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Hochzeit mit dem Tode

 

von Max Peinkofer

 

Als der Heimatdichter Max Peinkofer zu Besuch auf einem Gut im Gäuboden weilte, entdeckte er dort ein besonderes kostbares Buch. Es war ein prächti­ger Lederband, geschmackvoll mit Gold verziert, mit bestem blütenweißem Papier. Es handelte sich um die Schweizer Erstausgabe eines großen Prosa­werks von Johann Wolfgang von Goethe. In dem Buch fiel Peinkofer eine Widmung auf, geschrieben in fast männlicher, eigenwilliger, vornehmer Hand­schrift. Sie lautete: "Gott allein ist treu. Treu ist auch der Tod, das letzte große Lebensgeschenk Gottes". Dann folgte die Zueignung des Buches an Fräulein Maria X. mit Ort und Tag des Eintrags sowie dem Namen der Spenderin: "Ihre getreue Benigna von H."

 

Peinkofer erzählt weiter: Die paar Worte ergriffen mich und schienen ein dunkles Verhängnis zu verra­ten. Was mir nun die Gastgeberin erzählte, bewies, dass meine Vermutung berechtigt war. Das Goethebuch ist ein Geschenk der Spenderin an Fräulein Maria, die sich beide gleichzeitig im Kriege in der Gäubodenstadt als Rotkreuzschwestern hat­ten ausbilden lassen und sich dabei freundschaftlich nahegekommen waren. Damals betreute Baronesse Benigna von H. auch einen Offizier aus altem bayeri­schem Adel, den Grafen Stephan von Guteneck. Sie lernten sich lieben, verlobten sich noch im Lazarett und verbrachten einen verheißungsvollen Braut­stand, zumal die Heilung des Schwerverwundeten unerwartet rasche Fortschritte machte. Auch hier mag sich die Liebe als bester Arzt erwiesen haben. Der Graf erhielt nach seiner Entlassung aus dem Lazarett längeren Urlaub in Aussicht gestellt, kehrte In die Hauptstadt zurück und besuchte dann von dort aus öfter seine Braut auf Schloss Hohenaich, dem Sitz ihres Geschlechtes. Der Tag der Hochzeit, die man ganz still und schlicht zu feiern vorhatte, wurde festgesetzt.

Das sollte die erste Hochzeit auf diesem Schlosse werden. Es gehörte zu einem alten Edelsitz mit ansehnlichem Grundbesitz und einem schlichten Herrenhaus aus früheren Jahrhunderten, das, unbequem und räum­lich ungenügend, den Wohnansprüchen des Vaters Benignens nicht mehr genügt hatte. Deshalb hatte er einige Jahre vor dem ersten Weltkrieg auf einer künstlich geschaffenen Waldblöße unweit des alten Sitzes ein sehr stattliches neues Schloss errichten lassen. Die ersten Künstler der Hauptstadt hatten für den Neubau und seine Ausstattung die Entwürfe geliefert. Nach mehrjähriger Bauzeit stand das Schloss hoch über der Donau in den Vorbergen des Bayerischen Waldes, dessen Wälder überragend und wahrhaft fürstlich in Ansehen und Einrichtung. Seine mächtigen Flügel, hohen roten Dächer und weißen Türme leuchteten hinein in das friedlich wogende Waldgebirge, hinunter auf den breiten glän­zenden Strom, hinweg über die fruchtschweren Ackerbreiten der Kornkammer und bis zu den Toren der türmerreichen alten Herzogsstadt. Mancher von denen, die einst etwa von Regensburg bis Passau fuhren, mögen jenes waldversteckte große Schloss von der Ferne aus bewundert haben, in dem sich die Geschichte vollendet, die zu erzählen wir etwas umständlich begonnen haben.

Benigna von Hohenaich hatte alles Notwendige für die nahe bevorstehende Trauung vorbereitet und auch dabei die Ruhe und stille Behutsamkeit an den Tag gelegt, die dem edlen und feinen Menschen­kinde angeboren waren. Es war etwa drei Wochen vor dem angesetzten Hochzeitstag, als Graf Stephan einen vereinbarten Besuch auf Hohenaich in letzter Stunde telegraphisch kurz absagte. Es vergingen dann Tage, bis dann ein Brief von ihm eintraf der die Absage der Reise mit einem unbedeutenden Vorwand zu entschuldigen suchte und nichts mehr von der gewohnten Herzlichkeit und früher so oft beteuerten Sehnsucht des Schreibers verriet. Die weiteren Briefe des Grafen wurden deutlich kühler seltener und knapper.  Benigna, die alles, was eigene Freuden und Nöte anbelangte, mit sich selber abzumachen pflegte, blieb wohl auch jetzt ruhigen und gefassten Wesens, verhehlte es sich aber nicht, dass der kurze Traum vom großen Glück ihres Lebens ein Ende gefunden habe. Von Tag zu Tag erwartete sie die Botschaft, die ihr volle Gewissheit darüber geben würde. Bis dann bald ein eingeschriebener Brief des Grafen ankam darin er Benigna das Jawort mit der Begründung zurückgab, dass er sich ihrer nicht würdig fühle und sie niemals glücklich mit ihm würde. Er bat seine ehemalige Braut, sie möge ihm verzeihen und nicht fluchen, auch wenn er ihr noch mitzuteilen habe, dass er sich in den nächsten Tagen mit Komtesse R. verloben würde. Seine Trauung mit ihr würde bald stattfinden, weil er gegen Erwarten bereits in der allernächsten Zeit wieder an die Front gehen müsse. Der Brief schloss mit Höflichkeitsformeln, Empfeh­lungen und Wünschen für eine Benignens würdige glückliche Zukunft.

 

Die Baronesse las den Brief, las ihn ein zweites und drittes Mal. Dann ging sie, es war an einem strahlen­den Vormittag des August, in den sommerstillen wei­ten Wald, der das neue Schloss Hohenaich umgab, und ging dort, von niemand gesehen, lange auf und ab, grad und aufrecht wie sonst, ganz hingegeben ihren Gedanken und wohl erwogenen Entschlüssen, die, wie sie sich zurechtgelegt hatte, nunmehr not­wendig geworden seien. Hierauf begab sich Benigna wieder zum Schloss zurück. Seit längerem gab es auf Hohenaich nur mehr stille Mahlzeiten im kleinste Kreise. Freunde und Bekannte, die früher gern die noble Gastfreund­schaft des Hauses, seine Anregungen und seine Stille genossen hatten, waren durch den Krieg in alle Winde zerstreut worden oder dem Ungeist der Zeit zum Opfer gefallen. Der seit Jahren verwitwete Schlossherr konnte sich auch nicht mehr wie eins­tens Gästen widmen. Das große Gut, das er bedeu­tend vermehrt, zu Ansehen gebracht und einem Musterbetrieb gemacht hatte, nahm ihn jetzt umso mehr in Anspruch, als es überall an erfahrenen Dienstleuten fehlte und die strengen Ablieferungspflichten erhöhte Arbeit forderten. Dazu lastete auch auf seinem Herzen die brennende Sorge um die Geschehnisse jener gnadenlosen Zeit. Als man zu Mittag gespeist hatte, der Baron und seine Tochter, trug der alte Diener wie gewohnt den Mokka im Rauchzimmer auf. Der Baron, dem es längst kein Geheimnis hatte bleiben können, dass zwischen seinem Kinde und dem Grafen Stephan eine Entfremdung eingetreten war, brachte die Rede auf die immer näher rückende Hochzeit, für die der zweite September vorgesehen war. Benigna zog den letzten Brief des Grafen hervor und überreichte ihn mit einer Miene, die nichts von innerer Bewegung verriet, ihrem Vater. Als er das Schreiben zu lesen anfing, erbleichte er; als er es zu Ende gelesen hatte, schlug er unter einem jähen Wort mit der Faust so heftig auf das Tischchen, dass ein Teil des Meißner Porzellans auf den Boden fiel und in Scherben zersplitterte. Benigna versuchte, den Empörten mit der Ver­sicherung zu beruhigen, dass sie die Auflösung ihrer Verlobung mit Fassung zu ertragen wisse und mit sich in allem völlig ins Reine gekommen sei.

 

Benigna, die sich für einige Zeit vom Lazarettdienst hatte beurlauben lassen, um die Vorbereitungen für die vermeintliche Trauung zu treffen, verbrachte nun­mehr die meisten Stunden auf ihren Zimmern, eifrig beschäftigt mit Schreiben und allerhand Zurich­tungen. Früher ritt sie gerne mit dem Vater in den Forst und auf die Felder, hielt sie sich, die Blumen­freundin, häufig in den Gärten und Gewächshäusern auf. Auch besuchte sie oft bedürftige Leute des nahen Pfarrdorfes, das sich an das Alte Schloss Hohenaich schloss. Nur noch selten ging sie jetzt ins Dorf hinüber, aber reicher denn sonst beladen mit erwünschten, seit langem selten gewordenen Dingen. Der zweite September, mild und voll reichen früh­herbstlichen Glanzes, brach an und goss seinen Schimmer über Schloss und Höhen und Wälder, Benigna hatte mit ihrem Vater gefrühstückt. Von kei­ner Seite wurde auch nur ein Wort davon gespro­chen, dass an diesem Tage die Trauung Benignens hätte stattfinden sollen. Es war einst hierfür die zehn­te Stunde vorgesehen. Benigna redete von den Tagen der Kindheit, dem Guten und Schönen, das die verstorbene Mutter und der Vater in ihr sorgen­freies Leben getragen haben. Sie sagte, es wäre kein Wort imstande, auszudrücken, was sie ihren Eltern und der Heimat an Dank schuldete. Der Freiherr, sichtlich von düsteren Gedanken beherrscht, bemühte sich, ein Benehmen an den Tag zu legen, als hätte auch er sich hinwegzutrösten vermocht über das Schicksal seines Kindes und diesen gedankenschweren Tag. Benigna trat ruhig und aufrecht wie immer an das hohe Bogenfenster des Zimmers und blieb lange dort stehen.

Das Fräulein schien sich nicht sattsehen zu wollen an dem vertrauten Bild der Heimat mit den geruhsamen Wäldern, den sanft wallenden Höhen, dem breiten glitzernden Strom, der durch die frucht­gesegnete Ebene fließt, aus der, von zitternden Lichtern umwogt, die Türme jener Stadt aufsteigen, in der Benigna ihr reines Herz verschenkt hatte für immer und ewig, wie sie gehofft hatte; verschenkt an einen, der dieses Geschenkes bald überdrüssig geworden war. Benigna beschaute die Türme der Stadt und sah den Strom, in dem sich einst das Schicksal der schönen Baderstochter aus Augs­burg, die ein Herzog geliebt und zur Gemahlin erho­ben hatte, das düstere Schicksal der Agnes Bernauer, erfüllt hatte. Ihre Liebe lohnte der Tod der treue Tod, getreu wie der, der ihn zur rechten Zeit schickt, damit aller Schmerz und alles Ungemach für immer ende in Frieden. Mit einem Male wandte sich Benigna um. Taumelte sie ein wenig, als sie dann, rasch entschlossen auf ihren sinnierenden Vater zutrat, dem sie nun einen Kuss auf die Stirne gab? Dann drückte sie ihm wie jeden Morgen, die Hände; heute aber länger und inniger wie sonst. "Auf Wiedersehen, Papa! Auf schönes, frohes Wiedersehen, bester Papa! Und tausend Dank für alle Liebe und alles Gute!" sagte sie noch und verließ dann rasch das Frühstückszimmer. Der Baron blieb, ein wenig fassungslos und erschrocken, in dem nun unheimlich stillen Zimmer zurück. Vom hohen Turm des Schlosses schlug es die neunte Stunde.

 

Für diese Zeit hatte Benigna ihre Zofe Gretel in das Ankleidezimmer bestellt. Gretel erschien und erschrak, als sie auf dem großen Ankleidetisch Brautkleid, Brautschmuck und Brautschleier ihrer Herrin sowie Myrtenzweige bereitliegen sah. Die Baronesse sagte: "Gretel, kleide mich nun an Ich bin heute Braut. Aber frag nicht lang!"

 

Gretel, die seit Jahren in Diensten des Hauses stand und wegen ihrer Tüchtigkeit, Treue und Verschwiegenheit das Vertrauen ihrer jungen Herrin genoss, rang zittern die Hände: "Um Himmelswillen, gnädigste Baronesse! Was soll das bedeuten? Wo ist denn der Herr Graf, der Bräutigam? Man hat ja gar nichts mehr von der Hochzeit gehört und den Herrn Grafen schon so lange nicht mehr gesehen!" Die Baronesse beschwichtigte die Erschrockene:

"Frag nicht lang, Gretel, hab ich gesagt! Es ist alles, wirklich alles in Ordnung. Der Bräutigam kommt bestimmt sehr bald, glaub mir nur!"

Die Zofe zögerte erst, dann begann sie, der Herrin das Brautgewand anzulegen, mit Tränen in den Augen und zitternden Händen. Es wurde kein Wort gesprochen. Das schlichte weiße Brautkleid saß gut; das Brautgeschmeide wurde umgehängt, der Schleier aufgesteckt, dann das Kleid mit Myrten verziert. Als das alles geschehen war, nahm Benigna den Brautstrauß aus der Vase und stellte sich vor der Zofe auf. Groß und schön stand sie da, aber mit ernstem Antlitz. Sie sagte: "Ich danke dir, treue Seele! Nun ist alles so, wie es sein muss. - Jetzt sag mir noch, wie ich dir gefalle!"

Gretel sank in die Knie, küsste unter Schluchzen die Hand ihrer Herrin und stöhnte: "Oh, freilich eine wunderschöne Braut, gnädigste Baronesse! Ganz wie im Märchen. Aber ach, alles das ist so traurig, so entsetzlich traurig!"

"Du gute Närrin!" lächelte Benigna. "Du sollst nicht weinen, wenn mich nun bald der beste und treueste Bräutigam holt. - Lass dir aber erst noch danken für alle Lieb und Treu, gute Gretel!" Und sie umarmte die Weinende, küsste sie und drückte ihr die Hände. Dann nahm sie die Blumen wieder, ging auf die Türe ihres Wohn gemaches zu, winkte der Fassungslosen

und rief ihr zu: "Lebe wohl, Gretel, behüt dich Gott! Auf Wiedersehn!" Dann betrat sie feierlich ihr Zimmer.

Etwas vorher fuhr ein kleiner bedeckter Lastwagen an Schloss Hohenaich vor und hielt vor dem großen Eingangstor. Der Fahrer steigt ab und zieht die Glocke. Der Pförtner erscheint und fragt nach dem Begehr des Fuhrmannes. Der derbe Mann zündet sich gemächlich eine Zigarette an, dann antwortet er: "Also, das wär ich jetzt mit dem Sarg, der heut für Ihr Schloss bestellt worden ist. Ein dürftiger Sarg, sag ich Ihnen, ganz armselig und billig, schön weiß wie ihn Jungfrauen brauchen. - Freilich, traurig sowas, wenn man es bedenkt. Aber da kann man nichts machen!"

Der Pförtner erschrickt. Ein völlig unerwartet angefahrener Sarg erregt Schauer, auch wenn man nicht weiß, für wen er bestimmt ist. - Aber gottlob, im Schloss ist alles gesund und erst recht niemand gestorben. Also, denkt der Pförtner bei sich, bräuchte ich eigentlich gar nicht erschrecken. Er wendet sich an den Fuhrmann: "Das muss ein Irrtum sein, lieber Mann! Sie haben sich verfahren. Bei uns ist niemand gestorben. Fahren Sie nur gleich wieder weiter! Eine solche Fracht sieht man nicht gern." Der Fuhrmann entrüstet sich: "Nein, Herr! Sie irren

sich! Der Sarg ist vom Herrn Hobelsberger in der Stadt, der wo das große Sarglager hat. Er ist vorgestern bestellt worden. Das muss stimmen. Und schon bezahlt. Von einem feinen jungen Fräulein. Für mich, den Fahrer, hat sie dem Sargfabrikanten ein schönes Trinkgeld dagelassen. Gleich zwanzig Markl, sag ich Ihnen. Das muss stimmen. Und mit einer Totentruhe macht man keine Dummheiten. Sie gehört für das Schloss Hohenaich, und dabei bleibt es."

Der Pförtner, erst recht betroffen, weiß nicht, was er mit dem Sarg anfangen soll: "Ists wies mag, es kann nur ein Irrtum sein. Fahren Sie bitte den Sarg zurück, auch wenn er bezahlt ist! - Jeden Augenblick kann der Herr Baron kommen. Der gnädige Herr braucht diesen vermaledeiten Sarg nicht zu sehen."

Er erinnert sich, dass der Herr in den letzten Tagen eine sehr ernste Stimmung gezeigt hatte. Der Fahrer aber gibt nicht nach, geht an den Wagen, hebt allein seine Fracht herunter und stellt sie ganz nahe an das hohe Wappen bemalte Tor. Da steht nun der einfache Sarg mit einem kleinen silbernen Kruzifix oben. Der Pförtner schiebt den Sarg verärgert zurück, der Fahrer flucht und schiebt ihn wieder an das Tor. Im gleichen Augenblick schlägt es vom hohen Schlossturm die zehnte Stunde. Der Fahrer nickt zufrieden: "Bin ich nicht pünktlich? Punkt zehn Uhr, hat es geheißen, muss der Sarg vor dem Schlosseingang stehen. Und er steht da und bleibt da! Das muss stimmen. - So, und jetzt gehts wieder heimzu! - Mein Beileid, habe die Ehre!" Und schon will er den Wagen besteigen, um die Rückfahrt anzutreten.

Da öffnet sich die kleine Pforte neben dem Tor. Heraus tritt der Schlossherr, begleitet von seinem Schäferhund. Er will Nachschau halten auf den Feldern. Der Baron erbebt, als er den Sarg bemerkt, und fragt, sichtlich unangenehm berührt, was es damit für ein Bewenden habe. Der Pförtner deutet auf den Fahrer, der noch einmal umständlich von seinem Auftrag berichtet und immer wieder beteuert: "Das muss stimmen."

Der Baron fasst sich an den Schläfen und ordnet kurz an, den Sarg in das Turmgewölbe zu verbringen. Seine Stimme ist unsicher, seine Haltung nicht mehr so aufrecht wie sonst. Er begibt sich zurück in das Schloss und geht langsamen, müden Schrittes die breite Marmortreppe hinauf, die zu den Gemächern seiner Tochter führt, Er geht zögernd den langen gewölbten Flur entlang, in dem die kostbaren alten Schnitzschränke stehen und an dessen Wänden die kostbaren Ölbilder großer alter Meister hängen, Der Baron wirft keinen Blick auf diese Dinge, an denen sein Herz so sehr hängt. Seine trüben Gedanken beschäftigten sich jetzt mit ganz anderen Dingen.

 

Zwei Tage vorher hatte sich Benigna in die Stadt fahren lassen, um einiges zu besorgen, wie sie ihrem Vater gesagt hatte, Sie kaufte zuerst Blumen und ging dann zu Fuß in die Altstadt, wo der Schreiner Hobelsberger ein großes Sarglager unterhielt. Der Geschäftsmann empfing die ihm unbekannte vornehme Dame, die ein ganz schlichtes helles Sommerkleid trug, sehr höflich und wunderte sich, als die Baronesse sagte, dass sie einen weißen Sarg benötige, Wenn sonst Kunden kamen, die einen Sarg zu bestellen hatten, trugen sie jeweils dunkle Kleider, zeigten sich in Trauer aufgelöst und von Wehmut erfüllt. Diese so hübsche, junge Dame verriet aber nichts von schmerzlicher Erregung; sie benahm sich vielmehr so, als ob es etwa bloß einen Tisch oder einen Stuhl zu kaufen gäbe, Als Hobelsberger fragte, wer denn gestorben sei, und sein Beileid ausdrücken wollte, antwortete die Baronesse ausweichend und ersucht sehr bestimmt, aber höflich, sie sogleich in das Lager zu führen. Dort, in einem großen, düsteren Raum, standen in einem langen, zweigeschossigen Gestell Särge aller Arten und Größen, schwere Metallsärge, kunstvolle Eichensärge, solche herkömmlicher, einfacher Art und auch ganz billige Armeleutesärge. Sie alle harrten hier in Stille ihrer Bestimmung, über kurz oder lang letzte Ruhebetten für noch lebende Unbekannte zu werden. Der Tischler hoffte, einen sehr teuren Sarg verkaufen zu können. Die Baronesse aber wählte nach kurzer Prüfung einen der ganz schlichten, weißen Fichtenholzsärge ohne jegliche Verzierung, wie man sie für die Geringsten zu verwenden pflegt. Sie fragte nach dem Maße, sah, dass es stimmte, und nach dem Preise, und ersuchte, den Sarg am übernächsten Tag punkt zehn Uhr am Eingang des Schlosses Hohenaich abzuliefern. Sie beglich die Rechnung und hinterließ für den Fahrer einen Zwanzigmarkschein als Trinkgeld, damit der Sarg ja genau zur genannten Stunde vor das Schloss gebracht würde.

Dann entnahm sie ihrer Handtasche ein kleines Kruzifix aus Silber, ein erlesenes, altes Kunstwerk, und übergab es dem Tischler mit dem Auftrag, es auf dem Sargdeckel zu befestigen, Weiteren Zierrat, betonte sie ausdrücklich, wünsche sie keinesfalls.

Dann blieb sie eine kurze Weile vor dem Sarg stehen, berührte ihn ganz leise, lächelte und verließ das Geschäft, Kopfschüttelnd und verwundert blickte der Tischler der seltsamen jungen Dame nach.“

 

Das also hatte sich zwei Tage vorher in der nahen Stadt ereignet. Nun tritt der Baron zögernd an die Türe, die zu Benignens Zimmer führt, horcht erst ein paar Augenblicke und klopft dann an, Er klopft ein zweites und drittes Mal, nun etwas kräftiger, Aber es kommt keine Antwort, Fast wagt es der von schweren Ahnungen Erfüllte nicht, die Türe zu öffnen. Dann macht er sie leise auf, betritt das Zimmer und bleibt wie erstarrt stehen. Die Beine wollen ihm den Dienst versagen.

In einem hohen Armstuhl, der mit einer Myrten bestecken alten Brokatdecke verhängt ist, sitzt, friedlich zurückgelehnt, Benigna in vollem Brautschmuck. Zu ihren Füßen liegt das Brautbukett, Benigna scheint zu schlafen.

Endlich vermag sich der Vater seinem Kinde zu nähern. Er fasst ihre Rechte und hebt sie empor. Die Hand sinkt leblos in den Schoß zurück, "Benigna, Kind, Liebstes!" ruft der Vater in tiefstem Schmerze, "Benigna, wach auf, rede!" Aber Benigna kann nicht aufwachen und sprechen. Tote schlafen für immer und schweigen für immer.

Bald findet der Baron den Brief, der an ihn gerichtet ist. Darin steht zu lesen, dass seine Tochter Gift genommen habe, weil ihr das Leben unerträglich geworden sei. Wohl habe sie es vermocht, allen Schmerz über ihre Enttäuschung zu verheimlichen. Aber diesen zweiten September, der ihr Hochzeitstag hätte sein sollen, könne sie nicht überleben. Der gütige Gott werde ihr, so hoffe sie, verzeihen. Auch ihr Vater möge das tun, so bäte sie herzlich. Man möge sie in aller Stille und ohne jeglichen Prunk im Dorffriedhof und nicht in der Familiengruft bestatten. In jenem Sarge, den sie sich selbst gekauft habe. Weitere Anweisungen für ihr Begräbnis, für Bestimmung Ihres Vermögens und ihrer Habseligkeiten sowie die Bitte um Aushändigung der hinterlassenen Briefe und Andenken beschlossen den Brief.

Das Wetter hatte umgeschlagen. Frühherbstlicher Glanz und milde Sonne waren gewichen, Am Himmel trieben graue Wolken; über dem Gäuboden brüteten Donaunebel. Nebel krochen auch die Waldberge hinan und gaben Benigna Freiin von Hohenaich das Geleite, als sie still und ohne jedes Gepränge auf dem Dorffriedhof von Alt -Hohenaich zur Ruhe bestattet wurde. An ihrem Grabe stand viel kleines Volk, das mit ehrlichen Tränen seine geliebte, gütige Freundin beweinte. Weil die Entschlummerte ihre Grabstatt unterm freien Himmel und bei den kleinen Leuten hatte haben wollen, öffnete sich diesmal die düstere Familiengruft der Herren von Hohenaich nicht.

Wie oft hatte sich Benigna dieses dunkle Gewölbe aufschließen lassen, um Zwiesprache zu halten mit Ihren dahingegangenen Ahnen. Auch stand sie gerne im Gotteshaus vor den prächtigen Marmorgrabmälern ihrer Vorfahren, darauf die alten Herren und Frauen ihres Geschlechtes in stolzer Haltung stehen und redselige Inschriften erzählen von ihrem Leben, Wirken und Ende. Immer wieder sah sich dabei Benigna, ergriffen von dem Grabmal jenes

adligen Sprossen, der im achtzehnten Jahrhundert als holder Knabe dahingesunken war. Da schlummert der Knabe, aus hellem Marmor gehauen, so sanft und so gut, lächelt selig und stützt mit der Hand das Lockenhaupt, das auf einem Totenschädel ruht, wohl wissend, dass man hier, bei dem besten und treuesten Freund, auch den besten Schlaf tun könne ...

Unter den von Benigna hinterlassenen Andenken befand sich auch jenes Goethebuch, das für meine Freundin Maria bestimmt war und dazu führte, diese Geschichte mitzuteilen. Wer sie liest und vielleicht einmal den Gäuboden entlang fährt, mag sich etwa veranlasst fühlen, Ausschau zu halten nach dem stolzen, schönen Waldschloss mit seinen mächtigen, weißen Flügeln, seinen hohen Giebeln und Türmen, wie es groß und einsam die dunklen Gipfel der blauenden Wälder überragt.

Dieses Schloss wurde bald nach Benignens Tod von den Machthabern der damaligen Zeit mit Beschlag belegt, um in ihm Akten und andere Dinge, denen man Ewigkeitswert zumaß, in vollkommener Sicherheit, wie man wähnte, zu bergen. Damals nahm der Gutsherr wieder Wohnung im Schloss von Alt-Hohenaich. Allein die gegen Kriegsende einrückenden Sieger hatten Kenntnis von den im neuen Schlosse verwahrten Gegenständen erhalten. Sie sprengten es. Seither ragen aus den Wäldern jener Höhe Ruinen von erschreckendem Ausmaß.

Reisende, die nicht unterrichtet sind von der kurzen Geschichte und dem Untergang des einst fürstlichen Sitzes, wähnen wohl, dass dort in mittelalterlichen Fehden eine riesenhafte Burg zerstört worden sei. Sie können es auch nicht wissen, dass dort nur ein einziges Mal Hochzeit gefeiert wurde. Freilich eine sehr stille und düstere, die Hochzeit mit dem Tode ...

 

 

Anmerkung zum Leben und Werk des Heimatdichters Max Peinkofers

Max Peinkofers Peinkofer geb. 22.09.1891 in Tittling, gest. 06.05.1963 in Zwiesel, war Schriftsteller und Journalist. Die Ausbildung als Lehrer legte den Grundstock für seine heimatkundliche Arbeit. 1925 übernahm er die Schriftleitung der Passauer Zeitungsbeilage „Heimatglocke". Max Peinkofer stand bald im Mittelpunkt eines Kreises von Heimatkundlern und Volksdichtern. Er verfasste auch historische Abhandlungen, Sagen und Gedichte. Mit dem Dichter Hans Carossa pflegte er eine Freundschaft.

1951 erhielt er den Literaturpreis. Zu seinen Werken zählen: Der Brunnkorb. Die Fünferlkuh, Waldweihnachten, Die Hochzeit mit dem Tode, Büchlein von der Englburg, Das Pandurenstüberl (nach Bosl, Bayerische Biographie).

 

Die von Hans Agsteiner gekürzte Originalgeschichte aus dem Werk „Hochzeit mit dem Tode. Eine Geschichte aus unseren Tagen“ von Max Peinkofer aus dem Jahr 1959 wurde bereits im September 2002 im Gemeindeboten der Gemeinde Steinach veröffentlicht. Sie erzählt die Geschichte von Berta von Schmieder.