der Hienharter Höhe“ (ein Gutshof in der Nähe von Oberschneiding) erschienen ab dem 18. Juli 1868 unregelmäßige „Landskizzen“ von Schlicht im „Straubinger Tagblatt“. Waren es am Anfang lustige Geschichten, die gern gelesen wurden, so entstanden nach und nach auch ernste politische und kirchliche Artikel.
Schlicht liebte die Leute, so wie sie waren, mit ihrem Dorfjux, wie sie einander aufzwickten, miteinander kämpften, die Kleinen gegen die Großen. „Dem Seniorbauern“ und der „Plendlbäuerin“, bei denen er ein- und ausging, hat er seine besten Portraits gewidmet.

Das vielsagendste Kulturbild malte er vom „Aumer von Gmünd“, der von einem tollwütigen Hund gebissen, wochenlang dem Tod vor Augen, seine wahre Größe im Sterben erreichte.

 

In Tunding und in Regensburg

Schlicht berichtet in seiner Autobiographie über seine weiteren Einsätze: „Im Jahre 1870 folgten der weniger schwere Kaplanposten und das Pfarrprovisorat in Tunding und 1871 … die Kommendistenstelle auf dem Benefizium zu Stadtamhof; ebenfalls ein schönes Jahr mit all jenen vielen Anregungen, welche das hochbegehrte kirchliche Geistes-, Vereins- und Kunstleben Regensburgs unter der Bistumsführung des Bischofs Dr. Ignatius von Senestrey jederzeit reichlichst bietet“.

Für den Schriftsteller und Volkskundler war Tunding-Lengthal ungewöhnlich fruchtbar. In diesem abgelegenen Holzland fand Schlicht das alte Brauchtum besser erhalten als in dem noblen, echten Gäudorf Schneiding. Hier notierte er bei einer Hochzeit, was wir später in seinem Büchlein als „Landhochzeit“ finden.

 

 

1871 - Schlicht wird Schlossbenefiziat in Steinach

Eng verbunden mit dem Steinacher Schloss ist das heute noch bestehende Schlossbenefizium, das auf eine uralte adelige Stiftung zurückgeht. Im Jahre 1336 hat das Rittergeschlecht der Warter von der Wart durch Kauf den Steinacher Edelsitz übernommen. Noch im selben Jahr errichtete Ritter Ekolf von der Wart am Turm der Pfarrkirche St. Michael die Begräbnisstätte der steinacherischen Warter und erbaute darüber die Kapelle St. Maria, in der er mit einem Zinskapital von 3 600 Regensburger Pfennigen eine „Ewige Messe“ für das Seelenheil seines Geschlechts stiftete. Durch Zustiftungen wurde das Benefizium auf bessere finanzielle Beine gestellt, sodass ein Schlossbenefiziat sein Auskommen hatte. Das Steinacher Schlossbenefizium ist ein sog. Inkuratbenefizium, d.h. ein Benefizium ohne Kura. Daneben bestand die Burgkapelle St. Georg, die nach ihrem Abbruch im 16. Jahrhundert durch die heutige Schlosskapelle ersetzt wurde. Der Schlossbenefiziat hatte – nach Schlichts späteren Forschungen – folgende Aufgaben zu erfüllen:

  1. An der Begräbnis- und Benefiziumskapelle St. Maria in der Woche die zwei Stiftmessen für die verstorbenen Warter lesen.
  2. An der Burgkapelle St. Georg ebenfalls in der Woche zwei Messen lesen.
  3. Darüber hinaus die Messen an jedem Feiertag in der Burgkapelle zu zelebrieren, wenn die Schlossherren nicht zur Pfarrkirche gehen können oder wollen.
  4. In den vier Quatemberzeiten eine Brotspende an die Armen der Hofmark geben.

 

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 Die Steinacher Schlosskapelle St. Georg - Wirkungsstätte des Schlossbenefiziaten
Bild: Archiv für Heimatgeschichte Steinach

 

 

Dem Benefiziaten wurde ein eigenes Haus gekauft, „wohlgebaut und wohlgelegen“. Dazu bekam er noch 34 Tagwerk Feld und Wald. Das Patronatsrecht am Benefizium hatten natürlich die Stifter und ihre Nachfolger bzw. die Steinacher Schlossherrschaft und die Krone. Die Patronatsherren konnten den Benefiziaten vorschlagen. Nach und nach verlagerte sich das Benefizium von der Gruft- und Stiftungskapelle St. Maria an die Schlosskapelle St. Georg. Die Marienkapelle mit ihren Begräbnisstätten wird im Jahr 1798 als „gänzlich baufällig“ bezeichnet und schließlich abgebrochen.

 

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 Josef Schlicht nach einer Fotografie vom 3. Januar 1898,
aufgenommen für seine Autobiographie und das "Niederbayern-Buch"
Bild: Archiv für Heimatgeschichte Steinach

 

 

 

1871 erhält Josef Schlicht das Steinacher Schlossbenefizium und wird Schlossbenefiziat. In seiner Autobiographie von 1898, in der er von sich immer in der dritten Person redet, als schaue Schlicht sich selber zu, berichtet er über die damaligen Vorgänge:

„Nach jenem Jahre stellte sich merkwürdigerweise auch bei ihm ein Fieber ein; allerdings nicht das Pfarrfieber; denn dieses durfte sich damals mit 20 Kaplanjahren erst einstellen, aber das Expositusfieber, und weil sich auch das mit 16 (Priester-) Jahren noch zu früh einstellte, so war es eigentlich nur ein Hausschlüsselfieber. Und den bot ihm, nachdem das Folium der Kuratpfründen noch zu allem und jedem den Kopf wiegte, das Benefizium von Steinach in reizendster Landlage in Niederbayern und aus königlichem Patronat“.

In Steinach erwartete Schlicht – so Rupert Sigl in „Josef Schlicht – Der rechte treue Baiernspiegel“, im Folgenden „Sigl/Baiernspiegel“ genannt – eine Sinekure (Anm. = eine einfache Arbeit) für sein Werk, das viel freie Zeit als Preis verlangte, zumal er ein langsamer Schreiber war. Er brauchte eine lange Anlaufzeit, um „hoaß zu werden“; dann erst begann die Sprache mit ihm zu spielen und zu flirten, die Einfälle, die erst nur tröpfelten, fingen dann zu nieseln, zu rieseln, zu rinnen, zu gießen und niederzuprasseln an, um plötzlich wie blind herumzutasten nach einem bestimmten Ausdruck, den er ahnte, aber nicht fand. So musste er jedes Blatt immer wieder neu schreiben, bis er „abbellte“ wie ein Hund. Darum sind seine Seiten, die uns erhalten blieben, ohne jede Korrektur.

Nicht zu klären ist es nach Sigl, wie Schlicht auf Steinach verfiel. Sigl vermutet, dass sein Vorgänger Franz Xaver Leonhard über Georg Schießl die Fäden knüpfte. „Am 24. August 1871 um Steinach beworben“, notiert er in seinem Taschenbuch. Am 27. August setzte ihn der Steinacher Schlossbesitzer Eduard von Berchem-Königsfeld in Kenntnis, „dass das Benefizium erledigt wird – im Fall Sie zu einer Besprechung kommen wollen“.

Am 13. Oktober meint Berchem-Königsfeld, die Sache sei im Ministerium. „Man hat Sie meinem Wunsch gemäß primo loco vorgeschlagen. Der Referent meint, der Minister wird dabei bleiben. Wenn der also keinen Strich dazwischen macht, wären alle Chancen für Sie, und ich glaube, Sie können sich schon vorbereiten, im Erinnerungsfall recht bald zu kommen, da es meiner Frau beschwerlich ist, in die Pfarrkirche zu gehen“. Im Vertrauen verriet er Schlicht, dass er allgemein getadelt werde, weil er einen so jungen Herrn wünschte. Am 15. November wurde Schlicht als Schlossbenefiziat in sein Amt eingeführt.

Eduard von Berchem-Königsfeld, dessen Mutter eine Gräfin von Königsfeld war, hatte 1839 das Schloss Steinach gekauft und 1860 den Adelstitel „von Berchem-Königsfeld“ verliehen bekommen. Auch seine Frau Natalie, eine geborene Gräfin von Deym zu Arnstorf, rechtfertigte diesen neuen Titel, war doch ihre Mutter Josefine eine Gräfin von Königsfeld. Der neue Schlossherr machte den beiden Berchem-Linien, der gräflichen wie der freiherrlichen, alle Ehre. Er konnte das Schlossgut Steinach auf 1 450 Tagwerk vergrößern.

 

Eduard von Berchem

Eduard Freiherr von Berchem-Königsfeld
Bild: Familie von Berchem

 

Schlicht wohnte im Benefiziatenhaus, in der Nähe der Pfarrkirche, las am Morgen in der Schlosskapelle die Messe um halb acht Uhr und im Sommer sogar um halb sieben. Zum Widdum gehörten zu Schlichts Zeiten 45 Tagwerk, davon allein 34 Tagwerk Holz, das wenig abwarf. Die Warterische Inkuratspfründe, wie sie richtig hieß, war eine „Arbeitspfründe bescheidensten Anspruchs“, sagt er selbst, der 42. Schlosskaplan.

 

 

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vorne das Benefiziatenhaus mit Stadel und großem Garten
 
aufgenommen ca. 1956
Bild: Archiv für Heimatgeschichte Steinach

 

Zum ersten Mal musste er sich einen eigenen Haushalt einrichten und obendrein die Dächer auf Haus und Stadel sowie den Zaun erneuern lassen und einen Brunnen graben.

Seitenweise notiert Schlicht alle Anschaffungen und Preise. Sein Schreibtisch allein schon verschlang 40 fl. und ein zweiter 19 fl. Die Aufzählung der Fenster verrät, wie das Haus bewohnt wurde:

„3 im unteren Wohnzimmer, detto im oberen, 1 in der Speise, 1 in der Küche, 2 im Fremdenzimmer, 1 in Köchinzimmer, 2 im Schlafzimmer“.
Im Obergeschoss brauchte er acht neue Fensterstöcke. Küche und Flur wurden gefliest, die Dachrinnen erneuert.
Seine Wohnung stattete Schlicht sehr einfach, aber geschmackvoll aus, berichten die Freunde und Besucher. Unvorstellbar einfach für unsere Begriffe: ein Rohrsessel, vier Bettstellen, eine Uhr, zwei Spucknäpfe, sechs Sesseln, vier Tische und eine Kommode und was sonst nötig ist, Waschtisch, Schirmständer, Vorhangstangen. Die 231 Gulden vom ersten Jahre reichten keineswegs. Er musste seine Ersparnisse aus seiner Kaplanszeit dazulegen.

 

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Das Benefiziatenhaus - Schlichts Wohnhaus - aufgenommen um 1910
Vor allem Fenstern hatte der Blumenliebhaber rote Geranien
Bild: Archiv für Heimatgeschichte Steinach

 

Entscheidend war für ihn jetzt, seine Freiheit voll auszunutzen. Nach der Messe nahm er das Frühstück zu sich, das aus einer „saueren Suppe“ mit Bratkartoffeln bestand, genau wie daheim in Geroldshausen. Die „Hirgstmilch“ wurde für den Winter in einen Zuber geschüttet und aufbewahrt und dann mit Mehl und Wasser aufgekocht. Nie in seinem Leben, berichten uns seine Freunde Ludwig Niggl, Dr. Höpfl und Eduard Stemplinger, habe er Kaffee oder Tee angerührt, noch habe er geraucht, ebenso verschmähte er Wein. Nur das „hupfad Wasser“, wie er den Sekt nannte, schätzte er über alles.

 

 

Schlichts Tagesablauf

Zuerst zelebrierte er, wie oben dargestellt, den Gottesdienst in der Schlosskapelle. Nach dem Frühstück ging es ans Studium bis 11 Uhr. Danach nahm er ein einfaches Mittagessen ein, das ihm immer ausgezeichnet schmeckte. Nachmittags machte er bei jedem Wetter einen ausgiebigen Spaziergang, wobei ihn stets seine zwei kleinen Hunde, Schnackerl und Dantscher, einer hässlicher wie der andere, begleiteten. Er liebte weite Märsche, besonders nach Saulburg und Falkenfels. Hier traf er meist Gesellschaft. Nach einem gemütlichen Spiel und gestärkt durch einige Gläser Bier, trat er den Heimweg an. Nachmittags aß er zu seinem Bier etwas Brot mit Schinken, ein Abendessen nahm er nie ein.

 

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Josef Schlicht bei einem Kartenspiel in Saulburg in geselliger Runde
Zweiter von links Bierbrauer Widmann, rechts neben ihm Josef Schlicht
Bild: Archiv für Heimatgeschichte Steinach

 

In seinem 55 Dezimal großen Garten stand eine mächtige Haselnussstaude, auf der er sich eigenhändig Tisch und Bank zimmerte, um in luftiger Höhe dem Gesang der Vögel lauschen zu können. „Ohne Vöglein wär’s tot auf der Erde“. Hier in diesem Nest brütete er über seinen Einfällen, studierte und schrieb er, lebte ganz für sich.

Nur wenige Eingeweihte wussten von seiner wandlosen Studierstube in luftiger Höhe. Auch Niggl, sein Duzfreund, bekennt, dort oben habe er mit ihm so manche Stunde philosophiert. Da der „Beni“ (= Benefiziat) Blumen liebte, vor allem wildwachsende war der Blumenschmuck in der Wohnung für ihn das Schönste. Höchstpersönlich erbettelte er sich den Taubendünger für die roten Geranien an sämtlichen Fenstern. Niggl, der erst 1904 als Gutsverwalter nach Steinach kam und daher seinen ersten „Hausbesen“ nicht kannte, rühmt, dass sein dienstbarer Geist das Haus trefflich versah und vorbildlich imstande hielt.

Bei der ersten Wahl seiner Köchin hatte er nämlich eine Niete gezogen. „Mehr einem sündflutlichen Drachen als einer holden Küchenfee“ gleich, machte sie ihm das Leben zur Hölle, berichtet Höpfl. Als sie endlich starb und man ihn fragte, warum er sie bei solchen Verhältnissen nicht schon längst abgedankt habe, meinte er trocken: „Ich habe geglaubt, es ist eine wie die andere“.

Schlicht muss also auch mit den früheren Pfarrerköchinnen nicht sehr erfreuliche Erfahrungen gemacht haben. „Menschen, die am Morgen vor lauter Liab unsan Hergott vom Kreuz reißen möchten und am Nachmittag sich schlecht benehmen, die mag i net“, urteilte Schlicht über Betschwestern und Pharisäer. Dagegen liebte er besonders Menschen mit freiem Blick. Sein Urteil über die Mitmenschen offenbart uns auch seine Ansicht über seine Hündchen. “Schön san s’ net, aber treu. Und das ist die Hauptsache“. Als er einmal von Niggl gefragt wurde, warum er sich keinen Rassehund halte, erwiderte er: „Beim Hund ist es wie bei den Menschen. Das schöne G’schau macht’s nicht aus, sondern der Charakter“.

Schlicht störten vor allem die inoffiziellen gesellschaftlichen Verpflichtungen im Schloss, weil man in ihm nur den Salonlöwen und Unterhalter sehen wollte, vor allem dann, wenn die Schlossherrschaft Empfänge gab. Das ging ihm gegen den Strich. Er versteifte sich auf seine Amtspflichten, zu denen solche Dinge nicht gehörten. Ebenso setzte aber auch der Baron von Berchem-Königsfeld seinen Kopf durch. So wurden die täglichen Messen zum Streitobjekt.

 

 

Streit mit Schlossherrschaft und Bischöflichem Ordinariat

Freiherr von Berchem-Königsfeld verharrte auf dem Standpunkt, wenn der Benefiziat Messe lese, dann habe er sie in der Schlosskapelle St. Georg zu lesen. Schlicht aber, gestützt auf das Wissen seines Vorgängers Leonhard in Oberalteich wie von Pfarrer Pentner, „hielt sich für berechtigt, nach eigenem Gutdünken dort zu zelebrieren, wo er wollte, und war deswegen jederzeit bereit, seelsorgliche Aushilfe zu leisten, ohne seinen Patronatsherrn zu fragen“.

Er las jeden Sonntag pflichtgetreu im Schloss die Messe, auch wenn er dann zu einer Predigt bei einem Bruderschafts- oder Kirchweihfest fort musste. Und er hatte dazu drei triftige Gründe: Allzuoft, ehe der Streit begann, hatte er in der Schlosskapelle vor fast leeren Stühlen zelebriert. Noch entscheidender schien ihm aber, dass sich im Pfarrarchiv Unterlagen fanden, aus denen hervorging, dass der Kaplan am Montag und Samstag in der Friedhofskapelle, in der Schlosskapelle aber alle Mittwoch und Freitag die ewige Mess zu persolvieren hatte.

Solche Freiheit kam schließlich auch seinen Überzeugungen von seelsorglicher Pflicht und seinem Geldbeutel zugute; denn die Honorare für seine Artikel und Bücher läpperten sich nur sehr kleinweise zusammen. Für eine Schilderung der Weihnacht erhielt er rund sechs Gulden, der Artikel über den Seniorbauern brachte ihm zehn Gulden, einen Gulden brachte ihm eine Buchseite. Und wenn er auch für die Aushilfe beim Bruderschaftsfest nur drei Gulden bekam, die Pfarrer von Steinach und Münster waren ihm dankbar für seine Hilfe.

Als gütliche Auseinandersetzungen zu keinem Ziel führten, wandte sich Baron von Berchem-Königsfeld beschwerdeführend an die kirchliche Oberbehörde nach Regensburg. In ziemlich deutlicher und kräftiger Sprache erinnerte nun diese unseren Schlicht an seine Obliegenheiten in der Schlosskapelle und verbot ihm, anderswo als dort die Messe zu lesen ohne Zustimmung des Schlossherrn. Schlicht glaubte, das Ordinariat sei ihm feindlich gesinnt, aber zu Unrecht. Auch gegen den Adel war er nun verbittert.

Schlicht muss eine wahre Wut gepackt haben, nachdem das Ordinariat einseitig zugunsten des Schlossherrn entschieden hatte, ohne die Quellen zu prüfen; denn trotz der vielen Arbeit stürzte er sich nun in ein jahrelanges Studium der Urkunden, wie die Notizen in seinen Taschenbüchern zeigen. Sigl meint: „Seiner Rechtfertigung verdanken wir die ‚Geschichte von Steinach’, die er zunächst und zu Lebzeiten des Barons noch in den Unterhaltungsbeilagen des ‚Straubinger Tagblatts’, dann in den Verhandlungen des Historischen Vereins für Niederbayern und schließlich in gekürzter Form als Buch veröffentlichte“.

Schlichts Forschungen in den von ihm entdeckten Steinacher Schlossurkunden führten zu dem oben dargestellten Ergebnis über die Aufgaben des Schlossbenefiziaten. Schlicht hatte sich mit seinen vier Messen während der Woche haargenau an die Stiftung der ewigen Messe gehalten, nicht aber der Schlossherr und auch nicht das Ordinariat. Sigl meint, dass ohne dieses persönliche Interesse seiner Rechtfertigung der Impuls des Obristen Herwart von Bittenfeld zur Steinacher Geschichtsforschung im Sande verlaufen wäre.

Baron von Berchem-Königsfeld scheint sein Unrecht eingesehen zu haben. 1880 ließ er die Schlosskapelle „reich und kunstprächtig“ nach den Plänen von Domvikar Dengler restaurieren. Der Bischof selbst kam zur Neueinweihung.

 

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So dürfte die Schlosskapelle nach der Renovierung ausgesehen haben.
aufgenommen ca. 1920
Bild: Archiv für Heimatgeschichte Steinach


 

Schlicht und August von Schmieder

Der Besitzer des Puchhofs, Carl von Lang-Puchhof, erwarb Steinach für zwei Jahre. 1901 wurde dessen Freund und späterer Schwiegersohn Dr. August von Schmieder Eigentümer des Steinacher Schlossguts. Damit brach – nach Sigl – für Schlicht, Schloss und Gut eine glücklichere Epoche an; denn mit dem neuen evangelischen Schlossherrn lebte Schlicht in bestem Einvernehmen, was nicht zuletzt auch ein Verdienst des Gutsverwalters Ludwig Niggl war. „Dr. von Schmieder ließ seinem Schlossbenefiziaten das, was er brauchte, volle Freiheit und Unabhängigkeit; das oben erwähnte Verbot des Ordinariats kam in Wegfall“.

 

 

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Dr. August von Schmieder - Er schätze Josef Schlicht in besonderem Maße und gewährte ihm viele Freiheiten für sein Schaffen.
Bild: Archiv für Heimatgeschichte Steinach

 

 

Schlicht sorgte auch für unfreiwilligen Humor, wenn er z.B. zu den großen Soireen im Schloss nur im Überzieher erschien. Als ihn die Schlossherrin Mary von Schmieder-Lang aufforderte, seinen Überzieher abzulegen, meinte er ganz betroffen, man sei doch hier nicht auf der Kegelbahn; man könnte also nicht in Hemdsärmeln sitzen.
So wie er sich einen neuen Frack sparte, so kam er ein andermal in Gummischuhen, weil diese seiner Ansicht nach am besten zu den glänzenden Lackschuhen der übrigen vornehmen Gäste passten.

 

 

Schlichts politische Einstellung

Schlicht stand anfangs wohl dem Bayerischen Bauernbund nahe. Dr. Höpfl leitet dies aus den Unzuträglichkeiten mit Baron von Berchem-Königsfeld ab, die bei Schlicht zu einer „Verbitterung gegen den Adel“ führte. Doch stand Schlicht nach Sigl mehr auf der Seite der Patrioten.

Vom Bauernbund zog er sich wegen der „proletarischen“ Haltung des Bauernbündlers Wieland zurück.

 

 

"Bua, jetzt san d'Wagscheitl brocha..."

Pfarrer Josef Weigert, der eine „Religiöse Volkskunde“ verfasste, bat 1916 Josef Schlicht um eine volkskundliche Rezension, was dieser aber aus gesundheitlichen Gründen ablehnte: „…und dabei noch ein Altersleiden am Gallenstein mit zeitweisen Ausbrüchen. Erst gestern in der Freitagsnacht wieder! Ich kuriere mich selber mit einfachsten Naturmitteln und fahre dabei am besten. Zuvor tüchtiges Ausleeren des bereits grawelnden, weil übergalligen Magens … dann Eintreten des Schüttelfiebers, dann reichlichster Schweißausbruch und dabei bis jetzt noch immer die mächtig rasche Verdampfung des zwar unangenehmem, aber alterserträglichen Leberschoppers, genannt Gallenstein“.

 

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Etwas enttäuscht über die Aufnahme seines Werks beim Publikum sinniert der alternde Schlicht resignierend in seiner Antwort an Josef Weigert: „Ich wollte nichts anderes, als den Bauern in Altbayern allein eine Freude bereiten. Und wie haben sie mir das vergolten? Verstanden haben sie es nicht, ja sogar mit Dummheit und Bosheit einen Ehrenbeleidigungsprozess auf den Hals mir gebracht, mit welchem sie zum Glück bei Gericht abgefahren sind.

Erst über die Grenze Altbayerns, im protestantischen Mittelbaden, am meisten im katholischen Westfalen und wieder im protestantischen Niedersachsen bis nach Bremen hinauf, wurde ich mit Freude und Liebe gelesen, was ich gar nicht beabsichtigte und am allerwenigsten hoffte. Freilich, verstanden haben mich diese Leser ebenfalls nicht, aber ja nicht etwa aus Dummheit, durchmischt mit Bosheit, wie bei uns, sondern ganz allein wegen der Mundartschwierigkeit“.

 Zum „Ehrenbeleidigungsprozess“ ist Folgendes zu bemerken: Die Schilderung eines Erlebnisses hätte Schlicht fast vor den Richter gebracht. Es ist die Geschichte vom „Krugelfuchs“. Als das Buch mit der Erzählung über diesen Menschen zum ersten Mal erschien, lebte dieser noch, er erfuhr davon und eilte zum Advokaten. Schlicht, dem auf die Zuschrift des Rechtsanwalts schwül wurde, sammelte bereits Zeugen für die Wahrheit seiner Erzählung, erhielt aber vom Gericht die Mitteilung, dass die Klage wegen Verjährung abgewiesen sei.

Josef Weigert fragte nun bei Schlicht an, ob ihm sein Besuch in nächster Zeit angenehm sei. Schlicht antwortete auf einer Karte vom 28. Februar 1917: „Wählen Sie nur den Tag aus! Ich bin immer zu Hause. Und dann wird es mit der Zwiesprache schon gehen! Schlicht“.

Es wurde dann leider doch nichts daraus. Ein Brief seines Neffen vom 13. April 1917 teilte Weigert nur mit: „Herr Benefiziat, geistlicher Rat Schlicht, ist zur Zeit krank und schwach und daher nicht in der Lage, Ihre interessante Arbeit … durchzusehen … Sein Leberleiden setzt ihm in letzter Zeit sehr zu; er nimmt schon fast 14 Tage gar keine Nahrung mehr, nur etwas Wasser mit Fruchtsaft. Wollen hoffen, dass der geistliche Rat sich wieder herausreißt – aber wie Gott will!“

 

Noch an seinem Sterbebett wurde deutlich, woraus Josef Schlicht sein ganzes Leben lang schöpfte wie kaum ein anderer. Als sich am 18. April 1917 der Bischöflich Geistliche Rat Josef Schlicht im Alter von 85 Jahren mit den Worten „Bua, jetzt san d’Wagscheitl brocha“ von seinem Freund Niggl und von dieser Welt verabschiedete, starb mit ihm nicht nur ein urwüchsiger Seelsorger, sondern auch ein Klassiker der bayerischen Volkskunde.

 

 

 

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Schlichts ursprüngliche Grabstelle auf dem Steinacher Friedhof
Bild: Archiv für Heimatgeschichte Steinach

 

 

 

 

Schlichts volkskundliches Werk

 

Schlichts Erzählungen kamen so gut an, dass auch andere Zeitungen und Zeitschriften Interesse zeigten. Mit den Artikeln in Straubing erschienen Beiträge im „Augsburger Sonntagsblatt“, später (1879 – 1887) im „Schreibkalender“ von Passau, in den „Oberpfälzer Blättern“, im Landshuter „Schreibkalender“ und sogar im Bremer „Nordwest“.
Weitere Beiträge veröffentlichte Schlicht im „Cäcilienkalender“ und in der „Niederbayerischen Monatsschrift“.

Die Artikel, die im „Straubinger Tagblatt“ und im „Augsburger Sonntagsblatt“ erschienen waren, fasste Schlicht zusammen zu dem Buch „Bayerisch Land und Bayerisch Volk“, das 1875 – also bereits in seiner Steinacher Zeit – auf den Markt kam. Es stand am Anfang einer Reihe von Schlicht-Publikationen, die sich in drei Bereiche einteilen lassen: geschichtliche Abhandlungen – Darstellungen des Bauern in Niederbayern – Theaterspiele. „Bayerisch Land und Bayerisch Volk“ wird bis heute als Schlichts gelungenstes Werk gelobt.

 

Weitere Publikationen Schlichts sind (in chronologischer Reihenfolge):

 

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Folgende Theaterspiele hat Josef Schlicht im Selbstverlag herausgegeben:

 

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 Die Theatergruppe zur Aufführung "Die Kletzenwabm sei' Friedl"
aufgeführt im Jahr 1910
(Archiv für Heimatgeschichte Steinach)

 

 

Josef Schlicht - ein "Klassiker der bayerischen Volkskunde"

„Josef Schlicht – Klassiker der bayerischen Volkskunde“ – die Lehrerin Franziska Hager formulierte im Jahr 1927 als Erste diese Aussage im „Chiemgau“, die in der Folgezeit von vielen übernommen und weiterentwickelt wurde.

Als Teilgebiete der Volkskunde kommen heute insbesondere in Betracht: Haus, Arbeit und Gerät, Volkskunst und Realien, Kleidung und Tracht, Keramik, Möbel, Hinterglasbilder, Imagerie (d.h. in fabrikmäßiger Massenproduktion hergestellte Bilder jeder Art), Nahrung, Volksmedizin, Aberglaube, Volksfrömmigkeit, Brauchtum und Fest, Volksschauspiel, Volksmusik, Volkserzählungen, volkstümliche Lesestoffe, Soziales und Recht.

Schlichts Veröffentlichungen sind dabei den Volkserzählungen und den volkstümlichen Lesestoffen zuzuordnen. Mit dichterischer Sprachkraft ließ er Alltagspointen zur Volkspoesie geraten (Stefan Mohr). Schlicht hat seine Aufsätze und Bücher nicht für Gelehrte geschrieben. Sein Werk, wie er selbst sagt, „soll und will sein der ‚rechte treue Baiernspiegel’, aus dem das Volk herausschaut, wie es gestalten – wirklich lebt und leibt“.

Schon Martin Greif, der Schlichts Leistung für die Volkskunde der des unsterblichen Aventin auf dem Gebiet der Geschichte gleich stellte, riet: „Wer das altbayerische Volk kennenlernen will, wie es leibt und lebt, glaubt und liebt, freit und stirbt, der muss Schlicht lesen“.

Bis heute ist Schlichts Werk als Selbstdarstellung der bayerischen Seele unübertroffen. Kein Volk kann einen gleichwertigen Charakterspiegel von „kollektiver Gültigkeit“ aufweisen wie der bayerische Stamm (Rupert Sigl).

 

 

Schlicht als Heimatforscher und Historiker

 

Es muss ein unbeschreibliches Erfolgserlebnis für Josef Schlicht gewesen sein, als er am 9. Dezember 1878 nach langem Suchen in einem verstaubten Schrank im „Federnkammerl“ des Bauhauses das Steinacher Schlossarchiv entdeckte. Kurz zuvor hatte die Familienforschung den königlich-preußischen Oberst Hans Herwart von Bittenfeld nach Schloss Steinach geführt und er hat wohl den Steinacher Schlossbenefiziaten für die Geschichtsforschung begeistert.

Schlicht wertete nun systematisch die gefundenen Urkunden des Schlossarchivs und noch weitere hinzuerworbene aus, schrieb sie häufig vollständig ab und veröffentlichte seine Forschungsergebnisse in den Unterhaltungsbeilagen des „Straubinger Tagblatts“ der Jahre 1881 bis 1883 unter dem Titel „Steinach. Ein niederbayerisches Geschichtsbild von Joseph Schlicht“.

Schlichts 200-seitiges Manuskript wurde der Gemeinde Steinach im Jahr 2000 günstig zum Kauf angeboten und gehört heute zu den archivalischen und kulturellen Schätzen unserer Gemeinde. Manuskript und Unterhaltungsbeilage enthalten jedoch – entgegen der Überschrift – nur die Darstellung des Edelsitzes und der Pfarrei. Dorfschaft, Schlosskaplanei (Benefizium) und Schule sollten erst später dargestellt werden.

 

 

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Seite aus dem Manuskript von Josef Schlicht mit Steinacher Geschichtsquellen für die
Unterhaltungsbeilagen des „Straubinger Tagblatts“, erschienen 1881 – 1883
(Archiv für Heimatgeschichte Steinach)

 

 

 

In den Jahresberichten des Historischen Vereins für Niederbayern in Landshut veröffentlichte Schlicht 1886 eine Kurzfassung der Unterhaltungsbeilagen, jedoch ergänzt um Benefizium, Schule und Dorf unter dem Titel „Steinach und dessen Besitzer“. Auch der Aufsatz „Zwei Herrschaften in Steinach“, veröffentlicht von Josef Schlicht in den Verhandlungen des Historischen Vereins für Straubing und Umgebung, Bd 7/1904, ist hier zu nennen.

1908 brachte Schlicht bei Attenkofer in Straubing das Buch „Die Geschichte von Steinach“ heraus, wobei er die weitere Entwicklung von Steinach bis zum Zeitpunkt der Herausgabe des Buches darstellte (z.B. auch den Bau des Neuen Schlosses), vieles aus den obigen Veröffentlichungen übernahm und ergänzte, manch Interessantes aber (z.B. die holländische Windmühle auf dem Kellerberg) aus Platzgründen wegließ.

„Die bündige Wahrheit“ nannte es Schlicht, als Abt Benedikt Braunmüller an seiner „Geschichte von Steinach“ „zu wenig wissenschaftliche Form“ fand. Und in der Tat, es fehlen wissenschaftliche Anmerkungen und Quellennachweise in dem Buch. Das Werk ist jedoch im Zusammenhang mit den Unterhaltungsbeilagen und dem wissenschaftlichen Aufsatz „Steinach und dessen Besitzer“ zu sehen. Dort sind im Text die Fundstellen angeführt, die Schlicht verwendet hat, insbesondere das später leider versehentlich verbrannte Steinacher Schlossarchiv. Der Steinacher Pfarrer Gerhard Mass ließ 1996 anlässlich der Primiz von Stefan Altschäffl einen Nachdruck der „Geschichte von Steinach“ in einem verkleinerten Format fertigen.

„Saulburg und seine Geschichte“ lautet ein Aufsatz von Josef Schlicht, den er im Jahresbericht des Historischen Vereins für Straubing und Umgebung im Bd. 3/1900 veröffentlicht hat.

 

Sein Buch „Niederbayern in Land, Geschichte und Volk“ ist die erste Monographie des bayerischen Unterlandes und sollte ein Pendant zum „Rheinhardstötter“ werden. In 34 Abschnitten behandelt das „Buch für Stadt und Land“ die Vorstufen, auf denen das Leben der Gegenwart erblüht. Richtig erkannte Schlicht die lange umstrittene Herkunft der Baiern: „Es waren mehrere Mischvölker, die sich früh und leicht zu einem einzigen Staatsvolke verschmolzen …. Die Bajuwaren bildeten den führenden Oberstamm“. Diese These des Mischvolks bestätigten die archäologischen Ausgrabungen im letzten Quartal des 20. Jahrhunderts, vor allem das Gräberfeld in Straubing, Bajuwarenstraße.

Der Stoff, den Schlicht bewältigen wollte, ist viel zu umfangreich, um auf 250 Seiten historisch entwickelt zu werden. Nach Rupert Sigl begnügt sich Schlicht sowohl bei seiner Geschichte von Steinach wie auch in seiner Geschichte von Niederbayern, damit, die Urkunden zu sammeln. In „Niederbayern in Land, Geschichte und Volk“ übernahm er die Forschungsergebnisse, wenn auch zumeist von zuverlässigen Forschern, und reihte sie ohne innere Kritik zu einem Mosaik zusammen. Dieser Versuch ist, wie auch Dr. Höpfl schon betonte, „nicht ganz gelungen“.In dem Buch erscheint auch eine Autobiographie von Schlicht selbst, auf die in der vorliegenden Arbeit immer wieder zurückgegriffen wird.

 

Mehr als zwölf Jahre betrieb Schlicht gezielte Geschichtsforschung, selbst in den Ferien, mühsam und unermüdlich in den weithin verstreuten Quellen und wälzte nebenbei, wie seine Notizen belegen, unzählige Arbeiten über bayerische Geschichte durch, um gelegentlich Rückschlüsse auf niederbayerische Verhältnisse zu ziehen. Ungedruckt blieb seine Arbeit über die „Kaiserkrone im Haus Wittelsbach“, die vom Verleger als „viel zu voluminös“ bezeichnet wurde, da „sie schon für sich fast ein kleines Buch bildet“. Nach Sigl scheint das Manuskript in unbekannte Hände gekommen zu sein.

Sigl bedauert Schlichts historisches Schaffen, denn dadurch sei die schöpferische Quelle verschüttet worden: „Er hat mindestens zwölf Jahre seines Schaffens an die Geschichtsforschung verschwendet, und darunter wurde seine schöpferische Quelle verschüttet …. Angesichts der Freiheit, die ihm die Herrschaft (Anm.: August von Schmieder) schenkte, ist es erstaunlich, wie wenige Geschichten er noch schreibt, obwohl sein Benefizium jetzt praktisch zu einer Sinekure geworden war und er bei den vielen Aushilfen ringsum viel neuen Stoff erfährt“.

 

 

Ehrungen für Josef Schlicht zu seinen Lebzeiten

 

In seinem 1908 erschienenen Buch „Die Geschichte von Steinach“ widmet Schlicht einen längeren Abschnitt auch dem „Benefizium Steinach“ und den verschiedenen Schlossbenefiziaten, damit auch seiner eigenen Person. Er geht auch auf die Ehrungen ein, die ihm bis dahin in Steinach zuteil wurden:

„Die Zeit in Steinach beschied ihm 2 Gedenktage. Das 50. Jahr seiner Ordination am 16. August 1906. Diesen Gedenktag gestaltete August von Schmieder für den Geistlichen in seiner Schlosskapelle zu einer vornehmen Festlichkeit. Nach der Kirchenfeier in der Sankt Georgskapelle war patronatsherrliche Festtafel in der Schlosshalle. Bei dieser umsaßen den Schlossherrn alle Gäste: Benefiziat Josef Schlicht von Steinach, Ökonomierat und Oberverwalter August Kuchenmeister von Puchhof, Verwalter Ludwig Niggl von Steinach, Kgl. Geistl. Rat und Anstaltspfarrer Josef Schneeweis und Klosterbeichtvater Georg Aichinger, beide von Straubing, Karmelitenpater Gerhard Wieselhuber von Sossau, Erzieher Dr. Isidor Feist aus Aschach an der Donau in Oberösterreich, die Pfarrer Johann Eichschmid von Parkstetten, Albert Lang von Steinach, Josef Hüttinger von Mitterfels, Adolf Stauber von Münster und Franz Hiendlmaier von Kirchroth, Benefiziumsverweser Max Plötz von Pilgramsberg, Sazellan Nikolaus Lechner von Falkenfels“.

Auf die Glückwünsche und ehrenden Zuschriften zu seinem 50-jährigen Priesterjubiläum antwortete Schlicht in der Zeitung:

 

„Wie nur so ein alter Tag solchen Rummel stiften mag!
Soviel Glückwünsch’, ernstlich, scherzlich,
Lieb und redlich, warm und herzlich,
Fast als wie ein Wolkenbruch
Für das bisschen Bayernbuch!
Frische Jahre, flotte Feder,
Neidlos, edel gönnt mir’s jeder,
Mündlich, brieflich, recht und treu,
Gar kein Falscher ist dabei!
Müßt’ zum Dank für all die Dinger
Stumpf mir schreiben meine Finger,
Heiser reden mich nicht bloß,
Nein – schon mehr noch, atemlos.
Für so was hat Riesenzunge,
Monsterstift und Juchtenlunge
Nur die Presse ganz allein.
Einzig der verbleib ich’s ein:
Spend Euch Gott wie mir das gleiche,
Eins nur nicht – die Klauenseuche!"

                                  Steinach, 5. August 1906 Schlicht

 

 

Eine ganz besondere Ehrung erfuhr Schlicht ein Jahr darauf. Er schreibt darüber:
„Dem folgte am 13. Jänner 1907 das 50. Jahr seines öffentlichen Dienstantritts. Bei diesem Gedenktag erschien zu Steinach der Kgl. Bezirksamtmann Crusilla von Straubing und dekorierte den Benefiziaten mit der Ehrenmünze vom Kgl. Bayer. Ludwigsorden in Anwesenheit des Pfarramts, der Lehrerschaft, der beiden Verwaltungen von Gemeinde und Kirche und der Gutsverwaltung. Die Glückwünsche der Patronatsherrschaft trug der Fernsprecher aus dem Wintersitz in München nach Steinach“.

Ein Höhepunkt der kirchlichen Ehrungen war auch die Ernennung zum Bischöfl. Geistl. Rat im Jahr 1911.

Sogar vom König höchstpersönlich erhielt Josef Schlicht eine hohe Auszeichnung. Als am 10. Juli 1914 der bayerische König Ludwig III. Straubing besuchte, wurde Schlicht in den Rathaussaal befohlen. Hier erhielt Josef Schlicht den Michaelsorden IV. Klasse mit der Krone – in Silber – überreicht. Nichts ahnend war er gerade ganz ins Schauen vertieft – besonders interessierten ihn die Prinzessinnen -, als der König vor ihm stand, ohne dass er es bemerkte. „Hochwürden, nehmen Sie nur, er gehört schon Ihnen“. Mit diesen Worten musste ihn der König erst auf seine Person und auf die Auszeichnung, die ihm zugedacht war, aufmerksam machen, berichten uns L. Niggl und S. Höpfl.

 

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 Landesökonomierat Ludwig Niggl (1875 – 1971) – Nestor der deutschen Grünlandwirtschaft und Duz-Freund von Josef Schlicht
Bild: Archiv für Heimatgeschichte Steinach

 

 

 

Die Würdigung Schlichts in der heutigen Zeit

Schlicht wird in den 60er und 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts mehr und mehr zu einer Institution, er wird zu einem Begriff, d e r Schlicht, mit dem die Leute etwas anfangen können (Wax/Volksleben, 66). Schlicht findet in allen allgemeinen Büchern über den Landkreis Straubing-Bogen oder über Niederbayern Erwähnung.

 1956 wurde ihm zu Ehren in der Steinacher Pfarrkirche eine bronzene Josef-Schlicht-Gedenktafel enthüllt, über jener Stelle, an welcher sich früher sein Grab befand. Die Tafel wurde von Studienrat F. Lankes entworfen. Oberlehrer O. Döring nahm die Enthüllung vor. Er gehörte mit Oberstadtschulrat Oberneder neben anderen zu den Initiatoren dieser Gedenktafel.

 

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Oberlehrer Döring hält am 13. Mai 1956 die Gedenkrede bei der Enthüllung der Gedenktafel von Joseph Schlicht
Bild: Archiv für Heimatgeschichte Steinach

 

 

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Schlichts Grabmal in der Stenacher Pfarrkirche St. Michael
geschaffen von Franz Lankes
(Bild: Albert Lindmeier)

 

Die Tafel enthält neben einer Abbildung Schlichts folgende Zeilen:

 

 

GEISTLICHER RAT
JOSEPH SCHLICHT
*18.III.1832 +18.IV.1917


WIE KEINER KANNTE, LIEBTE UND SCHILDERTE ER
DAS ALTBAYERISCHE BAUERNLAND

 

 

1960 wird die Grundschule in Steinach nach Schlicht benannt. Ebenso erhalten in der Umgebung von Straubing, aber auch in München, Geroldshausen und anderswo, Straßen den Namen Schlichts. Seit 1977 wird die „Josef-Schlicht-Medaille“, an Personen verliehen, die sich um Heimat, Kultur und Brauchtum im Landkreis Straubing-Bogen verdient gemacht haben.

Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre des vorigen Jahrhunderts fand Schlicht zunehmend Aufnahme in wissenschaftlichen Schriften und allgemeinen Sammlungen bayerischer Autoren. Schlicht findet auch in Radiosendungen Erwähnung, so z.B. durch Rattelmüller in der Sendung „Boarischer Hoagascht“. Die Zunahme von Schlicht-Verweisen hängt nach Wax nicht zuletzt mit Bemühungen von Dr. Rupert Sigl zusammen, auf welche nachstehend näher eingegangen wird.

 

 

Gedenktafel für Josef Schlicht am ehemaligen Benefiziatenhaus

In der Ausgabe vom 28. April 1992 berichtete das „Straubinger Tagblatt“ unter der Überschrift „Steinach ehrt mit Bronzetafel Josef Schlicht“ Folgendes:

„Mit einem Festtag gedachte auf Einladung des Kulturkreises Josef Schlicht eine große Freundesschar des 75. Todestag des Klassikers der bayerischen Volkskunde, des Steinacher Schlossbenefiziaten und Kenners und Schilderers des bayerischen Bauernlebens der Jahrhundertwende. Zum Gottesdienst hatte der Musikverein Steinach-Münster mit seinem Singkreis und seinen Bläsern eine Auswahl von Liedern und Instrumentalstücken getroffen, die so recht in den Geschmack der bayerischen Seele trifft. In seiner Begrüßung stellte Ortspfarrer Gerhard Mass seine Mitbrüder vor, zum einen BGR Ludwig Dotzler, auf dessen Anregung hin der Schlichtgedanke zustande kam, dann Dr. Karl Hausberger, Professor für Kirchengeschichte des Donauraumes, welcher schließlich die Predigt hielt“.

 

Im Rahmen eines Festaktes wurde an dem in vorbildlicher Weise von seinen jetzigen Besitzern, Prof. Dr. Thomas und Ursula Grundler, sanierten Wohn- und Sterbehaus des Benefiziaten Josef Schlicht eine Erinnerungstafel enthüllt. Die vom ehemaligen Steinacher Pfarrer Ludwig Dotzler gestiftete und von dem Straubinger Künstler Walter Veit-Dirscherl entworfene Bronzetafel wurde vom Vorsitzenden des Kulturkreises Karl Penzkofer vorgestellt. Sie trägt folgende Inschrift: „Hier lebte und starb Josef Schlicht, Schlossbenefiziat von Steinach, 1871 – 1917“. Der Stifter BGR Ludwig Dotzler führte aus: „Diese Gedenktafel drückt in ihrer ehernen Art die Wertschätzung aus, welche dem Steinacher Schlossbenefiziaten in seinem Heimatort entgegengebracht wird“. Der Volkskundler Professor Dr. Walter Hartinger sprach im Anschluss an die Feier zu dem Thema „Probleme einer geistigen Dorferneuerung“.

 

 

 

 

Dr. Rupert Sigl - ein großer Schlicht-Kenner

 

Zwei Autoren haben sich bisher mit Josef Schlicht und seinem Werk am intensivsten befasst: Dr. Rupert Sigl und Johann Wax.

 

Dr. Rupert Sigl, einst Kulturredakteur am „Straubinger Tagblatt“, hat sich eingehend mit Schlicht beschäftigt und ist der große Schlichtkenner schlechthin. Sein halbes Leben hat er sich mit Leben und Werk von Josef Schlicht befasst. Von besonderer Bedeutung für die Schlicht-Forschung ist die Biographie, für die er auch Quellen aus dem ihm gehörenden Schlicht-Nachlass verwendete: „Josef Schlicht - Der rechte treue Baiernspiegel – Eine Einführung in Leben und Werk des Klassikers der bairischen Volkskunde“, Rosenheim 1982. Im ersten Teil seines Buches geht Sigl ein auf Heimat und Kindheit, Jugend und Bildung, Schlichts Zeit als der „Kloa Herr“, d.h. Kooperator in Oberschneiding sowie auf den Schriftsteller. Den zweiten Teil widmet Sigl dem Dichter und Volkskundler sowie Schlichts Zeit- und Gesellschaftskritik und Schlichts Nachleben. In zahlreichen Artikeln in Büchern, Zeitungen, Zeitschriften und Kalendern hat Sigl das Werk des Steinacher Schlossbenefiziaten Josef Schlicht dargestellt und gewürdigt. In dem von ihm herausgegebenen Buch „Blau Weiss in Schimpf und Ehr“ bringt er verschiedene Erzählungen von Josef Schlicht aus dessen Veröffentlichungen und aus dessen Nachlass einer breiten Öffentlichkeit zur Kenntnis.

Sigl geht auch auf Schlichts literarische Darstellungsweise ein: „Und all das und unendlich viel mehr hat der Schlossbenefiziat nicht in einer strohtrockenen Art wie ein Volkskundler geschildert, sondern eben ‚gestaltenwirklich’, erlebt. Und daran hängt heute unser großes Interesse, weil Schlicht Menschen, verliebte und leidende, Herren und Knechte, in ihrem Alltag darstellte, in ihrer Arbeit und Freude, in ihrer Krankheit und ihrem Übermut, kurz das ‚ganze Volksleben’“.

Den zweiten Teil seines Buches nennt Sigl „Der Dichter und Volkskundler“.

In mehreren Passagen weist Sigl darauf hin, dass Schlicht „mehr ein gestaltender Künstler“ ist. Die Sprache habe eine ungeheuere Bildkraft und Farbigkeit, vor der sich der Volkskundler wie farbenblind vorkommen müsse. Die bajuwarisch-barocke Überladung mit Verben habe nichts mehr mit der Wissenschaft vom Volke zu tun.

„Hier flirtet und spielt, tändelt und scherzt einer mit der Sprache, wie nur ein Verliebter es kann, der sich selbst nicht mehr kennt, sondern einfach von seinen Phantasien mitgerissen wird. Ecce poeta! Seht den Dichter am Werk, den gestaltenden Künstler, dem das ‚Bilde, Künstler ! Rede nicht !’ zum Schicksal geworden ist, ihn selbst übermächtigt hat“. Nach Sigl ist das Aneinanderreihen für Schlichts Stil charakteristisch. Es offenbart uns sein leidenschaftliches Spiel mit den Worten, um die Wirklichkeit des Lebens einfangen zu können. Wie mit den Verba versuchte er es auch mit Adjektiven und Substantiven: „Der Stadtprediger war der seine, dem er zweistundenweit zuruderte ‚durch Sonnenglut und Bärenkälte, Schneewehen und Glatteis, Staubwolken, Wetterblitz und Landschwemmen’“. Ein weiteres Beispiel führt Sigl an: „Der Lenz, der sich seinen Lieblingsschmaus in der Stadt gekauft hat, ihn aber ungenießbar findet, verliert seine heitere Laune, setzt sein entschlossenstes, pelzigstes, fuchtigstes, wildestes, grimmigstes Gesicht auf, richtet sich noch ein drittes und letztes Mal zum Zugreifen und schielt dabei in seine Mahlzeit hinein: ‚Kaffd hob öh döh; zoihd hob öh döh; und frößn duar öh döh jetzt schon ah, geht’s wöi’s mog’“.

Weiter führt Sigl aus:
„Ein sicheres Merkmal, an dem wir den Dichter erkennen können: Das Wort ist ihm keineswegs Hauptzweck. Die aufmerksamkeitheischenden Neuprägungen treten in seiner Schilderung so ganz ohne Zwang und unauffällig auf und beweisen, dass der Schriftsteller sie nicht einmal gesucht hat. Wieder ein Grund mehr, in ihm einen Dichter zu sehen, der an der Form nicht mühsam meistern muss. Darum kommt bei ihm auch der Stoff als solcher restlos zur Geltung. Und dieser Stoff ist immer der Mensch und nur der Mensch. Nicht, dass er achtlos an dem Zauber der Natur vorübergegangen wäre: manch ein kurz hingeworfenes Wort lässt uns ahnen, dass er gar gut zu lesen verstand im Buch der Schöpfung. Aber sein erstes und letztes Interesse gilt dem Menschen und allem was ihn seelisch bewegt“.

 

 

Die kritische Magister-Arbeit von Johann Wax - Versuch einer Rezension

 In jüngerer Zeit hat sich Johann Wax in seiner Magisterarbeit mit dem Thema „Die Darstellung des Volkslebens bei Joseph Schlicht und ihre Wirkungsgeschichte“, vorgelegt 1986 am Lehrstuhl für Volkskunde der Universität Regensburg, wissenschaftlich mit Josef Schlicht und seinem Werk auseinandergesetzt (im Folgenden zitiert: Wax , Schlicht/Volksleben).

Er beleuchtet in seiner sehr fundierten Arbeit kritisch Schlichts Werdegang vom Hüterjungen zum volkskundlichen Literaten. Wax gliedert seine Arbeit in zwei Teile. Im ersten Teil stellt er den Aussage- und Quellenwert von Schlichts Werk auf dem geistesgeschichtlichen und wirtschaftspolitischen Hintergrund des 19. Jahrhunderts vor. Der zweite Teil der Arbeit vermittelt den Rezeptionsstrang des Schlichtschen Werks. Dabei arbeitet er eine Interessensgruppe heraus, der die Schlicht-Forschung seiner Meinung nach von Beginn an ein Anliegen war, wobei er das wandelnde Interesse dieser Gruppe analysiert. Nach Schlichts Biographie, wendet sich Wax der Interpretation der Erzählungen Schlichts zu. Zur Interpretation zog er die Erzählungen „Der Blitz in die Grenzfichte“, „Die brave Plendlbäuerin“ und „Der ehrbare Seniorbauer“ heran.

Nach Wax gebraucht Schlicht einen ausgeprägten Adjektiv-Stil, dargestellt an Hand der Erzählung „Der Aumer von Gmünd“: „seebreite Donau“, „allernächster Nachbar“, „sauerstoffreicher tiefschattiger Konzerthain“. Durch solche Zusammensetzungen schaffe Schlicht oft assoziationsreiche Wortballungen, die durch Vergleiche und Bilder in ihrer Stimmungserzeugung noch unterstützt werden: „wie ein Laubeiland im Meer“, „wie ein versteinerter Strom“, „als schön geschnittener Kegelberg“. Verbindungen und Reihungen von Substantiven helfen nach Wax diese stereotyp überhöhte Landschaftbeschreibung zu untermalen: „Weizen-, Korn- und Gerstenfelder“. Mit der abschließenden Bezeichnung der Landschaft als „Paradies“ wird die religiöse Überhöhung der Welt, in der der Bauer lebt, deutlich. Die Stadt erscheine gegenüber der Landschaftsbeschreibung eindeutig im negativen Licht. Diese stadtfeindliche Haltung Schlichts sei latent vorhanden. Von „den neumodischen christentumslosen frechen Pflasterzeisigen“ und vom „gottfeindlichen Stadtvolk“ ist die Rede. Die bäuerliche Welt und die bäuerliche Hierarchie ist für Schlicht in Ordnung und wird für gut befunden. So stellt Schlicht die Sitzordnung im Wirtshaus durchaus positiv dar: Großbauer, Mittelbauer, Kleinbauer, Großsöldner, Mittelsöldner, Kleinsöldner, Gütler, Häusler und Leerhäusler sitzen getrennt voneinander auf den ersten fünf Tischen. Am sechsten Tisch endlich sitzen die durchziehenden Schnapsbrüder, Zigeuner, Schnallendrücker, Buttenträger, Gänstreiber, Mausfallenhändler, Bilderpritscher (=Jahrmarktshändler). Die Methoden, die Schlicht den Bauern – sollte die Hierarchie einmal gestört sein – zubilligt, um diese wieder herzustellen, tragen zum Teil menschenverachtende Züge. So verweist Wax auf die Erzählung „Der bayerische Oberknecht“; wo die Hofhierarchie durch Prügel aufrechterhalten wird.

Der Bauer steht nach Wax im Mittelpunkt von Schlichts Betrachtungen, vor allem der Großbauer. Charakterköpfe sind fester Bestandteil seiner Erzählungen. Dabei verwendet er gern die Attribute „brav, ehrenbrav, altbayerisch, blauweiß“. Nach Wax werden die Personen der Erzählung als religiöse Menschen dargestellt. Die Attribute für den „Seniorbauern“ veranschaulichen das: „echter katholischer Kernbayer“, „der ehrenbrave wie christlich-frohsinnige Senior“, „schneidiger Berufsernst und christliche Tatkraft“. Auch in der Leitung seines Hofes handelt der Bauer nach streng christlichen Grundsätzen: „Sein zahlreiches Untertanenvolk (…) nahm er sofort in gebührend strenge Christenordnung“, „in Hausandacht, Familienfrömmigkeit, Kircheneifer (…) war er den Seinigen allein ein lebendiges Vorbild und Beispiel“.

Zweck der Erzählungen liegt nach Wax klar in der Vorbildhaftigkeit der dargestellten Personen. Es handelt sich durchwegs um Moralgeschichten, die das Beispielhafte des Dargestellten vermitteln sollen (Wax, Schlicht/Volksleben, 25). Nach Wax beschränkt sich Schlichts Darstellung von Volksleben auf den Bauern. Dies lasse sich wiederum einschränken auf eine gehobene Schicht von Bauern, lediglich Groß- und Mittelbauern seien zur Darstellung gelangt. Andere soziale Dorfschichten fänden über Erwähnungen hinaus keine Beachtung. Soziale Spannungen seien kein Thema der Erzählungen. Es werde lediglich eine bäuerliche Idylle gezeigt. Wax verweist auf K.S. Kramer, der betont, dass dem „scharfen Beobachter Schlicht“ die widrigen Zeitumstände und die sich immer stärker andeutende Industrialisierung und Technisierung nicht verborgen bleiben konnten. Kramer kritisiere, dass Schlicht soziale Konflikte ausspare und den Wandel der Zeit, der gerade die Bauernschaft anging, nicht thematisierte. D. Bayer spreche von „Zwangsharmonisierung“. Dem Leser werde das Traumbild einer Wirklichkeit vorgegaukelt, die es gar nicht gebe. Nur das Schöne werde sichtbar; alles was wirklich, natürlich und darum auch einmal schwer oder unangenehm sein könnte, werde unterschlagen. Auch K.A. Mayer schließe sich dem an und betone, dass Schlicht viel von unsittlichen Zuständen in Bayern verschweige, dass er eine „mittelalterliche Insel“ schildere, die abgehoben sei von der realen Welt. Volksleben unterliege bei Schlicht einer starken Idealisierung. „ Wer idealisiert, verklärt die Wirklichkeit mit Werten, die ihr nicht entsprechen“. Nicht mehr der Bauer und seine Arbeit sind Gegenstand der Darstellung, „sondern die in die bäuerliche Welt projizierte Vorstellung des Dichters“.

Weiter führt Wax aus:
„Als wichtige Komponente, die Schlichts Bauern ausmacht, zeigt sich die Religion. Schlicht propagiert den christlich-katholischen Bauern …. Der Beruf des Bauern erscheint als göttliche Bestimmung. Wird dieser göttlichen Berufung gefolgt, ist der Erfolg im Leben und Beruf gesichert, anders nicht – so Schlicht. Die ausschließliche Darstellung von reichen Bauern scheint dies zu untermauern ….

Schlichts Volksleben stellt jedoch eine statische Welt dar, die keinen Bezug zur Gegenwart hat. Darin äußert sich ein stark konservativer Zug, eine „Obedienzgesinnung“, die letztlich konservative Kreise seiner Zeit unterstützten und nichts zur Lösung wirklicher Probleme des Bauernstandes beitrugen.

Soweit kann die Arbeit von Johann Wax als durchaus fundiert und gut recherchiert eingeordnet werden. Seine weiteren Thesen aber können nicht unwidersprochen hingenommen werden.

 

Josef Schlicht - Nazi-Vorläufer und Antisemit?

Johann Wax kommt auf Grund seiner Überlegungen zu weiteren bemerkenswerten Schlussfolgerungen und Behauptungen:

  1. „Das Volksleben unterliegt bei Schlicht einer starken Idealisierung (Wax, 31). Schlicht hat germanische Mythologie in sein Werk eingebracht. Das führt zu der Gleichung nordisch = germanisch = bäuerlich. Bauerntum und Bauernmythos werden hochgehalten (Wax, Schlicht/Volksleben 33,34). Schlicht ist mit dem Inhalt seiner Erzählungen zu dem Vorbereitungsstrang nationalsozialistischer Ideen zu zählen ….
    Die Analyse seiner Texte hat deutlich ergeben, dass sich von Schlicht vertretene Ideen … typisch für das 19. Jahrhundert waren, bei den Nazis wieder finden, dort eigentlich erst recht kultiviert werden“.

  2. „Auffallend antisemitische Haltung“?
    Wax führt auf S. 18 und 78 weiter aus:
    “Schlicht schildert normalerweise funktionierende Bauernwelt. Störer oder Feinde finden sich sowohl in der Hof- wie in der Dorfhierachie. Es sind ‚lässige Knechte’, ‚böse Dorfrangen’, ‚auswärtige Strolche’. Neben diesen Störern allgemeiner Art taucht auch der Jude als spezieller Gegner bäuerlichen Lebens auf. Schlicht schildert ihn ziemlich drastisch als geldbesitzenden Wuchere…. ‚Jude’ taucht oft in diffamierenden Zusammensetzungen auf: ‚Geldjuden’, ‚Judenschludbuch’ (Wax, Schlicht/Volksleben, 18)“.
    Weiter ergänzt Wax:
    “Darüber hinaus äußern sich in Schlichts Bauerndarstellungen pangermanische Ideen, die – mit einer auffallend antisemitischen Haltung gepaart – national–sozialistisches Gedankengut bereits vorwegnehmen“.

  3. Die Lehrerschaft als die Triebfeder der Schlicht-Verherrlichung.
    Die „Konservierung“ Schlichts durch die Lehrerschaft (Wax, Schlicht/Volksleben, 78 ff.) wird hingehend behandelt.
    Wax führt einleitend aus: „… die Ergebnisse von Heimatforschung sind dazu geeignet, Machtverhältnisse zu festigen“.
    Weitere Aussagen von Wax in Stichworten:
    “Über den Schulbereich wird hier zum Teil schon Kindern falsche Tradition als Identifikation angeboten“.

    “Von obrigkeitlicher Seite vereinnahmt hat die solcherart gepflegte Kultur unter anderem die Funktion, in der vernachlässigten Provinz, die ‚Jahr für Jahr die beifallsseelige Kulisse’ für politische Veranstaltungen abgeben darf, die frustrierende wirtschaftspolitische Gegenwart abzudämpfen und mit dem Bild einer besseren Vergangenheit von dieser abzulenken“.

    “In diesem Rahmen leistet Schlicht durch seine Darstellung von Volksleben – fleißig verbreitet und aufpoliert von Lehrern – seinen Beitrag, erweist sich als nicht so schlicht“.“

    … doch kann Heimatforschung nach wie vor konkretes Aufstiegsmittel sein, da bei aufstiegswilligen Lehrern geprüft wird, ob sie etwas veröffentlicht haben“.

    Kritisch geht Wax auch auf die „Heimatkundliche Stoffsammlung“ der bayerischen Volksschulen ein.

 

 

Eine Ehrenrettung für Josef Schlicht

 

Die von Wax wissenschaftlich ermittelten Fakten können nicht bestritten werden. Doch kommt Wax in seiner Interpretation zu Schlussfolgerungen, die nicht unwidersprochen bleiben dürfen.

Zu 1: Schlichts Bauerndarstellung als Vorbereitungsstrang nationalsozialistischer Ideen.

Wax konnte in einem Gespräch mit dem Steinacher Josef Altschäffl, geboren 1901 und vier Jahre lang Ministrant bei Schlicht, in Erfahrung bringen, dass Schlicht in Gesprächen mit den Leuten viel erfahren hat, was er dann in seine Erzählungen verarbeitete. Diese ist ein Hinweis dafür, dass Schlicht nicht nur fabulierte, sondern seine Eindrücke durch unmittelbare Befragungen gewonnen hat.

Dass Schlichts Bauerndarstellung nicht als „Vorbereitungsstrang nationalsozialistischer Ideen“ in Betracht kommt, zeigt Wax an anderer Stelle selbst auf: „Schlichts“ Darstellung vom Bauern zeigte vermutlich eine für die Nazis zu starke religiöse Komponente, so dass sie nicht in dem Maße für ihre politischen Zwecke verwertbar war“ (Wax, Schlicht/Volksleben, 61). Damit widerlegt Wax selbst seine oben genannte These.

Ich darf in diesem Zusammenhang nochmals darauf hinweisen, dass Schlicht keine wissenschaftliche Arbeit der Volkskunde schreiben wollte (obwohl er dazu befähigt war). Prof. Angelus Sturm führt dazu aus: „Kaum ein Blatt findet sich in seinen Büchern, das ihn nicht als Dichter verriete“. Sein Stil, seine Charakterisierung der bayerischen Mentalität, seine Schilderung des Volkslebens, die Generationen überdauern wird, verrät uns mehr den gestaltenden Künstler als den nüchternen Gelehrten“.

Mit diesen Fragen beschäftigt sich in jüngster Zeit Prof. Dr. Karl Hausberger, Universität Regensburg (vgl. 10. Forschungsbericht der Universität, veröffentlicht im Internet). Das Forschungsthema lautet: „Dorfidylle contra Großstadtfeindlichkeit? Leben und Werk des religiösen ‚Volkskundlers’ Josef Schlicht (1832 – 1917)“. Hausberger untersucht, ob Schlicht in seinen Werken, namentlich im vielgerühmten Buch „Bayerisch Land und Bayerisch Volk“ von 1875, tatsächlich ein realitätsnahes Bild vom bäuerlichen Leben und volksfrommen Brauchtum im Niederbayern des 19. Jahrhunderts zeichnet oder ob es ihm in der Gefolgschaft von Wilhelm Heinrich Riehl in erster Linie darum geht, ein idealisiertes Landleben gegen die moderne Industriekultur auszuspielen. Prof. Hausberger führt weiter dazu aus: „Dieser Frage gilt das Hauptinteresse der Untersuchung seines literarischen Oevres mit dem Ziel, erstmals eine kritische, auch auf ungedruckten Quellen fußende Biographie Schlichts vorzulegen. Außerdem ist die Veröffentlichung einer Anthologie seiner teilweise nur mehr schwer zugänglichen Mileuskizzen geplant. Das schon im Forschungsbericht 2003 benannte Projekt, musste zurückgestellt werden, weil der im Privatbesitz befindliche Nachlass Schlichts nicht zugänglich war. Zwischenzeitlich ist dieses Problem behoben“. Dem Ergebnis dieser Forschungen wird mit Interesse entgegengesehen.

Schlicht wegen seiner vielleicht zu blumigen Schilderungen des bäuerlichen Lebens – wie Wax meint – zum „Vorbereitungsstrang nationalsozialistischer Ideen“ zu rechnen, halte ich für abwegig.

 

Zu 2: Die Darstellung Schlichts als Antisemit

Am Beispiel der „Geschichte von Steinach“ ist Schlichts Grundeinstellung zum Thema „Juden“ gut erkennbar. Schlicht übt dort Kritik am Finanzgebaren der früheren Steinacher Schlossherrschaften („Allein nach diesen Baujahren 1737 – 1739 erscheint in der Gutsrechnung von Steinach wieder Dolnsteiner, der herwartische Wechseljude“, Die Geschichte von Steinach, S.34). Schlicht wollte hier in erster Linie die Verschwendungssucht des Adels anprangern, die zu ernsthaften wirtschaftlichen Schwierigkeiten geführt hatte. Der Steinacher Adel besorgte sich häufig die nötigen Mittel für seine oft verschwenderischen Bedürfnisse durch Schuldaufnahme bei jüdischen Geldverleihern. Banken und Sparkassen gab es ja damals in unserem Raum noch nicht.

Bei größeren Projekten, die der Fremdfinanzierung bedurften, kamen in beschränktem Ausmaß kirchlich Institutionen wie Bruderschaften in Betracht, vor allem aber gewerbliche jüdische Geldverleiher, die als Nichtchristen Zinsen verlangen durften, wegen der fehlenden Sicherheiten und des hohen Ausfallrisikos aber hohe Zinssätze verlangen mussten. Obwohl man ihn dringend brauchte, war der geldgebende Jude oftmals nicht sehr geschätzt; mussten doch die Schulden mit Zins und Zinseszins termingerecht zurückgezahlt werden. Vor diesem Hintergrund sind manche Judenprogrome im Mittelalter zu sehen, verbrannten mit den Juden doch auch die Schulden!

In diesem Zusammenhang sei auf Schlichts genossenschaftliches Engagement hingewiesen, das bisher literarisch kaum gewürdigt wurde. Im März 1905 wurde der Darlehenskassenverein Steinach gegründet, der später durch Fusion in der heutigen Raiffeisenbank Parkstetten aufgegangen ist. Bankdirektor Josef Murr führt dazu in der Festschrift zur Einweihung des Raiffeisenbankgebäudes Parkstetten im Jahre 1983 Folgendes aus: „Schriftführer des jungen Vereins war kein geringerer als der damalige Steinacher Schloßbenefiziat Josef Schlicht. Gerade von ihm mag auch ein gerüttet Maß an Initiative zur Gründung des Darlehenskassenvereins Steinach ausgegangen sein…. Der berühmte Schloßbenefiziat war überzeugter Anhänger und Mitglied des Bayerischen Bauernbundes. Solchermaßen mit der Mentalität, aber auch mit den Sorgen und Nöten der bäuerlichen Bevölkerung vertraut, darf Schlicht zugetraut werden, dass er für den Verein gerade in seinen Anfängen ein besonders wertvoller Mann war, zumal er als Eisenkopf galt, der es verstand, sich durchzusetzen …. Die erste Generalversammlung nach der Gründung des Darlehenskassenvereins Steinach fand am 20. August 1905 statt …. Diese Eintragungen stammen von Josef Schlicht, der ein sehr fleißiger Mann gewesen zu sein scheint, den er stellte zum Ende eines jeden Monats einen so genannten Monatsabschluß zusammen. Er wird im Jahre 1907 auch als Stellvertreter des Vorstandes genannt“.

 

darlehenskassenverein

Erster Eintrag im Vorstands-Protokollbuch des neugegründeten Darlehenskassenvereins Steinach vom 19. März 1905.
Als Drittunterzeichneter ist zu erkennen „Jos. Schlicht, Benefiziat“. Josef Schlicht ist bis zu seinem Tod im Jahre 1917 Mitglied der Vorstandschaft
(Mit freundlicher Genehmigung der Raiffeisenbank Parkstetten)

 

Schlicht ist von seiner Erziehung und Ausbildung her ein integrer Charakter, der sittliche und moralische Werte sehr hoch ansiedelt. So gilt seine Kritik nicht dem Adel als solchen, sondern der Verschwendungssucht desselben, den er aus Steinacher Archivakten feststellen konnte. Schlicht wendet sich auch nicht gegen das Judentum, sondern gegen den „Wucherer“. Kurz gesagt: Schlicht verurteilt die beiden menschlichen Laster „Verschwendungssucht“ und „Habgier“. Er muss diese Laster schon von seiner priesterlichen Ausbildung und seinem Berufungsauftrag her anprangern und versuchen, die Menschen zu Besserem zu bekehren.

Sicher ist auch Schlicht ein Kind seiner Zeit. Er musste mit ansehen, wie mancher Bauernhof überschuldet war und von den Geldgebern (auch jüdischen) zur Versteigerung getrieben wurde. Es liegt in der Natur des Menschen, dass er dies bemitleidet und verurteilt. Diese Einstellung ist auch heute oftmals noch gegenüber den Banken anzutreffen, wenn diese mangels Zahlungsfähigkeit des Kunden zur Verwertung seines Vermögens gezwungen sind.

 

 

Zu 3: Die Lehrerschaft als „Konservator“ von Josef Schlicht

Wax betritt hier ein gesellschaftspolitisches Gebiet. Die Aussagen dazu haben mit der Person „Josef Schlicht“ und seinem Werk im engeren Sinn nichts zu tun.

Sie betrifft vielmehr eine später einsetzende Entwicklung und ist für die vorliegende Darstellung nicht relevant. Sie darf auf die Person „Josef Schlicht“ nicht in einem negativen Sinn zurückprojiziert werden.

 

 

 

 

Schlusswort

 

Josef Schlicht hat 46 Jahre in Steinach gelebt und gewirkt.
Hier in der Beschaulichkeit der Vorwaldgegend, geschätzt und beliebt bei der Schlossherrschaft, dem heimischen Klerus und zahlreichen Freunden und Lesern, fand er das geeignete Umfeld für sein literarisches Wirken und seine Forschertätigkeit. Seine Arbeit wird in höchsten Fachkreisen anerkannt und gewürdigt.

Er wird sogar von Spindler in seinem mehrbändigen „Handbuch der Bayerischen Geschichte“, einem bedeutenden Standardwerk und im „Lexikon für Theologie und Kirche“, herausgegeben von Michael Buchberger, erwähnt.

Steinach verdankt Josef Schlicht vor allem seine Forschungen zur Steinacher Geschichte und deren Veröffentlichung. Zu Recht kann Josef Schlicht als „Steinacher“ bezeichnet werden und zählt zu den Berühmtesten unter den Steinacher Bürgern. Die Gemeinde Steinach wird ihrem hervorragenden Sohn stets ein ehrendes Andenken bewahren.

 

 

Quellennachweis in Auswahl:

Agsteiner, Hans, Steinach, Eine Heimatgeschichte und Chronik der Gemeinde Steinach mit den Gemeindeteilen Münster, Agendorf und Wolferszell, Straubing 1996, Biographische Angaben, 112 ff. Geschichten von Josef Schlicht aus dem Gemeindebereich, 393 ff.
Gebhard, T., Volkskunde in Bayern, in: Roth/Schlaich (Hrsg.), Bayerische Heimatkunde, München 1974
Murr, Josef, Festschrift zur Einweihung des Raiffeisenbankgebäudes Parkstetten im Jahre 1983
Schlicht, Josef, Die im Text dieser Arbeit genannten Werke, zum Teil in Neuauflagen
Schlicht Manuskript, von Gemeinde Steinach erworben, veröffentlicht in: Gemeindebote Steinach, Ausgabe September 2000
Sigl, Rupert, Josef Schlicht – Der rechte treue Baiernspiegel, Eine Einführung in Leben und Werk des Klassikers der bairischen Volkskunde
Wax, Johann, Die Darstellung des Volkslebens bei Joseph Schlicht und ihre Wirkungsgeschichte, Magisterarbeit eingereicht bei der Universität Regensburg, Philosophische Fakultät IV, Sprach- und Literaturwissenschaften, Lehrstuhl für Volkskunde Prof. Dr. Konrad Köstlin, im September 1986
Weigert, Josef, Erinnerung an den Schlossbenefiziaten Joseph Schlicht, „Straubinger Tagblatt“, Erscheinungsdatum unbekannt